»So? Da wissen Sie wohl auch nichts davon, daß Sie dem Hauptmanne Gift verkauft haben?«
»Gift? Herr Gott! Mir geht der Atem aus!«
»Ja, Gift! Zweimal haben Sie ihm Gift gegeben, beide Male, um Menschen wahnsinnig zu machen. Vorgestern handelte es sich um einen zeitweiligen Wahnsinn, gestern aber um eine ausgesprochene Lethargie, welche in den Tod übergeht.«
Dem Apotheker schlotterten die Kniee.
»Herr, ich begreife von Dem, was Sie hier sagen, kein Wort, kein einziges!« betheuerte er.
»Wirklich nicht? Kein einziges Wort? Glauben Sie, daß Sie mit einfachem Leugnen beim Fürsten des Elendes durchkommen? Ich kenne Sie; ich kenne Ihre Geschäftsführung, Giftmischer!«
Da brach der Apotheker auf dem primitiven Sitz zusammen.
»Himmel!« stöhnte er. »Was soll ich thun? Ich bin ja so unschuldig wie ein neugeborenes Kind!«
»Schweigen Sie! Hören Sie lieber, was ich Ihnen sagen werde! Es genügt ein Wort von mir, Sie lebenslänglich in das Zuchthaus zu bringen: ich habe die Beweise in der Hand –«
»Gnade, Gnade!«
»Gut, Sie sollen Gnade finden; aber nur unter einer einzigen Bedingung. Hören Sie wohl?«
»Ja, ich höre. Welche Bedingung stellen Sie?«
»Daß Sie von jetzt an mir gerade so gehorchen, wie Sie bisher dem Hauptmanne gedient haben.«
Der Alte erhob sich. Er machte eine Bewegung, als ob er sich von einer schweren Last befreit fühle, und zog sich einige Schritte weit nach der Mauer zurück. Dabei zeigte sein Auge einen eigenthümlichen Glanz.
»Ja,« sagte er, »diese Bedingung gehe ich ein, augenblicklich, denn –«
Er hielt inne. Er hatte mit der Hand eine Schnure ergreifen wollen, welche da, bis wohin er sich zurückgezogen hatte, von der niedrigen Deckwölbung des Kellers herniederhing; aber der Fürst, aufmerksam gemacht, durch den eigenthümlichen Blick und das verrätherische Zurückweichen des Alten, stand mit einem blitzschnellen Sprunge bei ihm und faßte ihn beim Arme.
»Halt, Bursche!« sagte er. »So kommst Du mir nicht! Was hast Du da vorgehabt? Nieder auf Deinen Sitz!«
Er zog einen Revolver hervor, dessen Lauf er dem Apotheker vor das Gesicht hielt. Sofort setzte dieser sich nieder.
»Was ich vorgehabt haben soll?« fragte er. »Nichts, gar nichts!«
»Wollen sehen!«
Indem er dem Alten die Waffe entgegenhielt, nahm er die Laterne und untersuchte die Schnur. Sie führte an der Decke hin, bis gerade über die Stelle, an welcher er gesessen hatte. Dort befand sich ein blechernes Kästchen, an dessen Deckel die Schnur befestigt war.
»Was ist in dem Kästchen?« fragte der Fürst.
»Nichts, gar nichts!«
»Schön! Werden es untersuchen! Setze Dich einmal auf meinen vorigen Platz, Bursche, also gerade unter das Kästchen!«
»Warum, Herr?«
»Ich werde dann an dieser Schnur ziehen, und dann wird es sich jedenfalls zeigen, was es mit dem Kästchen für eine Bewandtniß hat. Also, vorwärts!«
Der Alte befand sich sichtlich in einer schauderhaften Verlegenheit. Er zauderte, dem Befehle Gehorsam zu leisten. Er hätte es sicherlich auf einen Kampf ankommen lassen, mußte sich aber sagen, daß sein Gegner bewaffnet und außerdem an Körperkraft ihm mehrfach überlegen sei.
»Nun?« fragte der Fürst. »Du hast die Wahl: Entweder unter das Kästchen, oder den Revolver, oder ein offenes Geständniß!«
Er sah sich in die Enge getrieben und mußte sich sagen, daß er nicht entrinnen könne.
»Gut, ich will es gestehen!« sagte er.
»Aber keine Lüge! Also?«
In der Rechten die Pistole und in der Linken die Laterne, stand er drohend vor dem Apotheker. Dieser sagte zögernd:
»Das Kästchen enthält eine Mischung zum – zum – zum Riechen.«
»Ach so! Zieht man an der Schnur, so wird das Kästchen geöffnet, und die Mischung fällt auf den Daruntersitzenden?«
»Ja.«
»Was geschieht dann?«
»Das Mittel riecht sehr stark.«
»Das heißt, der Betreffende wird betäubt?«
»Ja.«
»Gut, ich bin zufriedengestellt. Sie sehen aber, daß Sie es mit keinem Schulknaben zu thun haben. Darum sage ich: Noch so eine Heimtücke, und eine Kugel fährt Ihnen in den Kopf! Setzen Sie sich!«
Der Alte kam, da der Lauf des Revolvers noch immer auf ihn gerichtet war, diesem Befehle sogleich nach.
»Und nun stehen Sie mir Rede und Antwort! Also, ich sagte Ihnen, daß Sie mir, um sich zu retten, ebenso dienen müßten, wie bisher dem Hauptmanne. Sind Sie bereit?«
»Ja.«
»Der Hauptmann darf nicht das Mindeste ahnen.«
»Ich werde zu schweigen wissen.«
»Sie stehen unter stetiger Aufsicht. Man weiß auch jetzt, daß ich bei Ihnen bin. Wäre mir Etwas geschehen, so hätten Sie den Schaden gehabt. Haben Sie noch von dem letzten Gifte, welches Sie dem Hauptmann gegeben haben?«
»Ein Wenig.«
»Wo?«
»Draußen im Vorderkeller.«
»Kann ich es bekommen?«
»Was zahlen Sie?«
»Ich bezahle sehr gut. Aber wie wirkt das Gift?«
»Es versetzt in die tiefste Lethargie.«
»Das weiß ich; ich will Anderes wissen. Auf den Geist kann dieses Mittel unmöglich so schnell wirken.«
»Nein; es wirkt allerdings nur auf den Körper; es sind gewisse Nerven, welche es lähmt.«
»Die Sprach- und Bewegungsnerven?«
»Die Ersteren ganz, die Letzteren nur theilweise.«
»Der Kranke liegt also nur scheinbar in Lethargie?«
»Ja.«
»Er sieht und hört aber Alles, was um ihn geschieht?«
»Ja.«
»Und muß sterben?«
»Ganz sicher!«
»Welch ein schrecklicher, entsetzlicher Tod! Viel, viel schlimmer noch als Starrkrampf, bei welchem es wenigstens schneller aus wird! Aber, giebt es ein Gegenmittel?«
»Ja.«
»Haben Sie das auch?«
»Gewiß!«
»Wieviel braucht man von Beiden?«
»Je nach den Monaten. Ein Tropfen des Giftes tödtet in sechs Monaten, zwei tödten in fünf, drei in vier, vier in drei, fünf in zwei, und sechs in einem Monate. Das Gegengift wird umgedreht angewandt, und zwar in geradem Verhältnisse: So viele Monate die Lethargie bereits gedauert hat, so viele Tropfen giebt man.«
»Wie schnell wirkt das Gift?«
»Binnen einer halben Stunde.«
»Und das Gegengift?«
»Binnen ganz derselben Zeit.«
»Und ich kann sie also Beide haben?«
»Wenn es gut bezahlt wird.«
»Wer aber giebt mir Bürgschaft, daß ich nicht betrogen werde?«