Unter der werksinternen Bezeichnung XYZ-Gerät war der erfolgreichen Hamburger Firma in Zusammenarbeit mit einem amerikanischen und einem englischen Partner eine bahnbrechende Erfindung geglückt: ein billiges, exaktes Radargerät, das sich in jedes Kraftfahrzeug einbauen ließ und das, gekoppelt, mit Lenkung und Bremsen, künftig Zusammenstöße so gut wie unmöglich machen würde.
Eine Revolution der Verkehrssicherheit.
Ein Vorgriff auf die Welt von morgen. Wenn man weiß, daß sich jedes Jahr auf der Welt Millionen von Verkehrsunfällen ereignen und die alljährlichen Todesopfer des Straßenverkehrs eine Stadt wie Frankfurt bevölkern könnten, war es klar, wie revolutionär die ELUX-Entwicklung sein würde. Weltweit müßte man sich um das Patent reißen und es in Gold aufwiegen.
»Diese Erfindung, die wir von Staats wegen fördern«, erläuterte Siebener, »nennen wir sie einmal Auto-Radar, ist längst aus dem Experimentierstadium heraus. So sind die ELUX-Werke gerade dabei, die Patentschrift zu erstellen.«
Damit war, und das wußte ich aus eigener Erfahrung, der kritische Punkt einer jeden Erfindung erreicht. Die Patentämter in allen Ländern der Welt arbeiteten zwangsläufig langsamer als Gottes Mühlen und keineswegs gründlicher.
Wenn dem rechtmäßigen Erfinder Einzelheiten des beantragten Patents gestohlen wurden, konnte ein Konkurrent ihm mit dem Lizenz-Antrag zuvorkommen oder die Patentierung auf Jahre hinaus verzögern.
»Wir wissen mit Sicherheit«, übernahm jetzt der Vorstandsvorsitzende der ELUX-Werke das Wort, »daß wichtige Einzelheiten des XYZ-Gerätes bereits in unbefugte Hände geraten sind.«
»Woher wissen Sie das?« unterbrach ich ihn.
»Wir haben schon seit Monaten energische Sicherungen eingeschaltet. Ich darf Ihnen sagen, daß das Bundeskriminalamt, daß Spezialisten aus Wiesbaden seit langem unsere Hausgäste sind. Daß unser Werkschutz ausgebaut wurde. Daß Sie in Deutschland der fünfte Mensch sind, der überhaupt von dieser Erfindung erfährt.«
»Die anderen vier?« fragte ich.
»Ministerialrat Siebener. Unser Chefkonstrukteur. Ein technisches Vorstandsmitglied und ich.«
»Und die übrigen Herren Ihres Vorstands?«
» … kennen nicht die Einzelheiten, wie sie bereits verraten wurden.«
Selbstlos und korrekt hatte sich der Generaldirektor sozusagen an die Spitze der Verdächtigen gesetzt, hatte freiwillig sein und seiner Kollegen Privatleben bis in die peinlichsten Einzelheiten durchleuchten lassen – ohne Befund.
»Und aus amerikanischen oder englischen Quellen können die Werkspione nicht schöpfen?« fragte ich.
»Ausgeschlossen«, erwiderte er. »Wir wissen, daß die verratenen Informationen aus Deutschland stammen – aus dem allerengsten Kreis von vormals vier und seit einer halben Stunde fünf Mitwissern.«
»Und warum haben Sie sich einen fünften Geheimnisträger geschaffen?«
»Weil Sie vielleicht der einzige sind, der uns noch helfen kann«, erwiderte Generaldirektor von Kettener. Mit einem fragilen Lächeln setzte er hinzu: »Verzeihen Sie – aber Sie sind doch ein Eierkopf mit Boxhandschuhen.«
»Danke für die Blumen«, ging ich auf seinen Ton ein, »und Vertrauen ehrt.«
»Wir haben uns da etwas einfallen lassen«, übernahm Siebener wieder das Gespräch. »Der Personalchef der ELUX-Werke erreicht demnächst die Pensionsgrenze. Sie werden als sein angeblicher Nachfolger eingearbeitet. Sie erhalten einen neuen Namen, feine Papiere, erstklassige Referenzen.« Der Ministerialrat bot uns Cognac und Kaffee an. »Kein Mensch – nicht einmal die Kriminalbeamten – erfährt Ihre wahre Identität.« Er lächelte ein wenig schadenfroh. »Ein ganz guter Test, nach beiden Seiten, nicht?«
»Schön«, erwiderte ich. »Ich fasse also zusammen: fünf potentielle Täter. Auf keinem lastet auch nur der Schatten eines Verdachts. Keine weiteren Mitwisser. Elektronische Spionage laut Feststellung des Bundeskriminalamts ausgeschlossen. Trotzdem Verrat am laufenden Band.« Ich zündete mir eine Zigarette an. »Stimmt das?«
»Exakt«, erwiderte Siebener.
»Wann erhalte ich die Papiere?«
»Wenn Sie wollen, heute noch«, erwiderte er.
»Stellen Sie solche bitte auch für meine Frau aus«, bat ich.
»Aber Sie sind doch Junggeselle«, wandte er überrascht ein.
»Nicht bei diesem Einsatz! Übrigens wird mein Telefon seit heute angezapft«, stellte ich fest. »Glauben Sie, daß es mit dieser Sache zusammenhängt?«
»Das möchte ich nicht annehmen«, entgegnete der Ministerialrat gedehnt. »Aber das werden wir gleich mal feststellen.«
Ich wußte, daß er Postfahndung, Bundeskriminalamt und, falls nötig, auch noch den Verfassungsschutz hinter dem Mann herhetzen würde, der seine Ohren in die falsche Hörmuschel hielt.
Ein wenig war ich schon gespannt, wie meine neue Frau aussehen würde, auch wenn es im Schlafwagenzug von München nach Hamburg keine Hochzeitsnacht geben könnte.
Ich wechselte bei jedem Fall meine Mitarbeiter aus, und dabei bemühte ich ziemlich regelmäßig den bekannten Fachjuristen Dr. Georg Brettner.
Er war ein Freund nach Maß. Ein erfolgreicher Patentanwalt, kein Papierwurm, sondern ein exzellenter Praktiker. Deshalb beschäftigte er eine Reihe von Leuten für Aufträge, wie sie nicht jeden Tag in einer Anwaltskanzlei vorkommen.
»Ich brauche eine Frau«, hatte ich am Telefon verlangt.
Das Gespräch lief über Verzerrer, ein dritter konnte es im Klartext nicht mithören. »Heute noch. Für etwa eine Woche.«
»Und hübsch soll sie sein?« fragte mich Georg.
»Womöglich«, antwortete ich. »Aber viel wichtiger wäre, daß sie intelligent ist.«
»Gut« erwiderte der Patentanwalt. »Ich schick’dir mein bestes Stück heute abend direkt an den Schlafwagen.«
Abteil 1 und 2 waren für Martin und Helga Bauer gebucht.
Ich gab dem Schlafwagenschaffner meine Fahrkarte und beantwortete seinen fragenden Blick: »Meine Frau kommt gleich. Sie kauft nur noch ein paar Zeitschriften.«
Ich sah einer hübschen großen Blondine entgegen, stellte fest, daß sie auf Abteil 1 zuging.
»Tag, Liebling«, begrüßte und küßte ich sie. »Du kannst ja sogar pünktlich sein.«
Wir schlossen die Türen, lachten lauthals und musterten uns ausgiebig. Wir fanden offensichtlich Gefallen aneinander. Das besagte persönlich gar nichts, war aber für den Auftrag nicht so unwichtig.
»Was hat Ihnen Georg über Ihren Einsatz gesagt?« fragte ich.
»Nur daß ich Ihre Frau bin.«
»Gratuliere«, sagte ich lachend. »Wird man mir eine so junge und hübsche Frau abnehmen?«
»Das ist doch zur Zeit die große Mode«, erwiderte sie lachend.
Der Schaffner klopfte an die Tür.
Ich setzte mich rasch neben Helga Bauer, alias Eva Steiner, rückte wie erschrocken ein wenig von ihr ab und sah zu, wie der Mann die bauchige Flasche Blauburgunder entkorkte.
»Prost, Helga«, sagte ich, als er gegangen war, »ist dir klar, daß wir uns duzen müssen?«
»Aber ja.«
»Arbeitest du schon lange für Dr. Brettner?«
»Nicht in dieser Weise«, erwiderte sie. »Eigentlich bin ich Referendarin. Keine Eltern mehr. Während meines Studiums war ich gelegentlich Babysitter. Jetzt versuch ich mich mitunter auch als Gelegenheits-Mannequin.«
»Sicher mit Erfolg«, erwiderte