Verschwundene Reiche. Norman Davies. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Norman Davies
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783806231199
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an Festtagen gerade so wie das eines privaten Hauses ist, dann gibt es hier keinen glanzlosen Haufen von verfärbtem altem Silber, den der keuchende Diener auf sich biegenden Tischen auftürmt. Das meiste Gewicht hat das Gespräch, da man bei dieser Gelegenheit entweder nichts oder aber Ernsthaftes redet. Die bequemen Sitzmöbel mit ihrem faltenreichen Überhang sind bald purpurfarben drapiert, bald mit weißem Linnen bespannt; die Speisen begeistern wegen der kunstvollen Art ihrer Zubereitung und nicht deswegen, weil sie an sich so wertvoll wären … Mit einem Wort, man sieht dort griechische Eleganz, gallische Überfülle und italische Spritzigkeit… und königliches Maßhalten … Nach dem Mahle fällt der Mittagsschlaf entweder ganz aus oder ist nur kurz. Zu den Stunden, in denen der König spielen möchte, greift er rasch zu den Würfeln. Er betrachtet sie genau, dreht sie gekonnt, wirft sofort, redet ihnen im Spaß gut zu und wartet geduldig. Bei guten Würfen schweigt er, bei schlechten lacht er … in jedem Fall zeigt er Gleichmut … Manchmal freilich, wenn auch selten, treten beim Abendmahl Schauspieler auf, doch so, dass kein Tischgenosse durch gallige und bissige Bemerkungen beleidigt wird. Man lässt dort weder Wasserorgeln erklingen noch einen Dirigenten ein Chorstück mit lauter Orchesterbegleitung zur Aufführung bringen. Dort macht kein Lautenspieler Musik, kein Flötenbläser, kein Tamburinmädchen und keine Gitarristin, da der König allein jener Musik zugetan ist, durch die Kraft in die Seele und Wohlklang ins Ohr dringen. Wenn er sich von der Tafel erhoben hat, zieht die Wache zuerst beim Schatzgewölbe auf … es [ist] an der Zeit, dass mein Griffel ein Ende finde, weil Du bloß über die Art und Persönlichkeit des Mannes erfahren wolltest, während ich beabsichtige, kein Geschichtswerk, sondern einen Brief zu schreiben. Lebewohl.14

      Die Herrschaft Theoderichs II. litt unter den Wechselfällen der Reichspolitik. Im Jahr 455 besuchte Eparchius Avitus, der neu ernannte römische Befehlshaber in Gallien, Tolosa. Während seines Aufenthalts kam die Nachricht, dass Rom zum zweiten Mal geplündert worden sei, diesmal von den Vandalen, und Theoderich nutzte die Gelegenheit, um Avitus zum Kaiser auszurufen. Dann drang er zum ersten Mal auf die Iberische Halbinsel vor und rechtfertigte seine Eroberungen als Rückgewinnung von Reichsland. Seine Ansprüche überzeugten den nächsten Kaiser, Majorian, der von Gibbon als »ein großer und heldenhafter Charakter« beschrieben wird, überhaupt nicht, und wenigstens kurzfristig setzte er mit großer Energie in Gallien wieder die Reichsherrschaft durch.

      Theoderichs jüngerer Bruder Eurich (reg. 466–484) ergriff die Macht inmitten militärischer Konflikte, nicht nur zwischen Westgoten und Reichstruppen, sondern auch zwischen verschiedenen westgotischen Parteien. Er tötete seinen Bruder, schlug einen tobenden keltischen Kriegherrn namens Riothamus, zog wieder über die Pyrenäen und siedelte eine Einheit ostgotischer Söldner aus römischen Diensten auf seinem Territorium an. Als Gesetzgeber wie auch als oberster Krieger erwies er sich als die vielseitigste Persönlichkeit seiner Familie: Obwohl er Latein konnte, sprach er zumeist mit Hilfe eines Dolmetschers Gotisch mit ausländischen Gesandten. Die arianischen Gottesdienste in seiner königlichen Kapelle wurden ebenfalls in gotischer Sprache gehalten. Allmählich dehnte er seine Herrschaft über die ganze Iberische Halbinsel aus. Der Codex Euricianus von 471 war der erste Versuch einer schriftlichen Zusammenfassung germanischer Gewohnheitsrechte in der nachrömischen Welt.15 Das war ein Zeichen politischer Reife. Im Jahr 476 überredete Eurich den vorletzten Kaiser des Westens, Julius Nepos, die nur noch nominelle römische Oberherrschaft über das Territorium der Westgoten aufzugeben. Bereits vor seinem Tode war das Römische Reich im Westen völlig in sich zusammengebrochen. Das Tolosanische Reich blieb verwaist als souveräner Staat zurück.

      Die Forschung hat die Entwicklung des westgotischen Königtums im 5. Jahrhundert genau nachgezeichnet. In der ersten Phase gab es vor allem die Tendenz, alle Formen römischer Rechtspraxis und lateinischer Titel nachzuahmen. In der mittleren Phase sahen die Reges Gothorum sich schon als etwas Besseres, nicht mehr nur als reine foederati. Und in der letzten Phase, als Nachfolger des Reiches, agierten sie auf Augenhöhe mit dem Kaiser. Während eben dieser Entwicklung verlor die Oberschicht der westgotischen Gesellschaft, die optimates, über die Jahrzehnte hinweg allmählich an Einfluss. In der germanischen Tradition waren alle Krieger gleich gewesen – die nachrömische Monarchie dagegen betonte die Hierarchie und die Königswürde.16

      Der fränkische Chronist Gregor von Tours (534–594) hat Eurich das Etikett eines Katholikenverfolgers angehängt, aber diese Unterstellung ist ungerecht. Ein paar unliebsame Geistliche wie Bischof Quinctianus von Civitas Rutenorum (Rodez) wurden ins Exil geschickt, aber es geschah nichts, was an die brutalen Verfolgungen heranreichte, die die arianischen Vandalen in Nordafrika in Gang setzten.17

      Kurz nach dem Tod Eurichs und des letzten westlichen Kaisers Romulus Augustulus akzeptierte der Ostgote Theoderich, der sich auch Flavius Theodoricus nannte, den byzantinischen Befehl, auf Italien zu marschieren und das Kaisertum wiederherzustellen. Im Jahr 488 überquerte er deshalb die Alpen mit einem riesigen Heer, zerstreute die Verteidiger der nachrömischen Ordnung in alle Winde und tötete ihren Anführer Odoaker nach einer dreijährigen Belagerung Ravennas eigenhändig. Mit Hilfe seiner westgotischen Verwandten überrannte er dann die italienische Halbinsel von einem Ende bis zum anderen und nahm den Titel eines »Vizekaisers« an. Gestützt auf die militärische und kulturelle Macht von Byzanz und deren große Kriegsmarine, drohte sein ostgotisches Königreich mit der Hauptstadt Ravenna bald seine Nachbarn und Rivalen zu überragen. Neben dem westgotischen Tolosanischen Reich grenzte es an das (zweite) Reich der Burgunder, das gerade im Rhônetal entstanden war (siehe S. 119.).18

      Eurichs Sohn Alarich II., der als Junge im Jahr 484 den Thron bestiegen hatte, war der Achte in der Königslinie. Er verwandte viel Energie darauf, Nachbarn und Untertanen gleichermaßen für sich zu gewinnen. Seine größte Leistung bestand in der Vorbereitung des berühmten Breviarum Alarici, einer überaus gelungenen Kompilation des römischen Rechts. Dieses Werk, das Gesetze nicht nur sammelte, sondern auch auslegte, wurde von einem Komitee aus Adligen und Geistlichen gebilligt, bevor es 506 in Kraft trat. Es sollte zu einem Standardtext im ganzen nachrömischen Gallien bis ins 11. Jahrhundert hinein werden.19 Darüber hinaus umwarb Alarich die Ostgoten. Er heiratete Theoderichs Tochter und zeugte mit ihr einen kleinen Sohn, was die Aussicht auf ein riesiges pangotisches Bündnis eröffnete.

      Dann allerdings tauchte Alarichs Nemesis in Gestalt Chlodwigs auf, des Königs der germanischen Franken, der seit den 480er-Jahren begonnen hatte, sein Reich vom Rheinland aus nach Gallien hinein auszudehnen und schon fleißig dabei war, die Burgunder zu schwächen. Chlodwig war ein frisch bekehrter Katholik mit grenzenlosem Ehrgeiz und der Herrscher, der sich von einer Vereinigung der Goten wohl am stärksten bedroht fühlte.20 Im Jahr 497 hatte er sich mit den Bretonen – von den Angelsachsen aus Britannien vertriebene Briten, die sich in der späteren »Bretagne« niederließen (A.d.Ü.) – an der Westküste Aquitaniens zusammengeschlossen, wo die Hafenstadt Burdigala (Bordeaux) kurz besetzt wurde. Kurz darauf feierte er einen überwältigenden Sieg über seine östlichen Nachbarn, die Alemannen, und konnte sich jetzt mit voller Aufmerksamkeit dem Süden zuwenden. Alarichs Instinkt sagte ihm, dass er einer Konfrontation aus dem Weg gehen sollte. Einmal hatte er einen fränkischen Flüchtling namens Syagrius ausgeliefert, der es gewagt hatte, Chlodwig herauszufordern. Gregor von Tours berichtet, dass der Westgote darauf bestand, nach Ambaciensis (Amboise) zu reisen, wo er Chlodwig zu einem Gespräch auf einer Loire-Insel traf:

       Igitur Alaricus rex Gothorum cum viderit, Chlodovechum regem gentes assiduae debellare, legatus ad eum dirigit, dicens: »Si frater meus vellit, insederat animo, ut nos Deo propitio pariter videremus…«

      Als nun Alarich der Gotenkönig sah, dass König Chlodwig ohne Unterlass die Völker bekriegte und sich unterwarf, schickte er Gesandte an ihn und sprach: »Wenn es meinem Bruder beliebt, so wäre es der Wunsch meines Herzens, dass wir uns einmal sehen, so Gott will.« Chlodwig aber wies dies nicht zurück und kam zu ihm. Sie … sprachen, aßen und tranken miteinander … und schieden dann in Frieden.21

      Wie sich herausstellte, ließ Chlodwig sich nicht so leicht besänftigen. Er war seit Kurzem durch Eheschließung mit den Burgundern liiert und außerdem mit dem byzantinischen Kaiser verbündet, der ihm den Titel eines Reichskonsuls übertragen hatte, und er wollte seinen Rivalen zuvorkommen. Gemeinsam beschloss man einen Feldzug ins Reich der Westgoten. Die Byzantiner sollten vor der Südküste patrouillieren, die Franken von