Inhalt
Das Doppelleben des Herrn Auerbach
Das Klingeln an der Haustür sollte aufhören. Das nervte.
Es war Samstag, da sollte man sie gefälligst in Ruhe lassen.
Es hörte auf!
Eigentlich sollte Roberta jetzt zufrieden sein. Sie war es nicht, weil es normalerweise nicht ihre Art war, etwas einfach zu ignorieren.
Roberta hatte sich verändert, war dünnhäutiger geworden, es störte sie die Fliege an der Wand.
Das war ihr bewusst, doch seit Lars einfach gegangen war, war nichts mehr so, wie es gewesen war, ihre kleine, heile Welt war aus den Fugen geraten.
Sie konnte nicht damit umgehen, dass er wie ein kleines, bockiges Kind davongelaufen war. Sie hätten miteinander reden müssen, und das konnten sie normalerweise ja auch.
Normalerweise …
Nichts war mehr normal.
Hätte sie bloß den Mund gehalten und nicht von einem gemeinsamen Zusammenleben gesprochen. Es hatte sich ergeben, aus einer Stimmung heraus war sie sehnsuchtsvoll geworden und hatte für einen Moment das Unmögliche für möglich gehalten. Das war falsch gewesen, doch man ist erst hinterher immer schlauer.
Sie stand auf, die Neugier trieb sie doch zur Haustür, obwohl von dort nichts mehr zu hören war. Sie riss die Tür auf und prallte zurück, als sie ihre Freundin Nicki sah. Mit der hätte sie überhaupt nicht gerechnet. Seit ihre Freundin mit Dr. Peter Bredenbrock zusammen war, verbrachte sie die Wochenenden mit ihm und seinen Kindern Maren und Tim. Ja, im Sonnenwinkel, in dem Nicki, ihren eigenen Worten nach, nicht einmal tot überm Zaun hängen wollte.
Nicki sah schlecht aus.
Nicki konnte es nicht gewesen sein, die geklingelt hatte, denn der Schlüssel in ihrer Hand war nicht zu übersehen, auch nicht der große Karton, den sie vor sich hertrug.
Nicki sagte etwas von, dass der Karton für sie sei, dass sie ihn angenommen habe, weil niemand aufgemacht hatte.
Das bekam Roberta nur am Rande mit, sie erwartete nichts, alles war Nebensache, sie musste sich um Nicki kümmern.
Sie nahm Nicki den Karton ab, stellte ihn achtlos beiseite, dann erkundigte sie sich: »Nicki, was ist geschehen?«
Diese Frage löste Nickis Erstarrung, sie warf sich so heftig in Robertas Arme, dass die taumelte und sich bemühen musste, das Gleichgewicht wiederzuerlangen, sonst wären sie unsanft auf dem Boden gelandet.
Bei Nicki konnte man niemals wissen, ob es sich um ein echtes Problem handelte oder ob sie sich wieder einmal in der Rolle einer Staatsschauspielerin gefiel. Für ein wirkliches Problem sprach allerdings das schlechte Aussehen von Nicki, sie war blass, hatte tiefe Ringe unter ihren Augen, die erloschen wirkten.
Da Nicki nichts sagte, übernahm Roberta das: »Komm erst einmal rein, der Kaffee ist fertig, du siehst ganz so aus, als könntest du einen gebrauchen, und dann erzählst du mir, was geschehen ist, ja?« Das war das Schöne an Roberta, die sah nicht nur sofort, wenn etwas aus der Bahn geraten war, sondern sie sprach es auch an.
Das stimmte wirklich, und vermutlich war diese Einstellung auch der Grund dafür, dass sie jetzt wegen Lars und dessen Verhalten so durcheinander war.
Es ging nicht um sie und Lars …
Roberta schob alle persönlichen Gedanken beiseite. Es ging nicht um ihre Befindlichkeiten, sondern um ihre Freundin Nicki. Und dass bei der etwas nicht stimmte, dazu brauchte man keine Worte, da konnte man fühlen.
Beinahe willenlos ließ Nicki sich in die Küche führen, auf einen Stuhl setzen. Den Kaffee, den Roberta vor sie hinstellte, ließ Nicki zunächst einmal unberührt, doch auf die Keksschale stürzte sie sich wie jemand, der gerade im letzten Augenblick eine ganz schreckliche Hungersnot überlebt hatte. Normalerweise hätte Roberta jetzt eine Bemerkung gemacht, denn es war nicht mit anzusehen, wie hemmungslos Nicki die Kekse in sich hineinstopfte. Sie unterließ es, wartete erst einmal ab, und da sie ihre allerbeste Freundin beinahe so gut kannte wie sich selbst, wusste sie, dass es irgendwann einmal aufhören würde. Und so war es auch.
Nicki schob die wunderschöne Kristallschale beiseite, in der jetzt gerade noch drei verträumte Kekse lagen. Dann griff sie zu ihrem Kaffeebecher, trank, und nachdem sie den Becher wieder abgestellt hatte, wandte sie sich Roberta zu, die die ganze Zeit über still auf ihrem Stuhl gesessen hatte.
»Peter hat mir einen Heiratsantrag gemacht«, platzte es aus Nicki heraus.
Dieser Satz schlug bei Roberta ein wie eine Bombe. Nun verstand sie überhaupt nichts mehr. Ihre Freundin war geradezu versessen darauf, geheiratet zu werden. Dr. Bredenbrock war ein sehr netter, sehr gebildeter, sympathischer und überaus gut aussehender Mann. Sie freute sich für Nicki, dass er ihr einen Antrag gemacht hatte.
»Nicki, das ist großartig. Ich freue mich so sehr für dich, ich finde, ihr seid ein tolles Paar, nicht nur optisch. Peter Bredenbrock ist ein Mann, der dich erden kann. Doch eines verstehe ich jetzt nicht so ganz. Warum machst du ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter?«
Nicki zögerte mit der Antwort. Sie glaubte, die Reaktion ihrer Freundin voraussehen zu können, wenn sie ihr jetzt die Wahrheit sagte.
»Nicki«, mahnte Roberta, »so sag doch endlich etwas.« Da fasste Nicki sich ein Herz.
»Ich habe seinen Antrag abgelehnt und nein gesagt.«
So, endlich war es heraus, und jetzt war es Roberta, die nichts sagte. Das, was Nicki da gesagt hatte, war geradezu ungeheuerlich.
»Du hast was?«
»Du hast schon richtig verstanden«, kam es beinahe trotzig aus Nickis Mund, »ich habe ihm gesagt, dass ich ihn nicht heiraten kann.«
»Und warum nicht? Ich denke, du liebst ihn, und du hast mir doch erst vor ein paar Tagen gesagt, dass ihr auf einem guten Weg seid.«
Nicki nickte.
»Ja, Roberta, es stimmt alles, doch als er mir sagte,