Die Faust des Riesen. Band 2. Rudolf Stratz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rudolf Stratz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711507155
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auszukommen. Wäre auch schliesslich gegangen! Meine Schwester, die Photogräphin, verdient ja selbst ihr Teil. Auf die ist nie viel verwendet worden. War nicht hübsch genug! Keine Chancen! Sie sehen, ich bin ganz offen, Herr von Brake ... ich kehr’ Ihnen hier meine Familieninterna um, wie ’nen alten Strumpf! — Aber da hatten wir nu die Helle! Über deren Vorzüge brauche ich Ihnen ja am wenigsten was zu sagen. Aber Mama sind die zu Kopf gestiegen. Sie fing an von irgend einer Bombenpartie zu träumen. Hätt’ das Mädel ja auch — hätte sie, wenn Sie nicht dazwischen gekommen wären. ... Na, wir wollen uns darüber nicht streiten — geschehen ist geschehen! Tatsache ist nur, dass meine Mutter in den letzten zwei Jahren, um die Helle ein wenig unter Menschen zu bringen, ganz unverhältnismässig über ihre Mittel gelebt hat ...“

      Der junge Mann räusperte sich.

      „‚Über ihre Mittel‘ ist eigentlich noch viel zu wenig gesagt, Herr von Brake! Man müsste sagen: Ohne Mittel und überall Schulden! Diese Schuldenlast, die Mama da nun glücklich zusammengebracht hat, namentlich in letzter Zeit, unwirtschaftlich wie sie ist und immer in Hoffnung auf die grosse Heirat, die sie gewissermassen schon mit Händen greifen konnte. ... Ich hab’ mich entsetzt, jetzt in Berlin: Lohndiener ... Abendessen mit sechs, acht Gästen, Schneiderinnenrechnungen, Hüte ... na ... nun haben wir das Finale .. . totaler Zusammenbruch. ... Ich hab’ die Sache zur Not geordnet ... Mama muss auf einige Jahre ihre Pension verpfänden ... der olle Onkel, von dem ich vorhin sprach, sagt den Leuten dafür gut ... sie zieht zu ihm nach Görlitz ... er ist ein gichtischer Oberst a. D. — Witwer ... braucht jemanden, der ihm die Wirtschaft führt. ... Meine ältere Schwester behält ihre Berliner Stellung bei, die sie ja ernährt, und mietet sich irgendwo ein ... so kann zum ersten Januar, also in vierzehn Tagen, doch der ganze Krempel aufgelöst werden. ... Einen Untermieter für die Wohnung haben wir zum Glück auch schon gefunden. Ich reise wirklich mit leichterem Herzen zurück, als ich hingefahren bin ...“

      ‚Du Gemütsmensch,‘ dachte Wend von Brake. Aber dabei stand ihm das Herz still, während jener wieder anhub: „Nun bleibt noch die Hauptsache: Meine Schwester Helle! Was mit der? Görlitz ... das geht nicht! Zweie kann mein Onkel nicht durchfuttern und was macht sie auch dort? Wir haben uns an die Adelsgenossenschaft gewandt — und man hat ja auch sonst seine Verbindungen ... es haben sich da unter der Hand zwei ganz nette Stellungen als Gesellschafterin gefunden — die eine in München, die andre bei einer Dame am Rhein. Bis Neujahr müssen wir uns entscheiden! ... Helle kann doch nicht allein in Berlin bleiben und dort ihrer Schwester zur Last fallen — nicht wahr?“

      Wend antwortete nicht. Er sah stumm den rundlichen, blühenden Unglücksboten an.

      „Und diese Entscheidung, Herr von Brake, wird im wesentlichen durch Ihre Haltung beeinflusst. Wie ich höre, betrachten Sie und Helle sich als verlobt?“

      „Ja!“

      „Sind Sie in der Lage, sie zu heiraten?“

      „Nein!“

      „Werden Sie in absehbarer Zeit in diese Lage kommen?“

      „Nein!“

      „Absolut nicht?“

      „Nur durch den etwaigen Tod meines Bruders! In dem Augenblick wäre ich ein sehr reicher Mann!“

      „Aber Ihr Bruder ist verheiratet, sehr kräftig, erst Anfang der Dreissig?“

      „Ja!“

      „Und gibt Ihnen nichts?“

      „Sicher nicht!“

      „Also liegt der Fall eigentlich trostlos?“

      „Ja!“

      Der Leutnant von Salehn stand auf.

      „Das wollt’ ich bloss von Ihnen selbst noch einmal bestätigt hören! Ja, Herr von Brake: Was nun weiter erfolgen muss, das ist doch wohl bei Leuten wie wir klar! Sie dürfen nicht länger mit dem Schicksal meiner Schwester spielen! Sie müssen sie freigeben! Völlig! ... Ist ja hart! Aber ich glaube, jeder wird Ihnen sagen, dass das Ihre Pflicht ist! Sie werden es selber fühlen — glauben Sie nicht?“

      Auch Wend hatte sich erhoben. Er stand vor dem anderen. Es zuckte in ihm: ‚Wenn er jetzt bloss drohend werden möchte, damit ich Streit mit ihm anfangen kann!‘

      Aber der kleine Herr war viel zu vorsichtig. Er sprach in versöhnlichem Ton: „Das musst’ ich Ihnen eben alles mündlich mitteilen! Das ist für beide Teile kein Vergnügen! Macht sich aber besser, als mit der dämlichen Briefschreiberei, wo man so leicht missverstanden wird. Nicht wahr — keine Missverständnisse, Herr Kamerad? Wir haben einfach vertraulich als zwei Offiziere über eine Sache gesprochen, die sich ja leider Gottes nicht ändern lässt, und ich bin überzeugt, Sie wissen nun selber ganz genau, was Sie zu tun haben werden! Es liegt mir ferne, mich da irgendwie noch mit einem Ratschlag, wie das am besten geschehen soll, aufzudrängen! Gott behüte! ... Na ... ich muss weiter ... mein Zug geht bald ... recht traurige Angelegenheit leider, die uns zusammengeführt hat. ... Tragen Sie’s mir, bitte, nicht nach, Herr von Brake ... ich hätte wahrhaftig jemanden wie Sie gerne zum Schwager gehabt!“

      Die beiden Leutnants verstummten und gaben sich schliesslich wieder die Hand. Dann verbeugte sich der kleine Offizier steif und tief und klirrte hinaus. Wend stand am Fenster und sah ihm nach, wie er eilig durch den Schnee zur Stadt hinaufstiefelte. Er rührte sich nicht. Er konnte nicht denken, nichts wollen. Vor seinen schreckensvollen Augen war nur eine ungeheure, gähnende Leere — und ein Schwindel, wie das Vorgefühl eines nahen Sturzes in diesen Abgrund ...

      Nach einer Viertelstunde kam er plötzlich zu sich ... Er setzte die Mütze auf. Mantel und Säbel trug er noch. So stürmte er auf die Strasse. Unterwegs traf er den Rekrutenoffizier der neunten Kompanie, den mädchenhaft jungen Leutnant Stürtzer, und der sagte verlegen: „Eben wollt’ ich zu Ihnen, Brake! Die anderen Herren haben mir den Kopf gewaschen wegen meiner Ungefälligkeit! Ich hab’ jetzt erst gehört, was Sie so nach Berlin zieht! Ich will gern den Dienst für Sie übernehmen!“

      „Danke schön!“ Wend drückte ihm die Rechte und eilte weiter zu seinem Hauptmann. Der schüttelte den Kopf.

      „Wieder über ’n Sonntag weg? Wissen Sie was, Brake — gehen Sie mal zum Oberst — der hat gerade gestern mit mir lange über Sie gesprochen — und bitten Sie ihn um vierzehn Tage Weihnachtsurlaub! Sie kriegen ihn! Wir werden uns inzwischen hier schon ohne Sie behelfen!“

      Ähnlich sprach kurz darauf der Regimentskommandeur zu ihm. Er liebte den jungen Offizier mit dem schönen, alten Namen besonders, den er sich für das kommende Frühjahr zu seinem Adjutanten ausersehen hatte.

      „Sie sind bis zum dritten Januar beurlaubt! Benutzen Sie mal die Zeit und kommen Sie in Berlin mit allem gründlich ins reine, Brake!“ sagte er ernst. „Das wünschen wir Ihnen insgesamt! Ich möchte nicht, dass ein so tüchtiger Offizier wie Sie auf die Dauer durch derlei Konflikte aus seiner Form gerät. Denn es ist in letzter Zeit etwas Fremdes in Ihnen! Es ist eben jetzt, wie Sie mich ansehen, in Ihren Augen ein Ausdruck, der mich direkt beunruhigt! Na ... nur Mut! Seien Sie ein Mann! Und nun reisen Sie mit Gott!“

      Es war spät nachmittags, als der Leutnant von Brake in Berlin anlangte. Er fuhr sofort nach der Wohnung seines Freundes Malchow. Er hatte sich nicht angemeldet. Aber er wusste: ein Nachtquartier war dort für ihn immer bereit.

      Der lange Pommer war noch im Dienst. Er hatte jetzt viel zu tun. Auch die Geheimrätin war ausgegangen. Das Mädchen führte den Gast in den Salon. Dort sass Mielke, die Tochter des Hauses. Sie begrüsste ihn mit einem kräftigen Händegeschüttel, so wie sie kameradschaftlich ungeniert mit den Herren ihrer Bekanntschaft zu verkehren pflegte. Mama käme gleich. Damit fing sie schon an, vom Hundertsten und Tausendsten zu reden. Es war so ihre Art. Wer ihr zuhörte, war ihr gleich dabei. Es blieb das gleiche Lippenwerk. Wend, der zerstreut daneben sass, hatte immer das Gefühl, als sprängen dabei kleine Spatzen in ihrem weissblonden Strubbelkopf von Ast zu Ast ...

      Er wusste: es war immer die stille Hoffnung seines Freundes Malchow gewesen, dass er, Wend, und dessen Schwester einmal sich heiraten würden. Es war niemals davon geredet worden. Aber es hätte alles so gut gepasst.