Der Edelmann brauchte kaum die Hälfte seiner feinen Fühlhörner auszustrecken, um es dem Doktor abzufühlen, dass er mit seinem verschränkten Gesichte eben so gut unter dem Barbiermesser freundlich lächeln könnte als unter einem für ihn so widerhaarigen Gespräche; er tat daher — um allerlei aus ihm heraus zu reizen, worüber er bei der künftigen Erkennszene recht erröten sollte — die Frage an ihn, was er seines Orts vom Dichter für das Schlechteste halte. „Alles”, versetzte er, „da ich die Schnurren noch nicht gelesen. Mich wundert’s am meisten, dass er als Edelmann und Reicher etwas schreibt; sonst taugen in Papiermühlen wohl die groben Lumpen zu Papier, aber nicht die seidnen.“ Niess fragte, ob er nicht in der Jugend Verse gemacht? „Pope“, gab er zur Antwort, „entsann sich der Zeit nicht, wo er keine geschmiedet, ich erinnere mich derjenigen nicht, wo ich dergleichen geschaffen hätte. Nur einmal mag ich, als verliebter Gessners-Schäfer und Primaner, so wie in Krankheiten sogar die Venen pulsieren, in Poetasterei hineingeraten sein, vor einem dummen Ding von Mädchen — Gott weiss, wo die Göttin jetzt ihre Ziegen melkt. — Ich stellte ihr die schöne Natur vor, die schon dalag, und warf die Frage auf: sieh, Suse, blüht nicht alles vor uns wie wir, der Wiesenstorchschnabel und die grosse das Rindsauge und die Gichtrose und das Lungenkraut bis zu den Schlehengipfeln und Birnenwipfeln hinauf? Und überall bestäuben sich die Blumen zur Ehe, die jetzt dein Vieh frisst! — Sie antwortete gerührt: Wird Er immer so an mich denken, Amandus? Ich versetzte wild: Beim Henker! An uns beide; wohin ich künftig auch verschlagen und verfahren werde und in welchen fernen Fluss und Bach ich auch einst schauen werde — es sei in die Schweine in Meiningen — oder in die Besau und die Gesau in Henneberg — oder in die wilde Sau in Böhmen — oder in die Wampfe in Lüneburg — oder in den Lumpelbach in Salzburg — oder in die Sterzel in Tirol — oder in die Kratza oder in den Galgenbach in der Oberpfalz — in welchen Bach ich, schwör ich dir, künftig schauen werde, stets werd ich darin mein Gesicht erblicken und dadurch auf deines kommen, das so oft an meinem gewesen, Suse. — Jetzt freilich, Herr von Niess, sprech ich prosaischer.“
Niess griff feurig nach des Doktors Hand und sagte: ,Das scherzhafte Gewand verberge ihm doch nicht das weiche Herz darunter.‘ — „Ich muss auch durchaus frühere Zeit zu weich und flüssig, gewesen sein“, versetzte dieser, „weil ich sonst nicht gehörig hart und knöchern hätte werden können; denn es ist geistig wie mit dem Leibe, in welchem bloss aus dem Flüssigen sich die Knochen und alles Harte erzeugt, und wenn ein Mann harte Eiszapfenworte ausstösst, so sollte dies wohl der beste Beweis sein, wie siel weiche Träten er sonst vergossen.“ — „Immer schöner!“ rief Niess; „o Gott nein!“ rief Theoda im gereizten Tone.
Der Edelmann schob sogleich etwas Schmeichelndes, nämlich einen neuen Zug von Theudobach ein, den er mit ihm teile, nämlich den Genuss der Natur. „Also auch des Maies?“ fragte der Doktor; Niess nickte. Hierauf erzählte dieser: Darüber hab’ er seine erste Braut verloren; denn er habe, da sie an einem schönen Morgen von ihren Maigenüssen gesprochen, versetzt, auch er habe nie so viele gehabt als in diesem Mai wegen der unzähligen Maikäfer; als er darauf zum Beweise einige von den Blättern abgepflückt und sie vor ihren Augen ausgesogen und genossen: so sei er ihr seitdem mehr gräuels-als liebenswürdig vorgekommen, und er habe durch seine Röselschen Insektenbelustigungen Brautkuchen und Honigwochen verscherzt und vernascht.
Niess aber, sich mehr zur Tochter schlagend, fuhr kühn mit dein Ernst des Naturgenusses fort und schilderte mehre schöne Aussichten ab, die man sah, und von manchen erhabenen Wolkenpartien lieferte er gute Rötelzeichnungen; — als endlich die Partien zu regnen anfingen und selbst herunter kamen. Sogleich rief der Doktor den langröckigen Flex in den Wagen herein als einen Füllstein für Niess. Diesem entfuhr der Ausruf: „Dies zarte Gefühl hat auch unser Dichter für seine Leute, Theoda!“ — „Es ist“, antwortete der Vater, „zwar weniger der Mensch da als sein langer Rock zu schönen; aber zartes Gefühl äussert sich wohl bei jedem, den der Wagen verdammt stösst.“ Bald darauf kamen sie in St. Wolfgang an.
10. Summula
Mittagsabenteuer
Gewöhnlich fand der Doktor in allen Wirtshäusern bessere Aufnahme als in denen, wo er schon einmal gewesen war. Nirgends traf er aber auf eine so verzogene Empfangsphysiognomie als bei der verwittibten, nett gekleideten Wirtin in St. Wolfgang, bei der er jetzt zum zwölften Male ausstieg. Das zweite Mal, wo sie in der Halbtrauer um ihre eheliche Hälfte und in der halben Feiertagshoffnung auf eine neue ihrem medizinischen Gaste mit Klagen über Halsschmerzen sich genähert, hatte dieser freundlich sie in seiner Amtssprache gebeten: sie möge nur erst den Unterkiefer niederlassen, er wolle ihr in den Rachen sehen. Sie ging wütig-erhitzt und mit vergrösserten Halsschmerzen davon und sagte: , „Sein Rachen mag selber einer sein; denn kein Mensch im Hause frisst Ungeziefer, als Er.“ Sie bezog sich auf sein erstes Dagewesensein. Er hatte nämlich zufolge allgemein-bestätigter Erfahrungen und Beispiele, z. B. de la Landes und sogar der Demoiselle Schurmann — welche nur naturhistorischen Laien Neuigkeiten sein können — im ganzen Wirtshause (dem Kellner schlich er deshalb in den Keller nach) umhergestöbert und gewittert, um fette runde Spinnen zu erjagen, die für ihn (wie für das obengedachte Paar) Landaustern und lebendige Bouillonkugeln waren, die er frisch ass. Ja er hatte sogar, um den allgemeinen Ekel des Wirtshauses, wo möglich, zurechtzuweisen — vor den Augen der Wirtin und Aufwärter reife Kanker auf Semmelschnitte gestrichen und sie aufgegessen, indem er Stein und Vein dabei schwur — um mehr anzuködern —, sie schmeckten wie Haselnüsse.
Gleichwohl hatte er dadurch weit mehr den Abscheu als den Appetit, in betreff der Spinnen und seiner selbst vermehrt, und zwar in solchem Grade, dass er selber der ganzen Wirtschaft als eine Kreuzspinne vorkam und sie sich als seine Fliegen. Als er daher später einmal versuchte, dem Kellner nachzugeben, um unten aus den Kellerlöchern seine mensa ambulatoria, seit Kanarienfutter zu ziehen, so blickte ihn der Bursche mit fremdem, wie geliehenem Grimme an und sagte: „Fress’ Er sich wo anders dick als im Keller!“
Nichts bekümmerte ihn aber weniger als sauere Gesichter; der gesunde Sauerstoff, der den grösseren Bestandteil seines in Worte gebrachten Atems ausmachte, hatte ihn daran gewöhnt.
Die Wirtin gab sich alle Mühe, unter dem frühen Gastmahle ihn von Theoda und Niess recht zu unterscheiden zu seinem Nachteile; er nahm die Unterscheidung sehr wohl auf und zeigte grosse Lust, nämlich Esslust; und liess, um weniger der Wirtin als seinen Leuten etwas zu schenken, diesen nichts geben als seine Tafelreste. Die Wirtin liess er zusehen, wie er mit derselben Butter zugleich seine Brotscheiben und seine Stiefelglatzen bestrich und wie er den Zuckerüberschuss zu sich steckte, unter dem Vorwande, er hole aus guten Gründen den Zucker erst hinter dem Kaffee nach im Wagen.
Dennoch schlug ihm eine seine Kriegslist, von deren Beobachtung er durch Verhasstwerden abzuziehen suchte, ganz fehl. Er hatte nämlich unter einer Winkeltreppe ein schätzbares Katzennest entdeckt, aus welchem er etwas einen oder zwei Nestlinge auszuheben gedachte, um sie abends im Nachtlager, wo er so wenig für die Wissenschaft zu tun wusste, aufzuschneiden, nachdem er vorher ihnen in der Tasche aus Mitleiden, zum Abwenden aller Kerkerfieber, die Köpfe einigemal um den Hals gedreht hätte. Es musste aber wohl von seinem elften Besuche, wo die Wirtin gerade nach seiner Entfernung auch die Entfernung einer treuen Mutter mehrer Kätzchen wahrnahm, hergekommen sein, dass sie, überall von weitern ihn wie einen Schwanzstern beobachtend, gerade in der Minute ihm aufstossen konnte, als er eben ein Kätzchen einsteckte. — „Hand davon, mein Herr“, schrie sie, „nun wissen wir doch alle, wo voriges Jahr meine Kätzin geblieben — und ich war so dumm und sah das liebe Tier