Und es gab Unzufriedene genug im nahen Städtchen. Ein Soldat bei einer Felddienstübung umgefallen? Unerhört! Die reine Tierquälerei! Leuteschinderei sondergleichen! Bei der Hitze! Ein Wunder, daß nicht alle den Hitzschlag gekriegt! Höchstwahrscheinlich würde der arme Mensch dran glauben müssen! Und mitleidige Frauenherzen bedauerten das arme junge Blut, um das wohl bald die liebende Mutter weinen würde.
Selbst Hauptmann von Hohensleben-Brückhorst zeigte besonderes Interesse für diesen ersten Fall in seiner Kompanie, er ließ sich nach dem Reservisten Papeczinski erkundigen.
»Wird sich schon wieder melden, wenn er gesund ist«, zischelte der Stabsarzt zwischen den Zähnen und sah wütend aus; er liebte es durchaus nicht, wenn die Vorgesetzten sich nach den Leuten erkundigten.
Die Krankheit steigerte sich rapide: die Wärter hatten ungemütliche Nächte. Papeczinski wollte durchaus in der Sonne auf einer grüngestrichenen Bank sitzen und machte Miene, zum Fenster herauszuspringen; kaum drei Mann konnten ihn bändigen. Er tobte und schrie und wehrte sich gegen die weißen Mäuse, die aus allen Winkeln huschten und frech über seine Wolldecke liefen. Mit dem Wasserkrug warf er nach ihnen, mit allem, was in der Nähe des Bettes stand. Die Eisumschläge riß er sich ab und heulte: »Huh, huh!« Krämpfe zogen seine Glieder zusammen und reckten sie dann wieder aus, wilde Delirien quälten ihn. Er hatte keinen lichten Moment mehr.
Im Städtchen sprach man jetzt mit hochgezogenen Brauen von »Typhus«, und daß dieser Erkrankungsfall gewiß nicht vereinzelt bleiben würde; Mütter, deren Söhne in absehbarer Zeit auch zum Militär sollten, beunruhigten schon ihre Gemüter.
Die Ärzte umstanden das Krankenlager; sie waren sich nicht ganz einig. Der erste Stabsarzt neigte sich der Version »typhöses Fieber« zu und verordnete kalte Bäder und Chinin, der zweite Stabsarzt und der Assistent blieben bei ihrer Ansicht und waren mehr für andere Mittel.
Der wohlbewanderte Lazarettgehilfe war noch anderer Meinung.
»Ä was«, grinste er hinter den Herren drein, zupfte sich an seiner roten Nase und blinzelte pfiffig, »ä was, hat sich was mit Typhus und was noch allens! Quatsch! Wat ich jloobe: Delirium. Delirium hat das versoffene Schwein! Det janz jemeene Säuferdelirium!«
Am vierten Tag war der Reservist Papeczinski gestorben.
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Die guten Bürger des Städtchens standen vor ihren Türen, als der Leichenzug passierte. Das arme Opfer! Manch einer ballte heimlich die Faust im Sack; die Frauen blickten mitleidsvoll, Kinder liefen nebenher mit neugierig staunenden Augen und offenen Mäulern.
Wenigstens ein schönes Begräbnis hatte er! Acht Mann trugen den gelben Sarg, zwanzig andere trotteten hinterdrein mit gesenkten Köpfen.
Voran schritt der Hauptmann: Schärpe an der Seite, Helm auf dem Haupte; die helle Sonne bestrahlte die Helmspitze, daß sie weithin blendete wie ein Blitz. Er tat, was über seine Pflicht war, aber dieser erste Todesfall in seiner Kompanie hatte eben sein ganzes Interesse; was sollte er dem armen Kerl da nicht die besondere Ehre antun?
Martialisch, geradauf gerichtet, folgte auch ein Unteroffizier, das Gesicht wie aus Erz gegossen; er zuckte mit keiner Wimper, und fluchte doch innerlich: Wie die Kerle schlichen! Wie die Hammel, die zur Schlachtbank geführt werden! Wie sie die Mäuler verschlafen hängen ließen! Kreuzbombenelement, Schockschwerenot, das war aber auch ein Pech, heut am Sonnabendnachmittag, den man sonst frei hatte, wegen so’nem dämlichen Luder den weiten sonnigen Weg zum Kirchhof zotteln zu müssen!
Am Grabe machten sie halt. Da wartete schon der Geistliche.
»Helm ab zum Gebet!«
Die Hände falteten sich. Der Geistliche machte es kurz, aber warm; sie standen alle in der prallen Sonne. Auf so und so viel blanken Helmspitzen spielte sie und entzündete leuchtende sprühende Funkenblitze. Sie konnte sich heute gar nicht genug tun mit sieghaftem Scheinen, bis hinunter in die Gruft goß sie ihre goldene Glanzfülle und wob eine reiche Gloriole um Ede Papeczinskis Grab.
Und der Geistliche schloß:
»Er starb, ein braver Soldat, im Dienste seines Königs!«
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