Der Palast des Poseidon. Thomas Thiemeyer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Thiemeyer
Издательство: Bookwire
Серия: Die Chroniken der Weltensucher
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783948093327
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anzuzünden, als seine Aufmerksamkeit von etwas angezogen wurde, was ihn irritiert innehalten ließ.

      »Beim Klabautermann«, fluchte er. »Was ist denn das?«

      »Irgendetwas nicht in Ordnung?«

      »Das Licht da vorne.« Vogiatzis deutete nach draußen. »Der Leuchtturm war doch vorhin auf der anderen Seite.«

      Skeptisch warf der Steuermannsmaat einen Blick nach draußen in das Inferno. »Haben wir uns gedreht?«

      »Nicht, dass ich wüsste. Ich habe die Kornelia stramm auf Kurs gehalten. Eben noch war der Leuchtturm auf der linken Seite, jetzt ist er plötzlich rechts. Das verstehe, wer will.«

      »Vielleicht ein anderes Schiff.«

      »Ohne Signatur und Positionslichter? Was für ein Schiff sollte das sein? Außerdem, schau dir dieses Blinken an. Ich fahre diese Strecke seit zwanzig Jahren. Ich würde den Leuchtturm von Therasia unter tausend anderen erkennen.«

      Der Gehilfe schüttelte den Kopf. »Wenn wir weiterfahren, kommen wir genau in die Meerenge. Ich würde lieber auf hart steuerbord gehen.«

      »Bin schon dabei«, knurrte Vogiatzis und steuerte die Kornelia zurück auf ihren ursprünglichen Kurs. Ein unangenehmes Kribbeln im Nacken sagte ihm, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Er kannte dieses Gefühl, es hatte ihn noch nie getrogen. Der Kompass schien auch zu spinnen. Er zeigte an, dass sie viel zu weit nach Westen fuhren. Bei ihrem jetzigen Kurs hielten sie genau auf Kythira zu, einer kleinen Insel am südlichsten Zipfel des Peloponnes. Aber der Leuchtturm ließ sich nicht wegleugnen. Er war da, so viel war sicher. Oder etwa nicht?

      Der Gehilfe runzelte die Stirn. »Was ist denn mit dem Leuchtfeuer los?«

      »Was soll damit sein?«

      »Es ist weg«, sagte der Junge. »Ich habe es die ganze Zeit im Auge behalten. Von einer Sekunde auf die andere war es nicht mehr da.«

      »Bei Poseidons Bart, du hast recht!«, stellte Vogiatzis fest. Das Kribbeln in seinem Nacken wurde zu einem Stechen. Jetzt war er sicher, dass wirklich etwas nicht stimmte.

      »Da!«, rief der Junge. »Da ist es wieder. Und da drüben noch eines. Es sind zwei.«

      Vogiatzis verengte die Augen. Zwei Lichter, die genau die gleiche Färbung hatten und genau gleich blinkten? Das war unmöglich. Gab es hier Luftspiegelungen? Lächerlich, doch nicht bei diesem Sturm!

      Hilfe suchend blickte er auf seinen Kompass. Die Nadel tanzte wie verrückt. Mal bewegte sie sich nach Süden, dann wieder nach Westen. Zum Schluss drehte sie sich sogar im Kreis.

      Ehe er seinen Gehilfen auf das ungewöhnliche Phänomen aufmerksam machen konnte, rief dieser: »Da ist noch eins! Und da drüben noch eins. Auf zehn Uhr, sehen Sie? Jetzt sind es vier!« Seine Stimme klang hysterisch.

      Vogiatzis hatte genug. Er zog den Schubhebel nach hinten und drosselte die Fahrt, bis die Motoren im Leerlauf tuckerten. Dann griff er nach seinem Regenmantel.

      Der Junge starrte ihn voller Furcht an. »Was haben Sie vor?«

      »Bleib hier. Ich seh mir das mal an.« Er öffnete die Tür und trat hinaus in den Sturm. Der Wind schlug ihm mit voller Kraft ins Gesicht. Das Brüllen und Toben war atemberaubend. Er schmeckte Salzwasser, das auf seiner Haut wie Nadelstiche brannte. Vorsichtig, immer eine Hand am Geländer, kletterte er die Eisentreppe hinunter. Der Wind peitschte das Wasser zu weißen Schaumkronen auf, die aussahen, als würden sie kochen.

      Mit aller Kraft arbeitete Vogiatzis sich vorwärts. Ein paarmal drohte er auszurutschen, doch es gelang ihm immer noch rechtzeitig, das Geländer zu packen.

      Als er die Mitte des Schiffs erreicht hatte, blieb er stehen. Der Wind hatte für einen Moment an Heftigkeit nachgelassen. Vogiatzis hob den Kopf und blickte sich um. Was auf der Brücke nur eine Vermutung gewesen war, wurde jetzt zur Gewissheit. Vier Leuchttürme mit exakt der gleichen Lichtfärbung und exakt der gleichen Kennung. Alle schienen ungefähr gleich weit entfernt zu sein, so, als würden sie die Kornelia umzingeln.

      »Unmöglich«, flüsterte Vogiatzis. »Einfach unmöglich.« Er wischte das Wasser aus seinem Gesicht. Das Phänomen war unheimlich und faszinierend zugleich.

      Während er so dastand und sich fragte, was zum Teufel er jetzt tun sollte, kam es ihm auf einmal so vor, als würden die Lichter größer. War das möglich? Er wartete eine Weile, dann konnte es keinen Zweifel mehr geben. Was immer das war, es näherte sich.

      Vogiatzis schob sein Kinn vor. Also doch Schiffe, schoss es ihm durch den Kopf. Vielleicht Piraten. Das war die einzige logische Erklärung. Das würde auch das Verschwinden der anderen Schiffe erklären. Womöglich hatten die Halunken es geschafft, die Lichtsignatur des Leuchtturms zu kopieren, um die Schiffe in die Falle zu locken. Und jetzt wollten sie seinen Frachter kapern.

      Nur über seine Leiche.

      Vogiatzis hatte zwei Pistolen in seinem Waffenschrank. Kampflos würde er ihnen die Kornelia nicht überlassen.

      Er stolperte zurück zur Brücke. Wenn er nur nicht zu spät kam. Die Lichter waren schon bedrohlich nahe.

      Ein plötzlich aufzuckender Blitz tauchte das Meer in gleißende Helligkeit.

      Vogiatzis blieb wie angewurzelt stehen. Er konnte nicht anders. Was er gesehen hatte, war einfach nicht möglich.

      Das waren keine Schiffe.

      Es waren auch keine Leuchttürme.

      Er wusste nicht, was es war, nur, dass er so etwas noch nie zuvor gesehen hatte. Vier riesige Klauen ragten wie Finger aus dem Wasser. Sie waren gewaltig und überragten die Kornelia um mindestens zwanzig Meter. Vogiatzis erkannte, dass ihre Oberfläche wie die eines Riesenkraken alt und vernarbt aussah. Die Fingerknochen waren dick und verknorpelt und die Gelenke knarrten wie verrostete Scharniere. Das Wesen musste unglaublich alt sein. Ein Titan aus der Tiefsee, schoss es Vogiatzis durch den Kopf. Aufgestiegen, um sie zu vernichten. An den Enden der Krakenarme leuchteten feurige Augen, die bösartig auf ihn heruntersahen.

      Über das Brausen des Windes hinweg ertönte ein bedrohliches Rauschen. Die Arme kamen auf das Schiff zu. Als sie sich bis auf zehn Meter genähert hatten, beugten sie sich herab. Die monströsen Krallen schossen nach unten, dann schlugen sie auf dem Oberdeck ein. Ein furchtbares Krachen ertönte. Funken sprühten, dann verloschen die Lichter.

      Die Kornelia sackte zum Bug hin ab. Vogiatzis wurde von den Beinen gefegt. Er konnte sich nicht festhalten und schlitterte mit den Füßen voraus über das klatschnasse Deck. Kisten und Fässer lösten sich und rutschten hinterher. Wie durch ein Wunder wurde er nicht getroffen. Er prallte gegen die Ankerwinde und wurde in hohem Bogen über Bord geschleudert. Der Aufprall presste ihm die Luft aus der Lunge. Ein brennender Schmerz fuhr ihm in die Schulter. Irgendetwas war mit seinem Arm.

      Panisch schlug er um sich.

      Ehe er begriff, was mit ihm geschah, befand er sich im schäumenden und tosenden Meer. Um ihn herum trieben Holzteile und Bruchstücke von Schiffsaufbauten.

      Nicht weit von ihm entfernt entdeckte er einen Rettungsring. Mit letzter Kraft gelang es ihm, ihn zu packen und sich festzuhalten.

      Halb ohnmächtig klammerte er sich fest und beobachtete, wie die Kornelia von dem riesigen Meeresungeheuer in die Tiefe gezogen wurde. Bug voraus verschwand sie in der kochenden See. Ihr Todeslied klang wie der Schrei eines verendenden Wals. Es schäumte und blubberte, dann war von seinem Schiff nichts mehr zu sehen. Unter Wasser war noch ein Licht zu erkennen, dann erlosch auch das.

      Vogiatzis starrte in die Fluten. Die Kornelia war mit Mann und Maus untergegangen.

      Teil 1

      Der Auftrag

      1

      Berlin, 10. Juni 1893 …

      Kurz hinter dem Magdalenenstift begann es zu regnen. Zuerst nur einzelne Tropfen, dann immer heftiger. Als Oskar das Alexanderufer