Das Philippchen wollte nicht recht. Es kugelte mit dem dreijährigen Bruder, dem Johann, auf dem Boden herum; da war so allerlei: Sägspäne, die man beim Ausstopfen der Puppenkörper verstreut hatte, Papierabfälle und Kartoffelschalen; denn nur am Samstag wurde das alles zusammengekehrt, unter der Woche gönnte sich Frau Greiner nicht die Zeit. Und heute war Freitag, da waren schon Abfälle aller Art auf dem Boden und damit unterhielten sich die zwei Kleinen.
»Philippchen, geh zur Mutter,« sagte jetzt der Vater, »wenn die Marie aus der Schule heimkommt, dann darfst du wieder springen, aber jetzt mußt du halt dran, da hilft nichts.« Das Philippchen setzte sich nun auf die Bank am Tisch und nahm einen der genähten Puppenbälge. Er stülpte ihn um, das ging leicht; aber dann kam eine mühsame Arbeit: die Ärmchen und Beinchen umzukehren; doch mit seinen feinen Fingerchen konnte er das besser als große Leute. Wenn er nur auch immer fleißig weiter gearbeitet hätte; aber die Mutter spornte ihn an, wenn er seine Hände ruhen ließ:
»Philipp, was wird der Herr sagen, wenn ich morgen zu ihm nach Sonneberg komme und kann nicht so viel abliefern, als ich versprochen habe!«
»Was sagt er dann, Mutter?«
»So,« sagt er, »so wenig Bälge bringt Ihr? Der Korb ist ja nur halb voll.«
»Was sagst du dann, Mutter?«
»Dann sag’ ich: Ja, Herr, es ist ein Jammer, mein Philipp ist halt so faul.«
»Was sagt dann der Herr, Mutter?«
»Dann sagt er: ›Euch geb’ ich keine Arbeit mehr, da geb’ ich’s lieber dem Haldengreiner, der ist fleißiger.‹
»Und dann, Mutter?«
»Und dann müssen wir alle Hungers sterben.«
Auf das hin regte Philipp fleißig seine Fingerlein und sah eine ganze Weile nicht von seiner Arbeit auf.
»Es ist ein Elend, daß man’s mit allem Fleiß nicht weiter bringt,« fing der Hausvater nach einer Weile an.
»Warte nur, es kommt schon besser,« sagte die Frau, »am letzten Samstag ist in Sonneberg allgemein die Rede gewesen, daß aus Amerika große Bestellungen gekommen sind, da gibt’s Arbeit genug!«
»Was hilft’s, wenn’s nicht besser bezahlt wird? Wir bringen doch nicht mehr fertig.«
»Das mußt nicht meinen. Der Johann ist jetzt schon drei Jahre, mit vier kann man ihn schon anweisen und mit fünf hilft er so viel wie der Philipp!«
»Dafür muß der dann in die Schule, das gibt auch wieder einen Ausfall in der Arbeit.«
»Die paar Schulstunden mußt nicht so rechnen,« sagte die Frau, »die bringen sie bei Nacht herein. Dem Haldengreiner sein Achtjähriger, der hat schon manche Nacht durchgeschafft.«
»Weiß schon, dann schlafen sie in der Schul’, soll gar nicht gut sein für die Kinder; dumm und schwach bleiben sie, hat der alte Lehrer gesagt, und der neue Lehrer sagt’s auch und er hat recht.«
»Geh zu, was der Lehrer sagt, mußt nicht so anschlagen, er möcht’ halt, daß die Kinder lernen. Der alte hat’s immer gewollt, und der neue ist auch nicht besser. Da ist einer wie der andere aufs Lernen aus.«
»Aber ist’s nicht wahr, daß wir Leute schwach sind? Sogar der Schulz sagt, die wenigsten von unseren Burschen geben Soldaten.«
»Was Soldaten, wir brauchen doch keine, es ist ja seit dreißig Jahren Frieden im Land!«
»Jetzt, Frau, du redest aber dumm daher.«
Die Frau lachte. »Wird halt der Lehrer recht haben, daß wir dumm sind. Aber wieviel Nächte hab’ ich auch schon durchgeschafft! Aber was willst denn machen? Wir können’s doch nicht ändern. Geh, stopf du dir die Pfeife, daß dir die schweren Gedanken vergehen, am Samstag bring’ ich dir wieder ein Päckchen Tabak mit.«
Der Trost verfing am besten; über den Qualm der Pfeife kam der sorgliche Hausvater in gemütliche Stimmung.
Inzwischen wurde es immer dumpfer und heißer in dem Stübchen; der Johann wollte auch nicht mehr gut tun, da kam gerade zur rechten Zeit die Schwester aus der Schule heim. Sie hatte noch nicht die Bücher abgelegt, als Philipp schon den Puppenbalg aus der Hand warf, den er eben in Arbeit hatte: »Da, Marie,« rief er, »jetzt komm du her.« »Halt,« sagte der Vater, »zuerst müssen die Köpfe hinaus in die Sonne, so lang bleibst du noch sitzen, Philipp.« Der kleine fünfjährige Arbeiter setzte sich mit weinerlichem Gesicht wieder an die Arbeit; Marie nahm eines der Bretter, auf dem die Köpfe standen, und trug sie hinaus. Sie wußte schon, wie sie’s zu machen hatte: am Gartenzaun wurde ein Köpfchen neben dem andern aufgesteckt, auch auf die Fensterbretter außen wurden sie zum Trocknen gestellt, überall, wo irgend ein Platz zu finden war. An sonnigen Tagen waren gar viele Gärten und Häuser im Dorf so eigenartig geschmückt.
Jetzt kam Marie wieder zurück in die Stube; der kleine Philipp sah begierig auf, ob ihn die Schwester nun ablösen würde. Die aber nahm ihre Schiefertafel, ihr Schulbuch und ihren Griffel und machte alle Anstalten, ihre Schulaufgabe zu schreiben. Aber da erhob sich allgemeine Einsprache: »Was fällt dir denn ein, Marie,« rief die Mutter, »gerad’ nur von der Schul’ heim und wieder schreiben, du bist wohl nicht recht bei Verstand! Als ob wir keine Arbeit hätten! Elias, siehst nicht den Übermut?« rief sie dem Mann zu. Der wandte sich um und wollte auch etwas dagegen sagen, aber da kam der Husten und verhinderte die Einsprache; sie war auch nicht mehr nötig, denn der Philipp fing so laut an zu heulen, daß Marie ihren »Übermut« aufgab, die Bücher beiseite schob und des kleinen Bruders Arbeit nahm, ohne ein Wort zu sagen.
»So, Philippchen,« sagte die Mutter, »jetzt gehst du in die Wirtschaft und holst um zwanzig Pfennige Speck zu Mittag; nimmst auch den Johann mit, daß er auch sein Vergnügen hat.«
»Er hat gar keinen Rock an, darf er im Hemd mit?«
»Den Rock mußt ihm halt anziehen, er liegt in der Kammer auf dem Bett.«
»Ja, der hat schon gestern keinen Häckel mehr gehabt, den kann man nimmer zumachen.«
»Sei nicht so dumm, Philippchen, suchst eben, ob du nicht eine Stecknadel findest, daß der Rock so lange hält, bis ihr wieder heimkommt.«
»Könntest nicht so einen Häckel hinnähen?« fragte der Vater.
»Es ist halt alles zerrissen,« sagte die Mutter, »aber am Sonntag will ich’s schon richten. Johann, gelt, tust dein Röckchen schön halten, daß es auf der Gasse nicht herunterfällt!«
»Das Geld, Mutter, hast keine zwanzig Pfennig?«
»Was fragst so dumm, Philipp, du weißt doch, daß am Freitag das Geld aus ist; sag nur, die Mutter zahlt’s morgen, wenn sie von Sonneberg mit dem Geld heimkommt.« Die Kinder gingen; der Johann hielt mit beiden Händchen seinen Rock hoch, denn die krumme Stecknadel, die der Philipp gefunden hatte, taugte nicht viel und der Rock wollte immer herunterrutschen auf dem Weg zum Wirt, der zugleich der Metzger war.
»Wenn man’s doch richten könnt’,« sagte Greiner zu seiner Frau, »daß man immer gleich bezahlen täte, was man holt!«
»Der Wirt borgt gern,« entgegnete die Frau leichthin.
»Aber doch rechnet er mehr an; elf Pfennige statt zehn, wenn er hat borgen müssen, und der Krämer macht’s auch so.«
»So ist’s halt, Elias, das kannst doch nicht ändern, es war immer schon so.«
»Aber anders wär’s halt doch besser. Wenn man nur ein einziges Mal ein klein Sümmchen ins Haus bekäm’, daß man das alte zahlen könnt’ und das neue auch; von da an dürft’ mir nichts mehr auf Borg geholt werden, kein Lot Kaffee. Aber wir bringen’s nie zu einem Sümmchen und wenn wir uns die Finger wund arbeiten.«
»So red’ doch nicht so viel, mußt sonst doch nur husten, wer