Während Theoda zwischen dem Dichter und der Freundin hin und her träumte: kam auf einmal der Mann der letzten, der arme Mehlhorn, matt herein, der nicht den Mut gehabt, seinen künftigen Gevatter um einen Kutschensitz anzusprechen. Der Zoller war zwar kein Mann von glänzendem Verstande — er traute seiner Frau einem grössern zu —, und seine Ausgaben der Langenweile überstiegen weit seine Einnahme derselben; aber wer Langmut im Ertragen, Dienstfertigkeit und ein anspruchloses redliches Leben liebte, der sah in sein immer freudiges und freundliches Gesicht und fand dies alles mit Luft darin. Theoda lief auf ihn entzückt zu und fragte selbstvergessen, wie es ihrer Freundin ergangen, als sei er später abgereiset. Er verzehrte ein dünnes Mittagwahl, wozu er die Hälfte mitgebracht: „Man muss wahrhaftig“, sagt’ er sehr wahr, „sich recht zusammennehmen, wenn man noch zwei Stunden nach Huhl hat und doch nachts wieder zu Hause sein will; es ist aber kostbares Wetter für Fussgänger.“
Theoda zog ihren Vater in ein Nebenzimmer und setzte alle weiblichen Röst-, Schmelz- und Treibwerke in Gang, um ihn so weit flüssig zu schmelzen, dass er den Zoller bis nach Huhl mit einsitzen liess. Er schüttelte Kaltblütig den Kopf und sagte, die Gevatterschaft fürchtend: „Auch nähm’ er’s am Ende gar für eine Gefälligkeit, die ich ihm etwa beweisen wollte.“ Sie rief den Edelmann zum Bereden zu Hilfe; dieser brach — mehr aus Liebe für die Fürsprecherin — gar in theatralische Beredsamkeit aus und liess in seinem Feuer sich von Katzenberger ganz ohne eines ansehen. Dem Doktor war nämlich nichts lieber, als wenn ihn jemand von irgendeinem Entschlusse mit tausend beweglichen Gründen abzubringen anstrebte; seiner eignen Unbeweglichkeit versichert, sah er mit desto mehr Genuss zu, wie der andere, jede Minute des Ja gewärtig, sich mutzlos abarbeitete. Ich versinnliche mir dies sehr, wenn ich mir einen umherreisenden Magnetiseur und unter dessen Händen das Gesicht eines ad menschlichen Magnetismus ungläubigen Autors, z. B. Biesters, vorstelle, wie jener diesen immer ängstlicher in den Schlaf hineinzustreichen sucht und wie der Bibliothekar Biester ihm unaufhörlich ein aufgewecktes Gesicht mit blickenden Augen still entgegenhält. „Gern macht’ ich selber“, sagte Niess, „noch den kurzen Weg zu Fuss.“ — „Und ich mit“, sagte Theoda. „Oh! “ sagte Niess und drückte recht freudig die katzenbergerische Hand, „ja, es bleibt dabei, Väterchen, nicht?“ — „Natürlich“, versetzte letztes, „aber Sie können denken, wie richtig meine Gründe sein müssen, wenn sie sogar von Ihnen nicht überwogen werden.“ Man schien auf seiten des Paars etwas betroffen: „Auch möcht ich den guten Umgelder ungern verspäten“, setzte der Doktor hinzu, „da wir erst nach dem Pferdefüttern aufbrechen, er aber sogleich fortgeht.“
Als sie sämtlich zurückkamen, stand der Mann schon freundlich da, mit seinem Abschiede reisefertig wartend. Theoda begleitete ihn hinaus und gab ihm hundert Grüsse an die Freundin mit und den Schwur, dass sie schon diesen Abend das Tagebuch an sie anfange. „Könnt ich für Sie gehen, guter Mann!“ sagte sie; und er schied mit einem langen Dankpsalm, ohne sie sonderlich zu verstehen, so wie sie selber, setz ich dazu, ebensowenig den Doktor. Sie wusst’ es aus langer Erfahrung, dass er zudringende Bitten gewöhnlich abschlug als Anfälle auf seine Freiheit; sie tat sie aber doch immer wieder und brachte vollends heute den Auxiliar-Poeten mit. Mehlhorn war ihm nicht am meisten als Gevatterbitter verdriesslich, sondern als eine Art Ja-Herr gegen die Frau und ein Ja-Knecht gegen alle Welt. Schwachmütige Männer aber, sogar gutmütige, konnt’ er nicht gut sich gegenüber sehen, besonders einen halben Tag lang auf dem Rücksitz.
Bald darauf, als die Pferde abgefüttert waren und die Gewinn- und Verlustrechnung abgetan, gab Katzenberger das Zeichen des Abschieds; — es bestand darin, dass er heimlich die Körke seiner bezahlten Flaschen einsteckte. Er führte Gründe für diese letzte Ziehung aus der Flasche an: ,Es sei erstlich ein Mann in Paris bloss dadurch ein Millionär geworden, dass er auf allen Kaffeehäusern sich auf ein stilles Korkziehen mit den Fingern geletzt, wobei er freilich mehr ans Stehlen gedacht als an erlaubtes Einstecken; zweitens sei jeder, der eine Flasche fordere, Herr über den Inhalt derselben, wozu der Stöpsel als dessen Anfang am ersten gehöre, den er mit seiner eigenen Korkzieher zerbohren oder auch ganz lassen und mitnehmen könne, als eine elende Kohle aus dem niedergebrannten Weinfeuer.‘ Darüber suchte Niess zu lächeln ohne vielen Erfolg.
11. Summula
Wagen-Sieste
Im ganzen sitzt ohnehin jeder Kutschenklub in den ersten Nachmittagsstunden sehr matt und dumm da; das junge Paar aber tat es noch mehr, weil Katzenbergers Gesicht, seitdem er dem armen Schreckensgevatter die Wagentüre vor der Nase zugeschlagen, kein sonderliches Rosental und Paradies für jugendlich-gutmütige Augen war, die in das Gesicht hinein und auf den sandigen Weg hinaus sahen. Er selber litt weniger; ihn verliess nie jene Heiterkeit, welche zeigen konnte, dass er sich den Stoikern beigesellte, welche verboten, etwas zu bereuen, nicht einmal das Böse. Indes ist dieser höhere. Stoizismus, der den Verlust der unschätzbaren höheren Güter noch ruhiger erträgt als den der kleinern, bei Gebildeten nicht so selten, als man klagt.
Nach einigen Minuten Sandfahrt senkte Katzenberger sein Haupt in Schlaf. Jetzo bekränzte Theoda ihren Pater mit allen möglichen Redeblumen, um dem Freund, ihres Dichters ihre Tochteraugen für ihn zu leihen. Besonders hob sie dessen reines Feuer für die Wissenschaft heraus, für die er Leben und Geld verschwende, und beklagte sein Los, ein gelehrter einsamer Riese zu sein. Da der Edelmann gewiss voraussetzte, dass die Augensperre des Riefen nichts sei als ein Aufmachen von ein Paar Dionysius-Ohren, wie überhaupt Blinde besser hören: so fiel er ihr unbedingt bei und erklärte, er staune über Katzenbergers Genie. Dieser hörte dies wirklich und hatte Mühe, nicht aus dem Schlafe heraus zu lächeln wie ein Kind, womit Engel spielen. Des blinden optischen Schlafes bedient’ er sich bloss, um selber zu hören, wie weit Niess sein Verlieben in Theoda treibe; und dann etwa bei feurigen Welt- und Redeteilen rasch aufzuwachen und mit Schnee und Scherz einzufallen. Jetzo ging Theoda, die an den Schlummer glaubte, weil ihr Vater sich selten die Mühe der Verstellung gab, noch weiter und sagte dem Edelmann frei: „sein Kopf lebt zwar dem Wissen, wie ein Herz dem Lieben, aber Sie springen zu ungestüm mit seiner Natur um. — In der Tat, Sie legen es ordentlich darauf an, dass er sich über Gefühle recht seltsam und ohne Gefühle ausdrücke. Täte dies wohl Ihr Theudobach?” — „Gewiss“, sagt’ er, „aber in meinem Sinne. Denn Ihren Vater, liebreichen Tochter, nehm ich viel besser als der Haufe. Mich hindert seine satirische Enkaustik nicht, dahinter ein warmes Herz zu sehn. Recht geschliffnes Eis ist ein Brennglas. Man ist ohnehin der alltäglichen Liebesfloskeln der Bücher so satt! Oh, dieser milde Schläfer vor uns ist vielleicht wärmer, als wir glauben, und ist so seiner Tochter wert!“ Katzenberger, eben warm und heiss vom nahen Nachmittagschlummer, hätt’ etwas darum gegeben, wenn ihm sein Gesicht von einem Gespenste wäre gegen den Rücken und das Kutschenfensterchen gedreht gewesen, damit er ungesehen hätte lächeln können; wenigstens aber schnarchte er.
Theoda indes, nie mit einer lauen oder höflichen Überzeugung zufrieden, suchte den Poeten für den Vater noch stärker anzuwärmen durch das Berichten,