Bedächtig zog Lindt an seiner Pfeife und sah die Rauchwolken vom Rhein weg nach Osten ziehen. ›Westwind‹, konstatierte er. ›Also hat die Vorhersage doch recht gehabt. Die stabile, warme Wetterlage wird sich jetzt ändern.‹
Er stand, schaute aufs Wasser, blies Wolke um Wolke von sich, sinnierte und überlegte weiter.
Die Gärtnerkolonne und den Fahrer des Forsttraktors müsste man auf jeden Fall mit zu den Verdächtigen zählen. Sie hatten gewusst, wo die Maschine arbeitete und vermutlich auch, wie sie zu bedienen war.
Genauso war diesem Personenkreis bekannt gewesen, dass die Hackschnitzel in einem Heizkraftwerk verfeuert werden sollten.
Aber – Lindt zweifelte – Mitarbeiter des Städtischen Bauhofes hatten den Inhalt des letzten Containers für die Spielplätze verwendet.
Also doch nicht verdächtig?
Oder war für Spielplätze wieder eine andere Abteilung zuständig?
Aber wer könnte dann …?
Der Kommissar nahm sich vor, trotzdem von allen, die am Tatort gearbeitet hatten, Fingerprints abzunehmen und mit den Spuren in der LKW-Kabine zu vergleichen.
Reine Routine natürlich, würde er sagen, nein, nein, niemand ist direkt verdächtig, gehört alles zum üblichen Ermittlungsprogramm …
Er wollte jeder möglichen Fährte nachgehen.
Doch diese Spur führte ins Leere.
Gleich am nächsten Morgen stattete Lindt zusammen mit einem Kollegen des Reviers Ettlingen dem Bauhof der Stadt Rheinstetten einen Besuch ab. Die Mitarbeiter waren sehr kooperativ, ließen bereitwillig ihre Fingerkuppen auf die Erkennungsdienstformulare stempeln und bedauerten ein ums andere Mal, wie leid es ihnen täte, nichts gemerkt zu haben, als sie die Holzhäcksel auf dem Spielplatz ausstreuten.
Allgemeines Erstaunen machte sich breit, weil die Identität des Opfers immer noch nicht geklärt war. ›Dass den auch niemand vermisst!‹, wunderten sich die Arbeiter ein um das andere Mal und schließlich erklärte der Vorarbeiter der Truppe: »Wer das auch war, eines ist sicher: Keiner von uns, wir sind alle komplett!«
Lindt zuckte nur die Schultern, brummte etwas von sehr langwierigen Ermittlungen, bedankte sich und steuerte wieder das Präsidium an.
Doch auch dort sollten die Nachforschungen nicht den kleinsten Fortschritt ergeben.
DNA-Spuren von allen aktuellen Vermisstenfällen im Umkreis zu sichern, war zwar nicht einfach, aber mit einigen Hürden schließlich doch gelungen. Sämtliche Angehörigen zeigten Verständnis für die Arbeit der Ermittler und nach einigem Suchen und drei Überstunden hatten Sternberg und Wellmann das nötige Material beisammen. Haar- und Zahnbürsten erwiesen sich dabei als besonders ergiebige Spurenträger.
Nun galt es wieder zu warten, bis das Landeskriminalamt mit Ergebnissen dienen konnte.
Lindt machte es sich in seinem Bürosessel bequem, überlegte hin und her, dachte zurück an die ›Außenermittlung‹ am Rhein, die aber auch nichts Produktives erbracht hatte, stellte Theorien auf, verwarf die Gedanken wieder und kam einfach nicht vorwärts. Seine Stimmung verschlechterte sich mehr und mehr, aber fatalerweise konnte er nichts dagegen tun. Allen denkbaren Spuren waren er und sein Team schon nachgegangen, alle Hinweise aus der Bevölkerung hatten sie ergebnislos abgearbeitet … Nur ein paar Ergebnisse aus Stuttgart noch … Vielleicht war ja dort etwas dabei? Er glaubte es eigentlich selbst nicht.
Der sinnierende und grübelnde Kommissar wurde durch das Klopfen an der Tür jäh aus dem pfeifenqualmenden Nachdenken gerissen. Paul Wellmann trat ein und mit ihm ein gut gekleideter Mann, der so groß war, dass seine graue, gewellte, nach hinten gekämmte Mähne fast oben am Türrahmen streifte.
»Herr Gero Langenbach«, stellte Wellmann den Besucher vor. »Inhaber der Baufirma ›Langenbach‹, Ettlingen, Hoch-, Tief- und Straßenbau.«
Lindt bot Platz an und hörte aufmerksam zu.
»Wir vermissen unseren Prokuristen«, kam der Bauunternehmer gleich zur Sache. »Konrad Fink, so heißt er, meine rechte Hand sozusagen. Er fuhr am Dreikönigstag zum Skilaufen nach Österreich, ins Montafon, wo er eine kleine Ferienwohnung besitzt und hätte eigentlich heute früh wieder zur Arbeit erscheinen sollen.«
»Und er kam nicht«, vervollständigte der Kommissar. Er schaute sein Gegenüber einige Sekunden lang mit zusammengekniffenen Augen an. »Ich verstehe. Was haben Sie unternommen?«
»Handy, Telefon, kein Kontakt, schließlich bin ich zu seiner Wohnung gefahren, aber nichts. Sie müssen wissen, der Conny, so nennen wir ihn alle, ist Single, eingefleischter Junggeselle, wie man so schön sagt und lebt in Forchheim allein in einer Dachgeschosswohnung.«
›Schon wieder Rheinstetten‹, dachte Lindt. ›Der abgehackte Finger lag auf einem Spielplatz in Mörsch, diesmal ist Forchheim dran. Wenn jetzt auch noch was in Neuburgweier geschieht, dann haben wir die drei Stadtteile komplett.‹
»Ich hab bei den Nachbarn geklingelt«, fuhr der Besucher fort. »Aber seit er sich abends zum Skifahren abgemeldet hatte, haben die ihn auch nicht mehr gesehen.«
Der Kommissar schaute Langenbach durchdringend an. »Das alles wäre aber noch kein Grund, schon am ersten Tag seines Fehlens hier bei uns aufzutauchen?«
Der Firmenchef schüttelte den Kopf: »Nein, eigentlich noch nicht, wenngleich der Conny sehr zuverlässig ist und in den über zwanzig Jahren, die er in der Firma arbeitet, noch nie unentschuldigt gefehlt hat. Nicht umsonst habe ich ihm vor fünf Jahren Prokura gegeben. Wir alle konnten uns bisher jederzeit auf ihn verlassen.«
»Aber …?«, ermunterte ihn Lindt, weiter zu berichten.
»Aber als ich schon wieder in meinem Wagen saß, um zurückzufahren, kam mir noch ein Gedanke. Ich erinnerte mich, dass seine Garage an der Rückwand ein schmales, langes, vergittertes Lüftungsfenster besaß. Das hat er mal extra einbauen lassen, weil ihm die üblichen kleinen, runden Luftlöcher nicht genügten. ›Zu feucht für mein teures Auto‹, sagte er damals, ›eine Garage braucht Luft.‹ Also habe ich mich nach hinten durchgekämpft – sie müssen wissen, sechs zusammengebaute Garagen und das Ganze schön mit allerlei stachligen Sträuchern eingegrünt – und durch dieses Gitterfensterchen geschaut.«
»Und?«
Langenbach nickte: »Sein schwarzer Sportwagen stand drin in der Garage und sogar die Ski und einen kleinen Rucksack auf dem Beifahrersitz konnte ich erkennen.«
»Und jetzt denken Sie …?«
»Es muss ihm etwas passiert sein! Ich habe da ein ganz komisches Gefühl. Ich bin mir sicher, dass er gar nicht im Skiurlaub war.«
Die beiden Kommissare sahen sich nur stumm an und dachten genau dasselbe.
»Wir fahren sofort hin«, entschied Lindt, sprang in einer für ihn ungewöhnlichen Schnelligkeit auf und griff nach seiner Jacke.
Er ließ sich noch die genaue Adresse geben, wies Jan Sternberg an, eine Streife und den Schlüsseldienst zu bestellen und war schon auf dem Weg zum Parkplatz.
Zusammen mit Paul Wellmann fuhr er hinter dem großen dunkelblauen Audi des Bauunternehmers her und nach gut zehn Minuten hatten sie ihr Ziel erreicht.
Langenbach, der sich durch das Verhalten der Kommissare in seiner bösen Vorahnung bestätigt sah, war schon aus dem Wagen gesprungen und zu der fraglichen Garage geeilt. Energisch versuchte er, den Handgriff zu drehen, um das Schwingtor zu öffnen, hatte aber keinen Erfolg.
Er führte die Ermittler nach hinten, wo sie einen Blick ins Halbdunkel des Garageninnern werfen konnten.
»Sie könnten recht haben«, stimmte Lindt zu.
Zeitgleich trafen die Funkstreife und der Geschäftswagen einer ortsansässigen Schlosserei ein.
Lindt zeigte erst seinen Dienstausweis und dann auf das Garagentor. »Bitte keine Beschädigung.«
Der