Berliner Novellen. Clara Viebig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Clara Viebig
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783898018524
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Augenblick starrten sich die beiden Frauen an. Beide gleich hübsch, gleich schmächtig, jugendliche, noch nicht ausgereifte Gestalten; die eine im eleganten, langschleppenden Hauskleid, um die Füße der ändern eine schmutzige Regenlache.

      Sie maßen sich vom Scheitel bis zur Sohle. Das Licht der Ampel spielte über beide hin; sie waren beide gleich bleich.

      Im Korridor war es totenstill; unten im Haus ging eine Tür und klappte. Sonst nichts.

      Jetzt hörte man ein paar tiefe unruhige Atemzüge, und jetzt sagte die Fremde – sie hatte ein heiseres angekränkeltes Organ –: »So jung sind Sie? Ne, so was! Sie können ja kaum zwanzig sein. Sagen Sie Ihrem Mann – ne, ne, lassen Sie man!« Sie drehte sich kurz um und griff wieder nach der Tür. »Man muß schon sehen, wie man alleine zurecht kommt. Ich wer’ Ihnen –« aus ihrem neugierigen Blick wird ein fast mitleidiger – »ich wer’ Ihnen keinen Krach machen. Ich –« ein rauhes Husten bricht ihre Rede ab, ihre schmächtige Gestalt erschüttert unter der Anstrengung.

      »Was – was wollen Sie? Wer sind Sie?! – – Nein, Sie gehen nicht!« Mit einer heftigen Wendung vertrat die junge Frau der Hustenden die Tür. Ihre Lippen waren weiß geworden, ihr Atem flog: »Sie sind seine Geliebte – ich weiß es – Sie wollen was von ihm, Sie sind seine Geliebte, seine Geliebte, Geliebte – – –!« In wahnsinniger Aufregung wiederholte sie immer das letzte Wort.

      »Na, ja doch, gnäd’ge Frau, beruhigen Se sich man! Ich nehme es ihm ja auch gar nicht übel, daß er sich verheirat’t hat. Das ’s doch immer so. Aber was für mich tun hätte er doch gekonnt!« Sie rückte den verschobnen Hut zurecht und zupfte den Schleier mit spitzen Fingern übers Gesicht. »Als ich noch bei der Gerstel im Modewarenmagazin war, hätte ich nich gedacht, daß es mir mal so schlecht gehn könnte. Wenn ich jetzt nachts so viel wach liege, muss ich weinen, daß ich mal so dumm war. Was ich eigentlich gedacht habe, das weiß ich selbst nich; ’s war nu mal so. Un wie er mir die nette Wohnung mietete, war ich so riesig fidel! Sie glauben gar nich, was wir da für famose Abende gehabt haben. Das is ja nu alles zu Ende, ach Gott ja, aber –«

      »Kommen Sie herein,« sagte die junge Frau mit einer eigentümlich harten, metallisch klingenden Stimme. Sie zog die Fremde gewaltsam am Handgelenk hinter sich her ins Zimmer. Mit zitternden Fingern tastete sie am Hahn des Glühlichts herum – nun flammte das auf hinter blutroten Seidenschleiern. Es war alles ganz hell, grausam hell.

      Mit weit aufgerissenen Augen starrte die elegante Dame das Mädchen an; Wut, Schmerz, Enttäuschung, bange Neugier lagen in ihrem Blick. Und nun stöhnte sie mit zuckenden Lippen: »Sie sind seine Geliebte, Sie waren seine Geliebte – schon lange – bis wann – erzählen Sie!« Die Stimme versagte ihr, sie ließ sich in einen Sessel fallen und schlug die Hände vors Gesicht.

      »Gott, gnäd’ge Frau!« Das Mädchen stand mitten im Zimmer unterm Kronleuchter, der rote Schimmer der Lampenschleier warf einen blutigen Schein auf ihren blassen Teint. Ein triumphierendes Lächeln hob für Momente ihre kurze Oberlippe und verlieh dem Mund einen grausamen Ausdruck. Vergleichend glitt ihr Blick von dem Kleid der Dame zu dem eignen triefenden Regenmantel; aber nur für ein paar flüchtige Augenblicke blieb der grausame Ausdruck, dann wurde er mitleidig. »Gnädige Frau, haben Se sich doch man nich so,« – sie trat einen Schritt näher und tupfte der Schluchzenden auf die Schulter, – »so was kommt vor. Das konnten Sie sich doch ungefähr denken, so’n schöner Mann wie der Rittmeister! Darüber machen Sie sich man keine Illusionen. Ich erhebe ja auch gar keine Ansprüche, ich mache mir jetzt mal jar nischt mehr aus ihm. Mag er wieder ’ne andre an der Nase führen.« Sie schnippte mit den Fingern in die Luft, – »wenn se so dumm ist!«

      »Sie lieben ihn nicht mehr – so haben Sie ihn nie lieb gehabt?« Die junge Frau ließ die Hände vom Gesicht gleiten und griff hastig nach dem Arm der anderen: »Haben Sie ihn nie lieb gehabt?«

      »Oh – un ob!« Eine leichte Röte flog dem Mädchen über das blasse Gesicht. »Was glauben Sie wohl? Wenn er mir so mittags nachgestiegen kam, die Jägerstraße lang, und des Abends in Zivil am Geschäft vorbeistrich, und den Hut zog, und einen so ansah – – –! Ich hätte damals unseren Buchhalter heiraten können, ’ne ganz gute Partie, aber ich hatte für keinen anderen Augen im Kopfe, ich war wie besessen. Und denn machten wir Pfingsten ganz früh ’ne Partie nach’m Grunewald, ich hatte ’n weißes Kleid an und ’nen großen weißen Hut mit Rosen, den hatte ich mir von ’nem Pariser Modell abgesehn. Und da fuhren wir auf’m Wasser, un er war so reizend, er sagte immer: ›Meine süße Maus, meine einzige Geliebte!‹ – Un ich glaubte ihm. Liebe jnädige Frau, Sie werden es ja wohl selber wissen, wie einem so einer was Vorreden kann! Man is doch auch nur einmal jung, man kann wirklich nich dafür. Nu ging ich mit ihm. Er wollte nich, daß ich im Geschäft blieb, er richtete mir die Wohnung ein, nah bei der Kaserne. Tante, bei der ich gewohnt hatte, schimpfte erst, aber als es mir so gut ging, sagte se nischt mehr. Ich war so vergnügt. Wie er sich vorm Jahr verheiratete, da hab’ ich wohl geweint, aber es war nich so schlimm. Er kam doch oft abends und war immer sehr nett, und denn wurde das kleine Mädchen geboren, und ich war ganz närrisch vor Freude!« Sie atmete tief auf und preßte die verschlungenen Hände ineinander.

      Mit vorgebeugtem Oberkörper reckte sich die junge Frau ihr entgegen: »Weiter – weiter!«

      »Weiter?!« Die Miene des Mädchens verfinsterte sich plötzlich, den schlanken Leib schüttelnd, riß sie die verschlungenen Hände auseinander und ballte sie zu Fäusten. Ihre schwarzen Sammetaugen wurden stechend. »Der Lügner, der Betrüger! Seit ’nem halben Jahr hat er ’ne andere, jetzt weiß ich’s. Darum hat er sich nischt mehr wissen gemacht und is nich gekommen, und ich habe auf ihn gewartet, gewartet!« Der rauhe Husten erschütterte sie wieder wie vorher draußen an der Tür. »Erst hat er die Miete geschickt und auch sonst Geld, jetzt nichts mehr. Seit vier Wochen keinen Ton! Ich habe an ihn geschrieben – jawohl – keine Antwort! Wieder geschrieben – wieder keine Antwort. Die Kleine zahnt und schreit die ganzen Nächte; ich bin so ’runter, ich weiß selbst nich recht, was mir fehlt, ich bin« – sie drückte die geballte Faust gegen die Brust – »ganz kaput! Gestatten Sie!« Sie setzte sich mit ihrem nassen Regenmantel schwer auf den nächsten seidengepolsterten Stuhl.

      Kein Laut jetzt. Zwei, drei, fünf Minuten verstrichen, keine der beiden Frauen sprach. Die roten Lampenschleier zitterten von der Hitze, ihr ganz leises Knistern wurde hörbar.

      Endlich stand die junge Frau langsam auf, ihre weichen Züge waren hart geworden, gleichsam erstarrt. Sie senkte den Kopf: »Und was wollen Sie jetzt? Was soll ich tun?«

      »Sie –?« Die andere sah sie verwundert an. »Sie?! Mit Ihnen habe ich doch gar nichts zu tun, was geht Sie das alles an? Aber Ihren Mann will ich sprechen, ich muß ihn sprechen, ich wer’ ihn sprechen, ich – ich – ich« – sie sprang wieder auf wie ein gereiztes Tier – »ich wer’ ihm den Standpunkt klarmachen, dem – dem Kerl!« Zornige Tränen brachen ihr aus den Augen. »Denkt er, ich soll verhungern, und der arme Wurm dazu – verhungern?!«

      »Verhungern – – –!« Einem Echo gleich kam es von den Lippen der jungen Frau, mit einer unglaublichen Bitterkeit wiederholte sie das Wort: »Verhungern! Nein, das sollen Sie nicht!« Sie ging an ihren Schreibtisch und kramte darin. »Hier« – es waren mehrere Scheine, die sie dem Mädchen reichte – »mein Geburtstagsgeld von Mama. Mehr habe ich jetzt nicht, aber ich will Ihnen schicken, sobald Mama mir wieder etwas gibt. Sie können sich darauf verlassen. Bitte, gehn Sie jetzt, und – meinem Mann« – zögernd, fast widerwillig glitten ihr diese zwei Worte über die Lippen – »bitte, sprechen Sie nicht mit meinem Mann!«

      »Das hat ja jetzt auch jar keinen Zweck mehr. Denken Sie vielleicht, ich will ihn ausquetschen, was ’rauspressen? Ne, gnäd’ge Frau, man hat doch auch seinen Stolz; ich will nur nich verhungern mit dem Kind, bis ich wieder Stellung gefunden habe. Wär’ ich nur erst gesund!«

      Das Mädchen hustete wieder krampfhaft, in der Brust rasselte es dabei. »Ich hab’ mich erkältet im Wochenbett. – Aber, gnäd’ge Frau, ich habe Sie schon zu lange belästigt, ich danke Ihnen vielmals!«

      Sie nahm die Scheine in die linke Hand und streckte die rechte, im schäbigen Glacé mit lauter