»Was soll geschehen mit ihm?«
»Ich muß wissen, ob er mit fortfährt oder ob er bleibt bei dem Obersten von Hellenbach!«
Sie begaben sich vor die Thür und brauchten nicht lange zu warten. Drüben stieg der Fürst mit Bertram und der Baronesse von Helfenstein ein. Dabei hörten sie die laut gesprochenen Worte des Obersten:
»Also, Herr Bertram, vergessen Sie ja nicht, daß Sie zu jeder Zeit bei mir offenen Zutritt haben. Betrachten Sie sich ganz als in mein Haus gehörig!«
Der Wagen rollte fort. Judith hatte Sarah's Hand ergriffen. Sie drückte dieselbe mit aller Macht und fragte:
»Hast Du es gehört? Deutlich gehört? Er hat offenen Zutritt! Nicht?«
»Ja.«
»Und gehört in das Haus des Obersten! Weißt Du, was das bedeutet? Er gehört zum Hause, er gehört zur Familie! Er ist der Verlobte der Tochter!«
»Vielleicht irrst Du Dich!«
»Nein, nein, ich irre mich nicht! Er ist mir untreu geworden! Er liebt mich nicht! Er liebt eine Andere! Aber ich kenne ein Mittel, ihn zu zwingen, zu mir zu kommen! Gute Nacht! Ich muß nach Hause!«
Sie ließ die Freundin stehen und eilte fort. Sie konnte lieben, und sie konnte hassen, Beides als echte Tochter des Orients. Sie haßte nicht Bertram, aber sie haßte Diejenige, von der sie glaubte, daß sie ihn ihr abtrünnig gemacht habe.
Ihr Vater war bereits wieder von dem Goldarbeiter zurück. Sie erzählte ihm, was sie gesehen und gehört hatte, und begab sich dann zur Ruhe, doch vergebens. Sie konnte keinen Schlaf finden und warf sich, an Rache und Vergeltung denkend, ruhelos von einer Seite auf die andere.
Derjenige aber, an den sie dachte, lag unterdessen im tiefsten Schlafe. Als er erwachte, war es längst Tag geworden. Er begab sich hinab und wurde von den beiden Alten und den Geschwistern freudig bewillkommnet. Nachdem der Kaffee eingenommen worden war, nahm der alte Förster den Jüngling beiseite.
»Ich habe heute bereits mit dem Fürsten gesprochen,« sagte er. »Ich weiß, was gestern passirt ist. Sind Sie ein guter Fechter?«
»Nein,« gestand Bertram. »Ich hatte weder die Zeit noch die Mittel, mich mit solchen Künsten zu befassen.«
»Hm! Das werden Sie nachzuholen haben. Und wie steht es mit dem Schießen?«
»Nicht viel besser.«
»Sapperment! Und Sie erwarten eine Forderung!«
»Ich denke doch, ein Pistol abdrücken zu können!«
»Hm! Schießen und schießen ist ein Unterschied, und hier handelt es sich um das Leben. Haben Sie bereits einen Blick in Ihren Schrank droben geworfen?«
»Nein.«
»Sie finden Kleider darin, welche Ihnen passen werden. Ziehen Sie sich warm an. Wir gehen jetzt in den Wald.«
»Wozu?«
»Wir schießen.«
»Ah! Auf Befehl des Fürsten?«
»Ja. Sie sollen wenigstens einigermaßen in Uebung sein.«
Nach kurzer Zeit wanderten Beide zur Residenz hinaus, und dann konnte man im Walde den Schall zahlreicher Schüsse hören. Es war bereits nach Mittag, als sie zurückkehrten.
Nachdem sie das Mittagsmahl eingenommen hatten, ging Bertram allein aus. Er begab sich zunächst nach der Ufergasse, um zu sehen, ob seine Schwester noch nicht zurückgekehrt sei. Er stieg die erste Treppe des betreffenden Hauses empor. Droben öffnete sich eine Thür, und vor ihm stand – eine sehr vornehme Dame, dachte er. Sie war noch jung und scheinbar sehr schön. Sie hatte ein kostbares, seidenes Schleppenkleid an und duftete nach Odeurs. Das Kleid war so tief ausgeschnitten, daß sich seine Wangen rötheten. Aber er hatte gehört, daß die Damen der höchsten Aristokratie sich in dieser Weise zu kleiden pflegten.
Daß das Gesicht dieses Mädchens voller Puder war, daß das scheinbar kostbare Kleid aus dem schlechtesten und billigsten Stoffe bestand, das wußte er nicht. Er begrüßte sie mit einer tiefen, ehrfurchtsvollen Verneigung und wollte weiter gehen, nach der nächsten Etage hinauf. Sie lächelte überlegen und fragte ihn:
»Wo wollen Sie hin?«
»Zu Madame Groh.«
»Was wollen Sie dort?«
»Ich will mit meiner Schwester sprechen.«
»Ah! Wer sind Sie?«
»Ich heiße Bertram.«
»Dann bemühen Sie sich nicht umsonst. Madame Groh ist mit Ihrer Schwester verreist und kehrt vor zwei Wochen nicht zurück.«
»Ich danke sehr, meine Dame!«
Er stieg die Treppe wieder hinab. Das Mädchen trat wieder zurück. Hinter ihr fragte die Stimme einer Zweiten:
»Wer war der hübsche Junge?«
»Der Bruder von Marie, der Neuen. Wo ist sie?«
»Mit dem Lieutenant im Salon.«
»Das ist gut! Sie darf es nicht wissen, daß nach ihr gefragt wird.«
»Warum nicht? Die reißt uns nun nicht mehr aus. Der Bär, welcher Honig geleckt hat, geht nicht vom Baume weg!«
Von diesem Gespräche hatte Bertram keine Ahnung. Er ging von da nach der Wasserstraße zu dem Juden Salomon Levi. Er wurde mit größter Freundlichkeit empfangen und in das zweite Stübchen geführt.
»Kommt der Herr Bertram, wieder zu besuchen Judith, meine Tochter?« fragte der Alte.
»Nein,« antwortete der Gefragte. »Ich komme, um meine Schuld abzutragen.«
»Ist geworden der Herr so plötzlich reich? Aber ich muß dennoch rufen meine Tochter. Sie ist es, welche geborgt hat das Geld; sie soll es auch nehmen in Empfang.«
Das war Bertram keineswegs lieb, doch konnte er nichts dagegen thun. Als Judith eintrat, grüßte sie ihn mit ausgesuchter Freundlichkeit und streckte ihm die Hand entgegen. Er erwiderte diesen Gruß ebenso freundlich, ging aber auf kein Gespräch ein, obgleich sie sich Mühe gab, ein solches anzuknüpfen, sondern blieb bei dem einfachen Zwecke seiner Gegenwart.
»Aber, mein Herr,« sagte sie, sichtlich enttäuscht, »ist das denn gar so eilig? Ich brauche das Geld nicht!«
»Und dennoch bitte ich, es zurückzunehmen. Schulden drücken.«
Es ging wie ein Blitz über ihr Gesicht. Sie zuckte gleichmüthig die Achsel und antwortete:
»Ganz wie Sie wollen. Ich hatte gedacht, daß Sie das kleine Darlehen anders betrachten würden; ich hatte auch geglaubt, Sie öfters bei uns zu sehen – –«
»Entschuldigung! Meine Zeit wird von meinen Studien so in Anspruch genommen sein, daß ich wohl nicht in die Lage kommen werde, Sie zu belästigen.«
»So! Dann zählen Sie auf!«
Er legte das Geld hin. Sie zählte nach und sagte dann zu ihrem Vater:
»Die Kette! Du hast sie doch gut verschlossen gehabt?«
»Sie liegt noch so, wie ich sie in das Pult gelegt habe. Hier, Herr Bertram. Es ist doch die Ihrige?«
Bertram öffnete das Schächtelchen, in welcher sie ihm hingereicht wurde, warf einen kurzen Blick darauf und sagte:
»Ja, sie ist es. Nehmen Sie meinen Dank!«
Er verabschiedete sich und ging, um sich nach dem Hause Nummer Elf zu begeben.
Draußen vor der Thür wäre er fast von einem riesengroßen Menschen umgerannt worden, welcher vorübertaumelte. Dieser war der Bruder des Riesen Bormann; er befand sich im Zustande ziemlicher Betrunkenheit und hatte seine Richtung nach dem offenen Platze zu genommen, auf welchem der Circus stand. Dort angekommen,