Kapitel 47 – Die Bahnlinie endete …
Kapitel 48 – Charlotte konnte sich …
Kapitel 50 – Clément wartete neben …
Kapitel 51 – Humboldt hielt sein …
Kapitel 52 – Wilma spürte, wie …
Kapitel 53 – Schlagartig gingen in …
Kapitel 54 – Der Norweger strich …
Kapitel 55 – Oskar assistierte Humboldt …
Kapitel 56 – Von einem donnernden …
Kapitel 57 – Einsam stapfte der …
Kapitel 58 – Der Aufprall war …
Kapitel 60 – Eine Ehrfurcht gebietende …
Kapitel 61 – Charlotte hatte die …
Kapitel 62 – Charlotte hatte ein …
Kapitel 64 – Der Regen hatte …
Prolog
19. Mai 1893 …
Das Dampfschiff Kornelia stampfte und rollte durch die aufgewühlte See. Turmhohe Wellen schlugen gegen die Flanken und ließen den Schiffsrumpf dröhnen wie eine gusseiserne Glocke. Der Wind brauste und stürmte. Einzelne Böen peitschten das Wasser zu weißer Gischt empor. Donner grollte über den Himmel und brach sich an den Wellen. Vereinzelt zuckten Blitze auf, die die Wolken von innen heraus zum Glühen brachten.
Kapitän Vogiatzis starrte in die sturmumtoste Nacht. Falls seine Berechnungen stimmten – und er irrte sich selten – musste irgendwo vor ihnen die Inselgruppe Santorin liegen. Zwischen ihren beiden Hauptinseln Thera und Therasia führte eine Meeresströmung hindurch, die schon so manchem Kapitän zum Verhängnis geworden war. Mochten die schroffen, steil abfallenden Klippen bei Tag auch ein prachtvoller Anblick sein, in der Nacht stellten sie eine ernste Bedrohung dar.
Dimitrios Vogiatzis war ein erfahrener Schiffsführer. Seine grauen Haare und sein heller Bart hatten ihm unter Kollegen den Spitznamen Eisbär eingebracht. Er war bekannt dafür, auch in kritischen Momenten stets einen kühlen Kopf zu bewahren, doch dieser Sturm stellte seine sprichwörtliche Ruhe auf eine harte Probe.
Mit angespannter Erwartung ließ er die Perlen seines Rosenkranzes durch die Finger gleiten. Ruhig, ermahnte er sich, nur nicht die Nerven verlieren. Solange die Ladung nicht verrutschte, konnte nichts passieren. Die fünfzig Tonnen Eisenbahnschienen, die er für die geplante Strecke zwischen Heraklion und Chania nach Kreta transportierte, lagen gut verzurrt unter Deck. Die Kornelia schob sich satt durch das Wasser. Keine Spur von Schlagseite. Trotzdem, er durfte nichts dem Zufall überlassen. Er hatte den Steuermannsmaat noch einmal nach unten geschickt, um nach dem Rechten zu sehen. Sicher war sicher. Er sollte bei der Gelegenheit gleich noch mal die Pumpen kontrollieren und nachsehen, ob die Dampfmaschine problemlos arbeitete.
Wieder zuckte ein Blitz auf. Gerade eben stieg ein Brecher über die Reling, landete mit einem Krachen auf dem Oberdeck und spritzte Gischt gegen die Scheiben. Weiße Schlieren zogen über das Glas und trübten die ohnehin schon schlechte Sicht.
Wo war nur der verdammte Leuchtturm? Eigentlich hätte er längst zu sehen sein müssen.
Er hätte doch auf seine innere Stimme hören und diesen Auftrag ablehnen sollen. Bereits am Morgen waren fern im Westen dichte Wolken zu sehen gewesen, die unaufhaltsam näher gerückt waren. Die Luft war eigenartig schwül gewesen. Als dann das Gewitter ausbrach, war er schon längst auf hoher See gewesen. Klar, das Geld war nicht zu verachten. Stavros Nikomedes, sein Reeder, hatte ihm die doppelte Heuer geboten. Seit dem Ausfall dreier Schiffe in den letzten Monaten war die Lage in der Reederei kritisch geworden. Frachten mussten geliefert und Termine eingehalten werden und Vogiatzis war einer der wenigen, die den Mut hatten, bei einem solchen Wetter rauszufahren. Aber was nutzte einem das Geld, wenn man tot war?
Eben sah er seinen Gehilfen wieder auftauchen. Der Steuermannsmaat versuchte die Luke zum Frachtraum zu schließen, doch der Wind drückte sie immer wieder auf. Nach einigen vergeblichen Versuchen gelang es ihm endlich. Er legte den Riegel vor und taumelte zurück. In gebeugter Haltung, die Hände auf der Reling, arbeitete er sich Meter um Meter über das sturmgepeitschte Deck. Gerade eben hatte er die Stufen zur Brücke erreicht, als Vogiatzis in weiter Ferne ein Licht aufschimmern sah.
Der Leuchtturm. Endlich!
Etwas weiter links als vermutet, aber immerhin. Der Kurs stimmte. Und das Gute war, sie hatten noch genügend Abstand zur Meerenge. Es bestand keine Gefahr, hineingezogen zu werden. Vogiatzis fühlte sich erleichtert. Wenn sie erst an Santorin vorbei waren, gab es bis Kreta nur noch offenes Meer. Keine Klippen, keine Inseln, keine Gefahren. Er hauchte einen kurzen Kuss auf den Rosenkranz. Seine Gebete waren doch erhört worden.
Er drehte das Ruder auf steuerbord und lenkte die Kornelia in einem weiten Bogen um Therasia herum. In diesem Moment wurde die Tür aufgestoßen und der tropfnasse Junge stolperte herein.
»Tür zu!«, rief Vogiatzis. »Du ruinierst mir noch die Instrumente.«
Der Steuermannsmaat beeilte sich, dem Befehl nachzukommen und drückte die Tür ins Schloss. Tropfnass erstattete er Bericht. »Alles in Ordnung«, keuchte er. »Maschine okay, Ladung okay, Pumpen okay. Habe alles bis runter zum Kabelgatt geprüft. Keine Probleme so weit.«
»Gut«, sagte Vogiatzis. »Sehr gut. Wie geht es den Raben?«
Raben, das war die Bezeichnung für die vier Heizer, die tagein, tagaus unter Deck standen und Kohle in den feurigen Rachen der Dampfmaschine schaufelten.
Der Gehilfe grinste. »Gut. Sie stehen zwar bis zu den Knien in Erbrochenem, aber ansonsten ist alles in Ordnung. Ich habe ihnen gesagt, dass wir volle Leistung brauchen, wenn wir heil durch den Sturm kommen wollen.«
Vogiatzis lachte und gab ihm einen Klaps auf die Schulter. Der Junge würde mal ein guter Seemann werden. Irgendwann, wenn er selbst zu alt für diesen Beruf war, konnte er ihm getrost das Ruder überlassen. Bis dahin würde er ihm alles beibringen,