»Es dauert nicht lange«, entschuldigte er sich in Fuchs‘ Richtung.
»Meinetwegen können Sie auch bleiben«, schlug Matthias vor in der Hoffnung, schneller wieder zu seiner Patientin zurückkehren zu können.
Daniel überlegte kurz und beschloss, diesen Vorschlag anzunehmen. Im Beisein des Verwaltungschefs teilte er Matthias seine Meinung mit.
»Ich bin absolut von meinem Therapieansatz überzeugt«, erklärte der, nachdem er sich angehört hatte, was Dr. Norden ihm zu sagen hatte. »Danny spielt doch nur die beleidigte Leberwurst, weil er denkt, ich respektiere seine Entscheidung als Allgemeinarzt nicht. Dabei geht es um das Wohl des Patienten. Um nichts anderes«, hielt er eine flammende Rede zu seiner Verteidigung. »Nichts für ungut. Aber meiner Ansicht nach fehlt es ihm manchmal noch an Erfahrung.«
»Sie dürfen nicht vergessen, dass unsere Klinik von genau diesen Allgemeinärzten lebt.« Dieter Fuchs sah seine Chance gekommen, sich in das Gespräch einzubringen. Außerdem wusste er nicht, ob Jenny Behnisch schon gepetzt hatte, und hielt es für klug, Daniel Norden gewogen zu stimmen. »Ohne diese Überweisungen hätten wir einen eklatanten Bettenleerstand, den wir gar nicht kompensieren könnten.«
»Oh, tut mir leid.« Ein spöttisches Lächeln auf den Lippen, drehte sich Weigand zu ihm um. »Ab sofort werde ich den kaufmännischen Aspekt bei jeder meiner Behandlungen berücksichtigen.«
»Ich muss doch sehr bitten!« Daniel Norden ärgerte sich über den Ton des jungen Kollegen. »In Zukunft erwarte ich eine bessere Kommunikation. Bevor mit Patienten über mögliche oder unmögliche Therapien gesprochen wird, sollten sich die behandelnden Ärzte absprechen«, sprach er ein Machtwort.
»Natürlich. Es tut mir leid«, schlug Matthias einen versöhnlichen Tonfall an. Wenn er ehrlich gewesen wäre, hätte er zugeben müssen, nur mit einem Ohr zugehört zu haben. Seine Gedanken kreisten immer noch um die Behandlung. »Abgesehen davon ist Frau Stallers Erkrankung noch nicht in einem Stadium, das zwingend eine Operation erfordert.«
Daniel wiegte den Kopf.
»Das ist ein wichtiges Argument«, räumte er ein. »Ohne medizinische Indikation sollten wir uns den Alternativen nicht verschließen.« Er ignorierte Weigands zufriedenes Gesicht und machte eine nachdenkliche Pause. »Allerdings liegt die letzte Entscheidung – wie vorhin schon erwähnt – bei der Patientin. Außerdem würde ich es begrüßen, wenn du das Verfahren noch einmal gründlich mit Danny diskutierst.«
»Natürlich«, gab sich Matthias Weigand zähneknirschend geschlagen. »Kann ich jetzt gehen? Frau Staller wartet auf mich.«
»Selbstverständlich.« Dr. Norden rang sich ein Lächeln ab und sah dem Kollegen nach, wie er mit eiligen Schritten das Büro verließ.
»Chapeau, Kollege Norden.« Im Sessel sitzend zog Dieter Fuchs einen imaginären Hut vor dem neuen Klinikchef. »Sie haben die erste Klippe beeindruckend umschifft.«
»Da bin ich mir noch nicht ganz sicher«, seufzte Daniel. Einen Moment lang schweiften seine Gedanken ab. Dann konzentrierte er sich wieder auf seinen Besucher, um mit ihm das Gespräch fortzusetzen, das sie beim Eintreffen Weigands unterbrochen hatten. Ein wenig Zeit blieb ihm noch, ehe er sich auch von Dieter Fuchs verabschieden musste. An diesem besonderen Tag hatte er noch eine Aufgabe zu erledigen, die er auf keinen Fall versäumen durfte.
*
Als Matthias Weigand zu seiner Patientin zurückkehrte, fand er sie in heller Aufruhr. Sie machte kein Geheimnis aus dem Grund dafür.
»Jannis war gerade hier. Er ist stinksauer, dass ich mich doch nicht operieren lassen will.« In Sarinas Augen brannten Tränen, die sie tapfer zurückdrängte. »Wenn ich nur wüsste, was ich tun soll.«
»Darf ich fragen, warum er wütend auf Sie ist?«, fragte Matthias und trat ans Bett.
»Er denkt, ich bin feige.« Ihr Seufzen war herzerweichend. »Und eigentlich stimmt das ja auch.«
»Wovor haben Sie Angst?«, erkundigte sich Dr. Weigand mitfühlend.
Über diese Frage dachte Sarina kurz nach.
»Davor, dass eine Operation schief geht. Dass ich vielleicht nicht mehr aufwache. Oder wenn doch, dass ich nicht mehr laufen kann«, gestand sie leise. Es war offensichtlich, dass sie sich für diese Gefühle schämte. »Deshalb wären mir die Spritzen lieber.«
Matthias hatte aufmerksam zugehört und auch schon eine Antwort parat.
»Verständlich. Bei all dem dürfen Sie nicht vergessen, dass es um Sie geht. Sie allein müssen Ihren Weg finden. Das kann keiner für Sie tun. Deshalb müssen Sie auch Ihre Entscheidung selbst treffen.«
»Ich weiß …« Sarina hielt inne. Nervös zupfte sie mit den Zähnen an der Unterlippe. Als Matthias schon dachte, dass sie ihn vergessen hatte, holte sie plötzlich tief Luft und hob den Blick. »Also gut. Probieren wir Ihre Methode. Wenn die nicht klappt, kann ich mich ja immer noch operieren lassen.«
»Eine kluge Entscheidung!« Dieses Lob konnte sich Dr. Weigand ebenso wenig verkneifen wie die Genugtuung angesichts dieser Entscheidung. »Ich werde alles tun, damit Sie es nicht bereuen«, versprach er. Im nächsten Moment eilte er aus dem Zimmer, um alles für den Eingriff zu veranlassen. Das Versprechen, dass er Dr. Daniel Norden gegeben hatten, war längst vergessen.
*
Tatjana stand in der Tür zum Kiosk und lugte den Gang hinunter. Bevor sie etwas erkennen konnten, hörte sie die Schritte von zwei Personen. Eine Frau mit federleichtem Tritt begleitete einen Mann, den sie kannte wie ihren eigenen Vater.
»Sie kommen!«, zischte sie Lenni zu, die hinter ihr stand und versuchte, einen Blick über Tatjanas Schulter zu erhaschen. Dieses Vorhaben vergaß sie sofort. Wie besprochen gab sie ihrem Lebensgefährten Oskar ein Zeichen. Er hielt die kleine Runde der Lieblingskollegen in Schach, die sich auf Tatjanas Initiative hin in ihrem Kiosk versammelt hatten. Jeder hielt ein Glas Sekt und eine Rose in der Hand und wartete auf den großen Auftritt.
»Auf drei!«, befahl Oskar leise und hob die Hand wie ein Dirigent. »Eins, zwei, drei!« Auf sein Kommando stimmte Andrea Sander das bekannte Lied von Trude Herr an. »Wenn man Abschied nimmt, geht nach unbestimmt, mit dem Wind wie Blätter wehn …« Hell und klar klang ihre Stimme durch den Raum und nach und nach stimmten die Kollegen ein. Die anderen von Jenny Behnisch besonders geschätzten Mitarbeiter stimmten ein.
Lenni war sprachlos.
»Ich wusste gar nicht, dass die Sander so gut singen kann.«
Tatjana lachte zufrieden.
»Es gibt wahrscheinlich noch vieles, was wir nicht wissen. Und ehrlich gesagt bin ich froh darum. Aber pssst.« Die Schritte draußen waren verstummt. Daniel und Jenny waren auf Höhe des Kiosks stehen geblieben.
»Hörst du das?«, fragte sie überrascht.
Daniel nickte.
»Das kommt aus dem Kiosk. Willst du nicht nachsehen?« Er war in die Aktion eingeweiht und hatte die Aufgabe gehabt, Jenny zur verabredeten Uhrzeit an diesen Platz zu locken.
Sie musterte ihn aus schmalen Augen.
»Gib’s zu! Du weißt Bescheid.«
Statt einer Antwort schob er sie in Richtung Kiosk.
»Los, rein mit dir, bevor es vorbei ist.«
Als Jenny Behnisch auf die Tür zuging, fühlte sie sich um Jahre zurückversetzt in die Zeit, als sie ein schüchternes, unscheinbares Schulmädchen gewesen war. Wie viele Jahre waren seither vergangen! Doch die Gefühle waren noch immer da. Ihre Hand zitterte, als sie die Tür aufdrückte. Gerade rechtzeitig, als die letzte Zeile des Liedes erklang.
»Nie verlässt man sich ganz. Irgendwas von dir geht mit. Es hat seinen Platz immer bei mir.«
Jenny spürte die Hand, die sich auf ihre Schulter legte. Daniel war hinter sie getreten. Das Lied war zu Ende, und die Mitarbeiter versammelten