2. Version
Einst in mitternächt’ger Stunde,
Als ob lang vergess’ner Kunde
Ich in alten, netten Bänden
Grübelte, das Herze schwer,
Und ich nickend kaum noch wachte,
Plötzlich ich zu hören dachte
Klopfen an der Tür es sachte.
„Ein Besucher ist es, der
Angeklopft!“ so sagt’ ich murmelnd,
„Ein Besucher ist es, der
Klopft, – nur dies – und sonst nichts mehr.“ –
O mir dünkt noch völlig klar es –
In Dezembers Bleiche war es –
Sterbend jeder Aschefunken
Malte Geister rings umher;
Heiß ersehnte ich den Morgen,
Denn umsonst strebt’ ich zu borgen
Aus den Büchern Trost für Sorgen
Um Lenore, die nicht mehr;
Um das strahlend holde Mädchen,
So genannt im Engelheer –
Hier einst namenlos so sehr.
Und das dunkle, traurig-milde
Rauschen seidnen Vorhangs füllte
Mich mit Schauer, mit phanthast’schem
Grausen, nie gefühlt vorher;
Sodass, meines Herzens Schlagen
Zu besänft’gen, ich mit Zagen
Wiederholte: „Anzufragen,
Ob nicht unwillkommen er,
Klopft noch später ein Besucher,
Ob nicht unwillkommen er,
Einlass wünschend – sonst nichts mehr!“
So mein Herz zur Ruhe bracht’ ich –
Und nicht länger zögernd sagt’ ich:
„Monsieur oder Madame – wahrlich,
Um Vergebung bitt’ ich sehr;
Doch die Wahrheit ist, ich wachte
Kaum noch recht, – und so ich dachte,
Da ihr klopftet nur so sachte,
Mich getäuscht hat mein Gehör!“
Drauf die Türe öffnet’ weit ich –
Ja – mich täuschte mein Gehör –
Nacht war draußen – sonst nichts mehr!
Tief dann in das Dunkel schauend,
Stand ich lange, staunend, grauend,
Zweifelnd, träumend, wie noch nimmer
Sterblicher gewagt vorher;
Aber Nichts brach’s tiefe Schweigen,
Und das Dunkel gab kein Zeichen;
Nur „Lenore“ klang’s im weichen
Flüsterlaute leis daher.
Ich sprach selbst es, und ein Echo
Klang „Lenore!“ leis daher –
Einzig dies – und sonst nichts mehr!
Mich zurück ins Zimmer ziehend,
Meine Seele tief erglühend,
Hört’ ich wieder bald ein Pochen,
Etwas lauter, als vorher.
„Sicher, sprach ich, ist es, dass es
An das Fenster klopfte, – lass’ es
Darum mich erforschen, was es, –
Schweig’, mein Herz, dass ich erklär’
Dies Geheimnis, nur ’ne kleine
Weile, dass ich es erklär’,
’s ist der Wind – und sonst nichts mehr!“
Öffnet’ drauf ich’s Fenstergatter,
Als ins Zimmer mit Geflatter
Stattlich schritt herein ein Rabe
Aus vergangnen Zeiten hehr;
Nicht zum Gruß sich beugt’, noch bog er,
Keinen Augenblick verzog er,
Nein, vornehmer Miene flog er
Über meine Tür’, wo er
Saß, auf einer Büst’ der Pallas,
Grad’ ob meiner Tür’, wo er
Saß sich spreizend – sonst nichts mehr.
Und der nächt’ge Vogel machte,
Dass mein trübes Herze lachte
Über’s würdige Decorum
Seiner Mien’, gedankenschwer.
„Ob gestutzt dir, sagt’ ich, immer
Sei der Kamm, bist du doch nimmer
Alter Rab’, gespenstig grimmer,
Zieh’nd vom nächt’gen Strande her;
Sag’, welch’ stolzen Namen trägst du
Vom Pluton’schen Strande her?“
Sprach der Rabe: „Nimmermehr!“
Ob des täpp’schen Vogels war ich,
Sehr erstaunt, als also klar ich
Hört’ ihn sprechen, ob die Antwort
Dunkel auch, bedeutungsleer;
Denn ich musste mir gestehen,
Wie es wohl noch nie geschehen,
Dass ein Sterblicher gesehen
Solchen Vogel, steif und hehr,
Sitzend auf der Büste über
Seiner Türe, steif und hehr,
Der geheißen: Nimmermehr!
Doch der Rabe, dort alleine,
Einsam sitzend, sprach das eine
Wort nur, als ob seine Seele
In dies Wort gegossen wär’;
Weiter Nichts hervor er brachte,
Kein Geräusch’ ’ne Feder machte,
Bis ich, kaum gemurmelt, sagte:
„Andre Freunde floh’n vorher!
Morgen wird er mich verlassen,
Wie mein Hoffen mich vorher!“
Sprach der Rabe: „Nimmermehr!“
Ich erschrak, als ward gebrochen
Durch das Wort, so klar gesprochen,