Wendelin nickte anerkennend. »Genau so werde ich verfahren. Danke mein Kind. Gott schütze dich.«
Luzia machte einen Knicks und bedankte sich für den Segen.
»Möchtest du dich vielleicht setzen und einen Schluck Bier oder zur Feier des Tages einen Schoppen Wein mit mir trinken?«
Luzia lehnte sein Angebot ab, wusste sie doch, dass er nur höflich sein wollte. Später würde noch genügend Zeit bleiben, ein wenig beisammenzusitzen.
»Lasst uns lieber sehen, was Euch die Brüder geschickt haben. Ich merke doch, dass es Euch unter den Nägeln brennt und Ihr es kaum erwartet, bis die grüne Pracht sicher und wohl in der Erde sitzt.«
Wendelin nickte zustimmend und rollte die Ärmel seiner Soutane zurück. Ein zufriedenes Lächeln umspielte seine vollen Lippen. »Zielstrebig und wissbegierig wie immer! So gefällt es mir. Gott hat seine Freude an den Menschen, aber allen voran an jenen, die mit Freude bei der Arbeit sind.« Mit beiden Händen schob er die junge Frau in den kühlen Wirtschaftsraum, der in den großen, sorgfältig angelegten Garten führte.
Als der alte Pater im angrenzenden Schuppen verschwand und es hinter den verwitterten Brettern lautstark rumorte, rührte sich auch in Luzia die Neugierde.
Nach kurzer Zeit rief er sie zu sich. Gemeinsam schleppten sie die schwere Holzkiste in den Pfarrgarten. Als sie die erdverkrustete Kiste neben dem weitläufigen Beet abstellten, reichte sie ihnen bis zum Knie. Der Pater wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dann lachte er still in sich hinein und genoss Luzias erwartungsvollen Blick. Mit wenigen Handgriffen öffnete Wendelin den Deckel und bald strömte ihnen ein wunderbarer Duft entgegen. Würzig, holzig und sehr aromatisch. Luzia erschnupperte schwere balsamische Nuancen sowie frische Anklänge von Zitrone.
»Und, was sagst du zu unseren Schätzen?«, wollte der Pater wissen, während er sich die grobe Gartenschürze umband, um sein dunkles Gewand zu schützen. »Abt Johann von Nordstetten und Bruder Markus haben sich wieder einmal überaus großzügig gezeigt. Weiß er doch um unsere große Freude über jede einzelne Pflanze, die noch nicht im Kirchgarten gedeiht. Du weißt ja, ich stehe in regem Austausch mit dem findigen Botanicus. Schon oft habe ich ihm von deinem Interesse an den Medizinalpflanzen berichtet.«
Luzias senkte den Blick und errötete leicht. »Oh, das solltet Ihr nicht! Mein Wissen ist viel zu gering. Jedenfalls lohnt es nicht, darüber zu sprechen.«
Wendelin schüttelte tadelnd den Kopf. »Deine Bescheidenheit ehrt dich, mein Kind, aber du hast mehr in deinem schönen Kopf als viele, die sich mit dem Beruf des Medicus schmücken. Selbst vor jenen, die für die Heilkunst ein Studium auf sich nahmen, brauchst du dich nicht zu verstecken!«
Um die Peinlichkeit des Lobes nicht länger ertragen zu müssen, wechselte sie rasch das Thema. »Wollen wir uns nicht endlich Euren Pflanzen zuwenden? Mit dem Duft allein ist es ja nicht getan.«
Das Ablenkungsmanöver schien gelungen, denn der Pater nickte eifrig.
Gemeinsam wanderte ihr Blick in die dunkle Truhe. Bruder Markus, der Botanicus, hatte für den Transport alle Blätter entfernt und jedes der kleinen Gewächse sorgfältig zurückgeschnitten. Zusätzlich hatte er die kleinen Wurzelballen mit einer Handvoll Erde in einen Streifen Sackleinen geschlagen. Hier reichte Liebhaberei allein nicht aus. Nur das geschulte Auge erkannte, um welche Pflanzen es sich handelte.
»Jetzt bringe ich dir noch eine Abschrift unseres lieben Walahfrid, und du kannst die Pflänzchen an den richtigen Stellen im Garten einpflanzen.«
Luzia und Pater Wendelin hatten den Pfarrgarten gemäß den Empfehlungen angelegt, die Walahfrid Strabo, der frühere Abt des Klosters Reichenau, in seinem bereits im Jahre 827 verfassten Liber de cultura hortorum, auch bekannt als Hortulus, vorgegeben hatte. Die Schrift, wonach eine kluge und wohldurchdachte Nachbarschaft der Medizinalpflanzen ihr gegenseitiges Wachstum förderte, war in Versform verfasst und sorgfältig aufgezeichnet. Weil sie den Hortulus schon oft gemeinsam gelesen hatten, schenkten sie den ersten drei Abschnitten heute keine weitere Beachtung, sondern begannen gleich mit den Zeilen, die Strabo dem Salbei gewidmet hatte.
Später kniete Luzia dann auf dem weichen Sandboden und wartete mit ausgestreckter Hand darauf, dass der Pater ihr den ersten Setzling reichte.
Pater Wendelin hob einen Wurzelballen aus der geheimnisvollen Kiste.
»Marrubium vulgare?« Gespannt wartete er auf Luzias Antwort. »Der gemeine Andorn. Er gehört zur Familie der Labiaten, also ein Lippenblütler. Sein Duft ist bitter und ein wenig krautig. Schon die heilige Hildegard empfahl den Andorn mit Fenchel und Königskerze bei Husten und Brusthitze.«
Der Pater nickte zufrieden. »Der Name Marrubium kommt ursprünglich aus dem Hebräischen. Wobei ›Mar‹ bitter bedeutet und ›Rob‹ viel heißt.«
»In dem Fall wurde beides in gleicher Weise ins Lateinische übernommen«, bemerkte Luzia und blies sich eine freche Strähne ihres roten Haares aus dem Gesicht. Sie setzte den feuchten Ballen mit dem fleischigen Stängel vorsichtig in die gelockerte Erde.
»Nepeta cataria?«, fragte der Pater gespannt.
»Die echte Katzenminze. Ihr Duft ist minzig-frisch. Katzen lieben den Geruch der blühenden Pflanze.«
»Sehr gut!«
Auch diesen Setzling legte Luzia in die feuchte Erde.
»Artemisia absinthum?«, wollte Pater Wendelin wissen.
»Der gemeine Wermut. Ebenfalls eine Beifußart. Er wird auch als bitterer Beifuß bezeichnet.«
Pater Wendelins Augen verrieten, wie außerordentlich stolz er auf Luzia war. Dabei merkte sie, wie ihr schon wieder die Wärme in die Wangen stieg. Nachdem auch dieser Setzling mit Erde bedeckt war, reichte der Pater ihr den Nächsten.
»Hier haben wir etwas Lieblicheres. Artemisia abrotanum?«
»Die Eberraute. Ebenfalls eine Beifußart. Ihr Duft ist leicht und frisch. Sie wird in der Volkssprache auch Pfarrerkraut genannt«, entgegnete Luzia und konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.
Während der nächsten halben Stunde gruben sie Löcher, setzten die restlichen Pflanzen ein und drückten die Erde vorsichtig an. Dann betrachteten sie die getane Arbeit. Als Luzia die Kräuter gießen wollte, meinte der Pater:
»Du musst dir keine Sorgen machen, das Wässern werde ich übernehmen! Ich weiß doch, dass du heute Abend wie alle jungen Frauen und Männer zum Johannisfeuer möchtest.«
Luzia nickte zögernd.
An diesem Tag feierten die Menschen das Fest des längsten Tages und der kürzesten Nacht mit dem Sonnwendfeuer. Die katholische Kirche sah das nicht gern und beging stattdessen das Fest des Johannes. Der Pater würde am kommenden Sonntag ausführlich über Johannes predigen. Aber heute würde es keine Andacht geben. Pater Wendelin galt als gemäßigter Gottesmann. Er las die Messe höchstens einmal am Tag, doch mit dieser Haltung machte er sich nicht nur Freunde. Anderen, die dachten wie er, war es schlecht ergangen. Im nahen Elsass war einem Geistlichen, der angeblich dem Bösen verfallen war, vorgeworfen worden, einen Pakt mit dem Teufel zu unterhalten. Der Papst hatte seine Enthauptung veranlasst. Papst Sixtus beklagte sich, weil immer mehr Menschen vom rechten Glauben abfielen, und warf ihnen vor, sich dem Bösen zuzuwenden.
Pater Wendelin hielt von all diesem verrückten Treiben überhaupt nichts. Wenn sich seine Schäfchen bereitwillig zur heiligen Messe einfanden, ihre Sünden angemessen bereuten und in Frieden miteinander lebten, ließ er die Mitglieder seiner kleinen Gemeinde zufrieden. Dafür liebten die Menschen den gutmütigen Mann. Aber Wendelin war klug genug, um die Gefahren zu sehen, die sein nachsichtiger Umgang mit den alten Mythen mit sich bringen konnte. Er wäre nicht der erste Gottesmann, den die Kirche mit Exkommunikation oder Schlimmerem bedrohte. Wendelin schüttelte ein wenig unwillig den Kopf. An diesem