»Ich vermuthe, daß er oft bei uns gewesen ist, und zwar unter verschiedener Gestalt. Erst gestern – aber ich weiß nicht, ob ich das ohne Erlaubniß meines Mannes erzählen darf!«
»Sprechen Sie getrost! Ich bin weder Polizist noch Untersuchungsrichter. Was Sie mir sagen, wird verschwiegen bleiben.«
»So will ich Ihnen mittheilen, daß der Hauptmann gestern bei meinem Manne gewesen ist.«
»Ah! Fast unmöglich!«
»O doch. Nämlich des Nachts, und zwar mit dem Bruder meines Mannes.«
»Ihr Mann hat einen Bruder?«
»Ja; er ist ebenso lang und stark wie er, Kunstreiter und Seiltänzer, ein sehr schlechter Mensch.«
»Und dieser ist mit dem Hauptmanne während der verflossenen Nacht im Gefängnisse gewesen?«
»Nicht im, sondern am Gefängnisse. Sie haben sich einer Leiter bedient und meinem Manne Schnaps gegeben. Darauf ist er heute so krank geworden. Als ich zu ihm kam, wollte er mich nicht erkennen. Er klagte über den Kopf.«
Dem Fürsten fiel ein, daß der vermeintliche Architect Jacob bereits gestern ein Gift bei dem alten Apotheker geholt hatte, ein Gift, nach welchem Derjenige, dem es beigebracht wurde, auf einige Zeit in Wahnsinn verfallen mußte.
»Hat Ihr Mann das dem Assessor gestanden?«
»Nein. Er hat es mir unter vier Augen erzählt. Niemand weiter hat es gehört.«
»Hm! Thun Sie nichts Unrechtes! Ich werde zuweilen zu Ihnen kommen, um mit Ihnen über diesen Gegenstand zu sprechen. Sollten sich verdächtige Personen bei Ihnen einstellen, so sagen Sie es mir. Hier sind wir bei Ihrer Wohnung. Bitte, nehmen Sie dieses kleine Geschenk an! Sie sind eine brave Frau. Ich werde Sie nicht vergessen!«
Sie bedankte sich und stieg aus. Als sie beim Lichte der Treppenflamme nachsah, was sie erhalten hatte, erblickte sie drei funkelnde Goldstücke. Wie glücklich war sie!
Am andern Vormittage hielt die Equipage des Fürsten vor dem Palais des Barons von Helfenstein. Der Fürst stieg aus und ließ sich bei der Baronin melden.
»Verzeihung, Durchlaucht!« sagte der Diener. »Die gnädige Frau ist nicht zu sprechen.«
»Warum nicht? Ist die Dame ausgefahren?«
»Nein, sondern sie ist krank.«
»Ah! Ist es bedeutend?«
»Sie liegt seit gestern Abend bewegungslos auf einer Stelle.«
»Sie schläft?«
»Nein. Sie hat die Augen offen.«
»Melden Sie mich dem Herrn Baron!«
Es konnte dem Baron nicht einfallen, den Fürsten abzuweisen. Er nahm die Beileidsbezeugungen desselben entgegen und erzählte, daß er gestern Abend vom Casino zurückkehrend, seine Frau in einem ganz eigenthümlichen Zustande gefunden habe.
»Es war eine Apathie oder vielmehr Lethargie,« fuhr er fort, »welche auch jetzt nicht weichen will, obgleich ich die besten unserer Ärzte zu Rathe gezogen habe.«
»Hat man die Ursache dieses eigenthümlichen Krankheitszustandes zu erkennen vermocht?« fragte der Fürst.
»Leider nicht. Die Ärzte gehen in ihren Meinungen so sehr auseinander, daß es unmöglich ist, zu einem wirklichen, festen Urtheile zu gelangen!«
Der Fürst entfernte sich. Er hatte genug erfahren. Er fuhr nach dem Gerichtsgebäude, um beim Assessor vorzusprechen. Dieser theilte ihm mit, daß Robert Bertram bereits gestern noch im Krankenhause untergebracht worden sei.
»Uebrigens,« fuhr er fort, »muß ich Ihnen sagen, daß ich gestern auch diese Jüdin noch im Verhöre gehabt habe.«
»Judith Levi? Dieses Mädchen scheint in einem eigenthümlichen Verhältnisse zu dem Kranken zu stehen. Darf ich vielleicht ein Wenig wißbegierig sein?«
»Gewiß. Ich habe erfahren, daß der Vater dieses Mädchens Bertram eine Summe Geldes geborgt hat, weil dieser Letztere ein großer Dichter ist. Judith scheint in ihn verliebt zu sein.«
»Das ist interessant!«
»Wenigstens wissen wir nun auch, woher Bertram das Geld hatte, von welchem der fromme Herr Seidelmann mir sagte, daß es jedenfalls aus einer unlauteren Quelle fließe.«
Von hier aus begab sich der Fürst nach dem Krankenhause, um nach Bertram zu sehen.
Am Morgen dieses Tages hatte Judith ganz betrübt in ihrem Zimmer gesessen. Es war ihr während der Nacht kein Schlaf in das Auge gekommen, und daran war das gestrige Verhör schuld. Wer nie mit dem Gerichte Etwas zu thun gehabt hat, auf den macht eine Vorladung einen ganz eigenen Eindruck. Zudem hatte ihr Vater ganz er schrecklich raisonnirt, daß sie so unbesonnen gewesen war, nach dem Kirchhofe zu gehen.
Auch heute Morgen waren die Eltern noch nicht beruhigt gewesen. So saß sie da bei ihrem Kaffee, ohne die Tasse anzurühren. Da plötzlich hörte sie ihren Vater die Treppe heraufgepoltert kommen. Er trat ein, das Morgenblatt in der Hand, hinter ihm die alte Rebecca.
»Wirst Du errathen, weshalb ich komme, Judith, meine Tochter?« fragte er.
Sie blickte erfreut auf. Die Gesichter der Beiden waren genugsam Beweis, daß es sich um keine schlimme Nachricht handle.
»Wegen der Zeitung,« antwortete sie.
»Ja. Aber was steht darin geschrieben zu lesen gedruckt?«
»Weiß ich es? Lies es vor!«
»Es ist von dem Dichter?«
»Gott! Von Bertram?«
»Ja, von Bertram, wegen dem Du mußtest gestern erscheinen vor dem Amte des Gerichtes, wo sie sitzen zu sprechen dem Einen, daß er hat Recht, dem Anderen, daß er hat Unrecht.«
»Lies, lies! Was steht da gedruckt?«
»Es steht da gedruckt eine sehr frohe Botschaft. Höre zu Deinem Vater!«
Er las Folgendes vor:
»Was man weder vermuthete noch glaubte, es hat sich ereignet: Der Riese Bormann hat ein Geständniß abgelegt. Robert Bertram ist unschuldig. Als wir von der Missethat berichteten, ließen wir hindurchblicken, daß wir nicht an die Schuld dieses jungen, braven Mannes glaubten; diese Vermuthung hat sich nun glänzend bewahrheitet.
Uebrigens soll Bertram sich der Protection hervorragender Persönlichkeiten erfreuen, so daß zu erwarten steht, daß die letzten Ereignisse zu seinem Glücke sein werden. Er ist natürlich sofort aus der Haft entlassen worden. Leider aber ist sein Körperzustand ein so leidender, daß man sich gezwungen gesehen hat, ihn in das Krankenhaus zu überführen.
Auch der Schließer, welcher im Verdachte stand, dem Riesen Bormann das Gefängniß geöffnet zu haben, ist, wie verlautet, unschuldig. Es stehen nun noch ganz interessante Mittheilungen über den ›Hauptmann‹ zu erwarten, welche wir unseren Lesern natürlich nicht vorenthalten werden!«
Judith hatte mit leuchtenden Augen zugehört. Jetzt rief sie:
»Frei ist er also, frei! Habe ich nicht sofort gesagt, daß er unschuldig ist?«
»Ja, mein Tochterleben, das hast Du gesagt. Wie kann ein Dichter sein ein Einbrecher! Aber, weißt Du, wem er zu verdanken hat diese plötzliche freie Entlassung?«
»Nun, wem?«
»Dir! Du hast gestern gesprochen vor Gericht, um zu bezeugen seine Unschuld; darum ist er geworden frei. Er ist Dir verpflichtet zu Dank sein ganzes Leben. Er wird abstatten diesen Dank, indem er wird der Eidam von Salomon Levi und seinem Weibe Rebecca.«
»Aber wo ist er? Im Krankenhause?«
»Ja, weil er ist noch nicht geworden so schnell gesund.«
»So muß ich hin, ihn zu