»Wie man es nimmt. Ein Knochenbruch ist niemals ein Spaß.«
»So meinte ich das ja auch nicht. Aber es hätte noch viel schlimmer kommen können. Immerhin ist sie vom Stuhl gefallen. Sie hätte sich den Oberschenkelhals brechen können.«
»Das ist richtig«, stimmte Daniel dem Enkel zu. »Um sicher zu gehen, dass wir auch ja nichts übersehen haben, habe ich auch noch eine CT angeordnet.«
Christian legte den Kopf schief.
»Sie denken, Oma ist doch schwerer verletzt?« Christians Atem ging schneller. »Was verschweigen Sie mir?«
Daniel hob die Hände.
»Eine reine Vorsichtsmaßnahme«, versicherte er. »Wie Sie selbst vorhin gesagt haben, ist Ihre Großmutter von einem Stuhl gefallen. Da ist es durchaus denkbar, dass sie sich innere Verletzungen zugezogen hat, die von außen nicht erkennbar sind.«
»Wenn Sie nichts finden, kann ich sie aber mit nach Hause nehmen, oder?«, fragte Christian.
Seine Meinung, die wie ein Fähnchen im Wind mal nach rechts, mal nach links flatterte, irritierte Daniel.
»Ehrlich gesagt möchte ich Frau Berger gern über Nacht hierbehalten. Immerhin ist sie ohnmächtig geworden. Das könnte ein Hinweis auf eine Gehirnerschütterung sein.«
»Das glaube ich nicht. So schlimm war der Sturz nun auch wieder nicht«, winkte Christian ab. Er beugte sich ein Stück vor. »Sie wissen doch, wie ältere Herrschaften so sind. Sie stehen ab und zu gern im Mittelpunkt und machen sich ein bisschen wichtig«, raunte er dem Klinikchef zu.
Daniel wich zurück und runzelte die Stirn.
»Diesen Eindruck habe ich bei Frau Berger überhaupt nicht. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen wollen.« Er nickte dem jungen Mann zu und ließ ihn auf dem Flur stehen.
*
Auf den Klinikfluren herrschte rege Betriebsamkeit. Licht aus verborgenen Lampen beschien die Gesichter der Besucher, die geschäftig über den Gang eilten. Das Klappern der Sohlen und Schnalzen der Flipflops hallte von den Wänden wider. Genau wie das Raunen und Murmeln der Ärzte, die in einer Ecke zusammenstanden und erregt diskutierten. Zwei Schwestern bogen um die Kurve und positionierten ihren Wäschewagen neben Dr. Lammers’ Büro. Die beiden steckten die Köpfe zusammen.
»Wenn ich es doch sage! Ich habe es genau gesehen!«, raunte Josefa ihrer Kollegin zu. »Heute Nacht war die Petzold schon wieder bei Jakob.« Sie glucksten wie Kinder beim Versteckspiel.
»Ich habe die beiden vorgestern beinahe in flagranti erwischt.« Schwester Astrid wollte ihrer Kollegin in nichts nachstehen. »Obwohl die Petzold Spätschicht hatte, ist sie am frühen Morgen aus seinem Zimmer gekommen. Gerade als ich reingehen wollte.«
»Bist du sicher?«
»Ich habe im Dienstplan nachgeschaut.« Astrid sah sich um.
Polternde Schritte übertönten die Geräuschkulisse. Sie näherten sich rasch. Dr. Lammers bog um die Ecke.
»Werden Sie für’s Tratschen bezahlt oder für die Arbeit?«, fauchte er, ohne innezuhalten. Im nächsten Augenblick fiel die Bürotür hinter ihm ins Schloss, dass die Wände zitterten.
Josefa verdrehte die Augen gen Himmel.
»Au weia! Welche Laus ist dem denn schon wieder über die Leber gelaufen?«
Astrid nahm zwei Handtücher aus dem Wagen, um sie ins nächste Zimmer zu bringen.
»Vielleicht ist er eifersüchtig auf den hübschen Jakob«, mutmaßte sie, während ihre Hand über den flauschigen Stoff strich.
»Wir werden es leider nie erfahren«, seufzte Astrid und machte sich auf den Weg.
Im nächsten Moment rumpelte es. Ein Aufschrei ertönte, gefolgt von einem dumpfen Knall. Schlagartig verstummte das Summen im Klinikflur. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können.
Auch Fee Norden in ihrem Büro horchte auf. Im nächsten Moment war sie auf den Beinen und lief hinaus.
»War das Lammers?«, fragte sie in die erschrockenen Gesichter.
Astrid und Josefa nickten stumm und sahen der Chefin der Pädiatrie nach, wie sie in das Büro ihres Stellvertreters stürzte.
»Lammers! Was machen Sie denn da?«
Eingekeilt zwischen Paket und Schreibtisch zappelte ihr Stellvertreter wie ein Käfer auf dem Boden. Felicitas musste nur eins und eins zusammenzählen, um zu wissen, dass er über den Karton gestolpert sein musste. Doch wie das Paket dorthin gekommen war, davon hatte sie keine Vorstellung.
»Das haben Sie mit Absicht gemacht«, knurrte er. Er streckte die Arme nach ihr aus und zog sich Halt suchend an ihr hoch. Unter seinem Gewicht ächzte und schwankte Fee wie eine Tanne im Wind.
»Keine Angst. Ich hätte dafür gesorgt, dass Sie sich gleich den Hals brechen«, presste sie durch die Zähne. »Das Paket schien mir ungeeignet für diese Zwecke. Deshalb habe ich es auf den Schreibtisch gestellt.«
Als es Volker endlich gelungen war, sich aufzurichten, standen ihm Schweißperlen auf der Stirn. Er setzte den Fuß auf den Boden. Ein greller Schmerz durchzuckte ihn, ihm wurde schwarz vor Augen.
Als er sie wieder aufschlug, lag er auf einer Behandlungsliege. Bilder an den Wänden, leere Betten und überraschte Gesichter glitten an ihm vorüber.
»Was? Wo? Wohin … ?«
»Liegen bleiben! Wir sind gleich in der Radiologie.«
Kraftlos fügte sich Lammers in den Willen seiner Chefin. Er sank auf die Liege zurück und spürte dem pochenden Schmerz in seinem Bein nach.
»Das ist bestimmt gebrochen.« Er ballte die Hand zur Faust. »Das werden Sie mir büßen.«
»Gern geschehen. Es war mir ein Vergnügen, Ihnen zu helfen«, schnaubte Felicitas. Sie verlagerte das Gewicht nach links und lenkte das Bett millimetergenau um die Ecke.
»Ist das Ihre Art von Rache für die korrigierte Patientenakte?«
»Sie sollten nicht von sich auf andere schließen«, gab Fee ihm einen Rat und stemmte die Fersen in den Boden. In Schrittgeschwindigkeit fuhren sie auf die Glastüren zu.
Sie öffneten und schlossen sich gespenstisch leise. In der Radiologie wurden sie von grellem Neonlicht empfangen. Schnuppernd hob Fee die Nase.
»Hier könnten die Aromaspezialisten auch mal ans Werk gehen.«
»Es reicht, wenn die Leute in der Lobby und in der Ladenzeile beduftet werden.«
Fee spitzte die Ohren.
»Ach, Sie wissen davon?«
Am liebsten hätte sich Lammers selbst geohrfeigt. War es möglich, dass die Schmerzen sein Hirn lähmten?
»Ich habe gehört, wie sich Patienten darüber unterhalten haben.«
Seine Stimme verriet, dass er log. Fee öffnete den Mund, um nachzuhaken, als der Radiologe Dr. Witt zu ihnen trat.
»Dann wollen wir mal sehen, wo der Schuh drückt«, scherzte er.
Wenn Blicke töten könnten, wäre er auf der Stelle umgefallen. So aber griff er nach der Liege mit dem Kollegen darauf und verschwand hinter dicken Türen, nicht ohne Fee vorher zu versprechen, sie auf dem Laufenden zu halten.
*
»Haben Sie eine Ahnung, wo Frau Petzold schon wieder steckt?« Die Frage sprang ins Schwesternzimmer, noch ehe Matthias Weigand den Kopf zur Tür hereingesteckt hatte.
»Haben Sie es schon einmal beim schönen Jakob versucht?«, platzte Schwester Josefa heraus.
»Wollten Sie nicht die Bettschüsseln leeren?«, fragte Elena in ihrer Eigenschaft als Pflegedienstleitung.
Josepha