Wir hatten kein Haus wie die andern an sicherem Berghang
Wir mussten immer weiterwandern
Im Schnee der weder Salz noch Zucker war
An runden Kegeln des Mondes entlang
Du riefst nach deinen Schutzvögeln
Die hoch im Äther zu den Gräbern Afrikas flogen
Die Straße des Vergessens machte große Schleifen
Und keine blasse Blume sann am Weg
Gen Mitternacht fand sich eine Aschenhütte
Man hörte das lachende Bellen der Wölfe
Mit Fackeln hielt ich sie fern
Und fing im Nesselbach einen Ölfisch
Der uns lange erwärmte
Breit war das Bett aus geschnitztem Schnee
Und da geschah das Wunder:
Dein goldener Leib erstrahlte als nächtliche Sonne
Nach mehreren Krankenhausaufenthalten in Straßburg und Paris starb Yvan Goll am 27. Februar 1950 im amerikanischen Hospital in Neuilly bei Paris und wurde am 3. März 1950 auf dem Cimétière Père Lachaise in Paris provisorisch beigesetzt. Am 20. Dezember 1955 fand er ebendort seine letzte Ruhestätte gegenüber dem Grab des Komponisten Frédéric Chopin. Das Grabrelief mit der Zeichnung Marc Chagalls aus dem Jahr 1925 schuf Jean Longuet, ein Urenkel von Karl Marx. Die Totenrede hielt der französische Dichter Jules Romains. Der Spruch auf der Grabplatte stammte aus Golls Gedicht Identité de Jean sans Terre:
Je n’aurai pas duré plus que l’écume
Aux lèvres de la vague sur le sable
Né sous aucune étoile un soir sans lune
Mon nom ne fut qu’un sanglot périssable
*
Bald geh ich wie ein flüchtiger Schaum verloren
Den auf den Strand die Wogenlippe schob
Mondlos und unter keinem Stern geboren
Mein Name war ein Seufzer der zerstob
Deutsch von Lothar Klünner
Yvan Goll: Tagebucheintrag am 15. Dezember 1939
„Einmal öffnet sich in jedem menschlichen Leben ein goldenes Tor. Es dreht sich langsam wie eine Drehtür, in ein niegesehenes Licht gebadet, dich mit tausend Strahlen blendend. Du ahnst es nicht, daß dies der Einlaß ist zur Erfüllung deines Lebens. Du gehst, die Hände ausgestreckt, denn eine seltsam warme Stimme ruft von innen. Es hängt von deinem Genius ab, von deinen Gaben, instinktiven Erfahrungen, ob du hindurchgelangst. Gelingt es, so wird alles einfach und leicht, du wirst ein Hochgeborener, du hast das Wunder erlebt ein Sieger zu sein. Wenn nicht, schließt sich die Pforte für immer. Sie wird schwarz und schwer. Eine hohe Wand trennt dich vom ewigen Licht. Du fällst in die Nacht der Sklaven zurück. Nie wieder öffnet sich das helle Tor.“
(In: Barbara Glauert-Hesse, Yvan und Claire Goll, Bücher und Bilder. Katalog der Ausstellung im Gutenberg-Museum zu Mainz. Mainz: von Zabern 1973, S. 86)
BARBARA WIEDEMANN
„Celan zerrüttet, C.G. zerrüttet, die ganze Welt ein Hospital.“
Neues Material zur sogenannten Goll-Affäre
Das Franz-Michael-Felder-Archiv in Bregenz konnte in den Jahren 2018 und 2019 unter anderem Material aus dem Nachlass des Darmstädter Buchhändlers und Sammlers Robert Warnebold (1934 – 2017) zur sogenannten Goll-Affäre erwerben, das aus dem Besitz des US-amerikanischen Germanisten Richard Exner (1929 – 2008) stammt. Wie die entsprechende, ebenfalls im Archiv befindliche Korrespondenz zeigt, sind die Dokumente 1981 an Warnebold verkauft und persönlich übergeben worden. Im Mai 1981 schreibt Exner nach Darmstadt: „Mir wäre es recht, wenn Sie die ganze Celan/Goll Sache übernähmen. Eines Tages nach soundsoviel Jahren kann dann ja jemand drüber schreiben. Mich interessiert es nicht mehr. Nur noch als Wert.“1
Diejenigen aber, die sich heute mit dem, was Exner „Celan/Goll Sache“ nennt, oder ganz allgemein mit der Atmosphäre in der Bundesrepublik Deutschland um 1960 beschäftigen möchten, muss es interessieren. Denn das neu zugängliche Material ist eine wertvolle Ergänzung zu den vielen hundert Dokumenten, die ich für meine Dokumentation Paul Celan – Die Goll-Affäre. Dokumente zu einer ‚Infamie‘2 gesichtet habe und, was die Briefe betrifft, nur in Auswahl publizieren konnte, aber eine Ergänzung auch zu den zahlreichen Publikationen von Personalbriefwechseln Celans, die folgten. Neben dem Pressematerial stand mir damals noch Unpubliziertes – Notizen von Celan und Claire Goll sowie Briefe – vorwiegend aus Celans Nachlass im Deutschen Literaturarchiv Marbach (DLA) und dem ebenfalls dort befindlichen Teilnachlass von Yvan und Claire Goll zur Verfügung, ergänzt durch weiteres Marbacher Material anderer Herkunft, dazu Einzelnes aus anderen Archiven und Privatbeständen – der von Richard Exner gehörte nicht dazu.
Richard Exner hatte mir 1998 bei einem Gespräch in München mitgeteilt, dass er sein Material zur Sache teils vernichtet, teils verkauft habe. Obwohl es durchaus in seinem Interesse lag, das eine oder andere von Dritten genannte Dokument, auf das ich ihn hinwies, noch aufzufinden, erfuhr ich nie den Käufer. Möglicherweise wollte er vermeiden, dass ich Einblick in ihm unangenehme Briefe Claire Golls an ihn nehme, die er bis zu seinem Tod der Diskretion Warnebolds anvertraut hatte.3 Auch durch spätere Bestandsergänzungen in Marbach, etwa die Verlagsarchive der Deutschen Verlags-Anstalt und des S. Fischer Verlags, aber auch durch Vor- und Nachlässe in anderen Archiven konnten die Lücken nicht gefüllt werden; zum Teil waren sie nicht einmal bekannt.
Der Name Richard Exner ist insofern eng mit der Affäre verbunden, als er sie letztlich ins Rollen gebracht hat, ohne damals allerdings Hintergründe oder Tragweite kennen zu können. Bei einer Lesung von Claire Goll aus Yvan Golls Nachlass-Band Traumkraut4 in Los Angeles Anfang August 1953 fielen dem aufmerksamem Lyrik-Leser Ähnlichkeiten mit Celans Mohn und Gedächtnis5 auf, mit dem er sich gerade intensiver beschäftigte, und er sprach mit ihr darüber. Diese Ähnlichkeiten gibt es tatsächlich, und sie sind weder zufällig noch, wie später nur scheinbar entlastend formuliert wurde, in der europäischen Moderne kursierenden „wandernde[n] Bilder[n]“6 zu danken. Ich fasse hier die der Affäre zugrundeliegenden Vorgänge in der gebotenen Kürze zusammen; dabei verzichte ich auf das Teilproblem der Celanschen Goll-Übersetzungen, die im Zusammenhang mit Exner keine Rolle spielen.
Celan lernte das Ehepaar Goll Anfang