»Ich bleibe bei dir und werde die beiden Streithähne trennen, falls es zu bunt wird«, beantwortete er die Frage seiner Mutter und zwinkerte ihr zu.
Daniel war inzwischen ans Bett von Bertram Quadt getreten. Er hatte sich vorgestellt und den Ablauf der Operation erläutert.
»Wie fühlen Sie sich?«, fragte er am Ende seiner Erläuterungen.
»Ehrlich?« Bertram lächelte gequält.
»Sie müssen nicht den Helden spielen. Aber ich verspreche Ihnen, dass wir unser Bestes geben, damit die Familie am Ende wieder glücklich vereint ist.«
»So weit wird es wohl nicht kommen«, erwiderte Bertram Quadt geheimnisvoll. »Aber ehrlich gesagt bin ich schon froh, wenn Leo und ich die Klinik auf unseren eigenen Beinen verlassen können.«
»Dann sind wir ja schon mal zu zweit!« Dr. Daniel Norden nickte seinem Patienten aufmunternd zu, Er trat zu seiner Frau und wünschte ihr mit einem Kuss viel Glück. Eine Schwester half ihm in den Kittel und verknotete die Gesichtsmaske im Nacken. Derart vorbereitet, betrat Daniel den Operationssaal, wo das Team schon auf den Klinikchef wartete.
*
»Ach, du liebe Zeit!« Fassungslos starrte Marita auf den Bildschirm des Computers. »War ja klar. So was kann auch nur mir passieren.«
»Was ist los?«
Renate, die beschlossen hatte, bei ihrer Freundin zu bleiben und ihr zu helfen, bahnte sich einen Weg durch das Chaos hinüber zum provisorischen Schreibtisch. »Hast du etwa Antwort von deinem Märchenprinz?«
Marita saß auf dem Stuhl. Sie hatte die knallroten Wangen in die Hände gelegt und starrte auf die Zeilen, die ihr Flirt ihr geschrieben hatte. Ihre Hände waren eiskalt, ihre Wangen glühten wie Feuer.
»Und ob«, stöhnte sie. »Wo ist das Loch, in dem ich mich für den Rest meines Lebens verstecken kann?«
Renate ahnte immer noch nicht, worum es ging. Sie nahm sich die Freiheit, beugte sich über Maritas Schulter und überflog den Text. Im Gegensatz zu ihrer Freundin begann sie haltlos zu prusten.
»Ich wüsste nicht, was es da zu lachen gibt«, fauchte Marita. Sie wusste nicht, ob sie mitlachen oder in Tränen ausbrechen sollte. »Du könntest ruhig ein bisschen Mitgefühl haben.«
»O Liebes, das ist zu schön!« Renate lachte und lachte, bis ihr die Tränen über die Wangen liefen. »Der Arzt und die Journalistin fallen auf alte Fotos im Internet herein. Daraus könntest du einen Roman machen.«
»Als Warnung an meine Mitmenschen, auch in der digitalen Welt die Anstandsregeln zu wahren und keine falschen Spiele zu treiben«, murmelte Marita, während Renates Idee schon in ihrem Kopf zu arbeiten begann. »Denn hier wie dort haben wir es mit ganz normalen Menschen zu tun, die ein Herz und Gefühle haben.«
Renate richtete sich auf und fuhr sich mit dem Ärmel übers Gesicht, um die Tränen zu trocknen. Ihre Gedanken waren schon weitergeeilt.
»Das ist ein schöner Schlusssatz für deinen Roman.«
»Und was ist mit dem Happyend?« Auch Marita hatte sich inzwischen gefangen. Wieder und wieder überflog sie Matthias’ freundlichen Text. »Er findet mich sympathisch und könnte sich eine Freundschaft vorstellen. Mehr aber auch nicht.«
»Erstens ist das schon eine ganze Menge. Freunde kann man nie genug haben«, gab Renate zu bedenken. »Und zweitens: Wenn du ehrlich bist, ist er doch gar nicht dein Typ Mann. Das hast du dir nur eingeredet, weil es so schön gewesen wäre. Die große Liebe, gefunden im Internet!« Schwärmerisch verdrehte sie die Augen. »Elvira hätte dich hochkant rausgeworfen.« Schon wieder musste Renate kichern.
»Das muss sie vielleicht gar nicht.« Marita wandte sich dem Computer zu. Sie schloss die Seite der Partnerbörse, öffnete ein neues Dokument und wollte drauflos tippen.
Der stechende Schmerz in ihrer Schulter erinnerte sie an Matthias’ Arbeitsverbot. »Kannst du mal bitte für mich schreiben?«, bat sie ihre Freundin und stand auf.
Renate rutschte auf den Stuhl und sah sie fragend an.
»Der Internet-Märchenprinz«, diktierte Marita. »Ein modernes Märchen.« Sie nickte zufrieden. »Gar nicht schlecht für den Anfang. Ein Roman mit Flirttipps extra für Internetportale. Das wird mein erster Bestseller«, versprach sie und lächelte. »Zum Glück habe ich eine blühende Fantasie.« Einen kleinen, heißen Moment lang hatte sie Matthias’ Gesicht vor Augen; sein freundliches Lachen; den Schalk in seinem Blick. Ganz kurz fragte sie sich, ob er nicht doch ihr Typ gewesen wäre. Doch ihre Chance war verspielt. Auf diese Frage würde sie keine Antwort mehr bekommen.
*
Während im Operationssaal unter Zeitdruck gearbeitet wurde, schien die Zeit vor den Türen beinahe stillzustehen. Zuerst saßen Alexandra und Nicole auf unterschiedlichen Bänken an den entgegengesetzten Enden des Flures. Irgendwann erhob sich eine nach der anderen, und sie wanderten aneinander vorbei auf dem Gang auf und ab. Dabei vermieden sie es, sich direkt anzusehen. Schließlich standen die Schwestern nebeneinander vor den Türen und warteten mit bangen Herzen auf das Ende der Operation. Immer wieder schickten sie sich verstohlene Seitenblicke. Es war schließlich Alexandra, die das Schweigen brach.
»Hast du Angst um Bertram?«
»Natürlich. Er ist mein Mann und der Vater meiner Kinder«, erwiderte Nicole gereizt. Als sie bemerkte, wie Alexa zusammenzuckte, taten ihr ihre Worte leid. »Aber es ist etwas anderes, als wenn eine Mutter um ihr Kind bangt«, fuhr sie versöhnlich fort. Das lag auch an dem Anliegen, das sie hatte. Sie wollte schon fortfahren, als Alexa ihr zuvorkam.
»Erinnerst du dich noch an Großmutters Worte?«, fragte sie versonnen. »Ein Mann geht von der Seite. Aber ein Kind geht vom Herzen.«
»Ich entsinne mich gut.« Diese Bemerkung kam Nicole gerade recht. »Leo wurde mir auch aus dem Herzen gerissen. Und jetzt, da ich ihn wiedergesehen habe, weiß ich, wie sehr er mir gefehlt hat. Ich will ihn so gern kennenlernen.« Sie spürte, wie ihre Schwester neben ihr erstarrte. Bevor Alexa explodieren konnte, fuhr sie schnell fort. »Könntest du dir vorstellen, uns, also Bertram und mir, die Gelegenheit zu geben, Teil eures Lebens zu werden?«
Alexandra starrte ihre Schwester an, als hätte die von ihr verlangt, sich die rechte Hand abzuhacken.
»Das ist nicht dein Ernst!« Vor Schreck war ihr das Blut in die Beine gesackt. Ihr wurde schwindlig. Haltsuchend stützte sie sich an der Wand ab. »Leo ist alles, was ich noch habe. Du kannst ihn mir nicht wegnehmen. Ich liebe ihn doch so sehr.« Alexa atmete tief, um die drohende Ohnmacht abzuwehren. »Ich bin Bertram sehr dankbar. Er hat seinem Kind zum zweiten Mal das Leben geschenkt. Das werde ich ihm nie vergessen.« Sie sah Nicole an, die neben ihr stand und schwieg. Tränen stiegen ihr in die Augen. »Haben wir alle nicht genug zerstört? Kann das nicht irgendwann vorbei sein?«, fragte sie flehend. Tränen rannen ihr über die Wangen.
Nicoles Miene wurde hart.
»Ich wüsste nicht, was ich zerstört haben sollte. Du hast diese alberne Geschichte eingefädelt. Es war alles deine Idee!«
»Ich war verzweifelt und wünschte mir nichts mehr als ein Kind. Da kommt man schon mal auf dumme Gedanken«, verteidigte sich Alexandra leidenschaftlich. »Und glaube mir, diese Dummheit habe ich teuer bezahlt. Du dagegen hast alles. Das war schon immer so. Die hübsche, clevere, raffinierte Nicole.« Sie bedachte ihre Schwester mit einem letzten, verschwommenen Blick aus rotgeweinten Augen, ehe sie sich abwandte.
*
Während die beiden Frauen vor dem Operationssaal stritten, kämpften die Ärzte drinnen um Leos Leben. Eine gefühlte Ewigkeit später fiel die Anspannung vom gesamten Team ab. Es war, als ob der Raum aufatmete.
»Lass mich, Arzt! Ich bin durch!«, verlangte Dr. Klaiber von seiner Kollegin Fee Norden.
Sie lachte auf und machte Platz, damit er seine Handschuhe in den Abfall werfen konnte. Auch die anderen Kollegen lachten. Sie begannen zu plaudern und zu scherzen.
Dr.