Er segnete Jakobea und verabschiedete sich bald darauf. Gertrudis trat vor Walburga, die sich mit dem Zipfel ihrer Schürze die Tränen aus dem Gesicht wischte. Seit der Todesnachricht war Gertrudis von Zweifeln geplagt, ob nicht sie das Kind auf dem Gewissen hatte, nachdem sie Walburga nach dem Zwischenfall in der Küche vor wenigen Tagen so heftig verflucht hatte. Gertrudis hatte den Teufel heraufbeschworen und ihrer Kostgeberin alles Schlechte gewünscht, aber doch nicht den Tod.
»Es tut mir leid, Bäuerin. Aber du und der Bauer, ihr könnt ja froh sein, dass ihr noch so viele weitere Kinder habt, die alle gesund sind«, versuchte sie wohlmeinend ihr Beileid auszudrücken.
Walburga, die an nichts anderes als an die Zahl dreizehn denken konnte, glaubte, sie hätte sich verhört. Und deshalb sollte der Tod von Jakobea weniger schlimm sein? Ach, sie konnte diese dumme, liederliche Magd nicht länger ertragen! Die Bäuerin sprang auf.
»Raus! Raus mit dir, aber sofort. Verlass diesen Hof, ich will dich nie wieder hier sehen.«
Mit der ausgestreckten Hand wies sie zur Stubentür. Gertrudis schaute sie irritiert an und war wie erstarrt.
»Was …?«
»Raus, hab ich gesagt!«, bellte Walburga.
Martin ging dazwischen. »Du wirst jetzt nicht die Magd rauswerfen, Walburga, lass es sein.«
»Du willst nur weiter mit ihr tändeln, aber ich ertrag sie nicht mehr. Sie soll gehen. Raus!«
Walburga zitterte, aber ihre Entscheidung stand fest, auch wenn ihr Mann das letzte Wort hatte. Gertrudis hatte den Bogen überspannt, und jetzt war Schluss.
Gertrudis wirkte verschüchtert und glaubte zunächst nur an einen der üblichen Wutanfälle der Bäuerin. Einige Momente stand sie unbeweglich da und schaute von einem zum anderen. Als sie merkte, dass die Bäuerin es ernst meinte, löste sich ihre Erstarrung, sie zuckte wortlos mit den Schultern und verließ die Stube. Kaum war sie draußen, ließ Walburga den Arm sinken und setzte sich erschöpft auf die Ofenbank.
Im selben Moment erhob sich Wendelin. »Wenn Gertrudis geht, dann muss ich auch gehen.«
»Was zum Teufel …?« Martin sah seinen Knecht fassungslos an.
»Nicht fluchen!«, zischte die Fallermarie dazwischen.
»Gertrudis und ich gehen zusammen. Tut mir leid, Bauer.«
Wendelin breitete entschuldigend die Arme aus. Er spürte, dass er in seinem ganzen Leben noch nie so viel Mut gehabt hatte wie in diesem Augenblick. Jetzt war der Moment gekommen, an dem sie sich entscheiden mussten. Hinter der Stubentür wartete Gertrudis, und auch wenn sie jetzt nicht wüssten, wohin, so war doch klar, dass sie gemeinsam den Weg gehen würden. Er würde sie nicht im Stich lassen. Kaum hatte Wendelin die Stubentür zugezogen, fielen er und Gertrudis sich im Hausgang in die Arme.
»Lass uns unsere Bündel packen, und dann sind wir weg«, sagte Wendelin.
Drinnen hörte man den Bauern zürnen.
»Beide Völcher weg. Du bist ja von allen guten Geistern verlassen!«, schrie Martin seine Frau an. »Wie kannst du es wagen? Welcher Knecht geht jetzt mit mir in den Wald? Wer macht die Arbeit der Magd? Du weißt es nicht? Das ist jetzt dein Problem, du wirst es ausbaden!«
»Das ist mir gleich«, keifte Walburga zurück. »Lieber schufte ich die ganze Nacht durch, als dass ich diese Allmannshure hier noch länger ertrage. Glaubst du, ich habe nicht gesehen, wie du ihr ständig hinterhersteigst? Ist Jakobeas Tod vielleicht die Strafe Gottes dafür, dass du die Finger nicht von der Magd lassen kannst?«
»Du bist ja irre, vollkommen verrückt. Du hast wohl zu viel Zeit zum Nachdenken. Aber die Arbeit wird dir diese Gedanken schon austreiben«, entgegnete Martin wütend.
»Hört auf, alle beide«, ging die Fallermarie dazwischen. »Das ist nicht der Zeitpunkt, um zu streiten. Vor eurem toten Kind. Habt ihr denn keine Ehre?«
Sie hielt kurz inne und sah Walburga und Martin streng an, bevor sie weitersprach: »Bei Gott, reißt euch zusammen. Macht es nicht noch schlimmer. Reicht es nicht, dass euer Kind gestorben ist? Eines ist sicher: Noch mehr Unglück auf dem Hof können wir nicht gebrauchen. Also betet zu Gott, dass er uns gnädig sei.«
Walburga trug schwer am Verlust ihrer Tochter. Darüber hinaus erschien ihr die Vorstellung, noch einmal schwanger zu werden, furchterregend. Sie wollte ihre Ruhe. Sie konnte es nicht mehr ertragen, wenn Martin sich abends im Bett ihr näherte, der Atem nach Schnaps riechend, und sein eheliches Recht einforderte.
Wenige Wochen nach Jakobeas Tod sah Walburga ihre Stunde gekommen, um das fortan zu verhindern. Martin tauchte mit einem jungen Ehepaar im Haus auf und zeigte ihnen das Stüble und die darüber liegende Schlafkammer. Auch die Küche inspizierten sie, während Walburga das Mittagessen vorbereitete. Die Tränen liefen ihr gerade die Wangen herunter.
»Es sind die Zwiebeln«, erklärte sie und deutete mit dem Messer auf den Tisch vor sich.
Das war eine gute Ausrede, doch kamen Walburga seit Jakobeas Tod oft die Tränen, wenn sie allein war. Jetzt war sie dazu noch fassungslos. Denn statt noch vor Weihnachten eine neue Magd und einen neuen Knecht auf den Königenhof zu bringen, kam Martin plötzlich mit Gehausleuten daher. Untermieter, die ihren eigenen Herd in der Küche und ihr eigenes Stüble haben sollten. Sie schaute der Gruppe nach, als diese wieder ihre Küche verließ, legte das Messer nieder, wischte sich mit der Schürze die Tränen ab und folgte ihnen in die Stube.
»Walburga, bring etwas zu trinken und Brot«, befahl Martin, kaum dass sie zur Tür hineinkam.
Walburga tat wortlos, wie ihr geheißen, und ging zurück in die Küche. Die junge Frau lächelte sie freundlich an, als sie mit dem Wasserkrug wieder in die Stube trat. Augenblicklich entwickelte Walburga eine Abneigung gegen das junge Paar. Die Frau hatte lange blonde Locken und sah aus wie ein Engel. An ihrem Rockzipfel hing ein etwa dreijähriger Bub, und in ihrem Arm hielt sie einen Säugling. Walburga spürte einen Stich.
»Das sind Hilar Winterhalter und seine Frau Clara«, stellte Martin vor. »Hilar ist Uhrmacher. Sie ziehen hier ein und kriegen das Stüble und die Stüblekammer. Und Clara bekommt den zweiten Herd in der Küche.«
Walburga sah von dem Mann zu dessen Frau. Sie verspürte keinerlei Interesse daran, sich ihre Küche mit einer fremden Frau zu teilen. Was dachte sich Martin bloß?
»Wir freuen uns sehr«, sagte Clara nun. »Es ist schön, dass wir auf dem Königenhof wohnen können.«
»Auf gute Nachbarschaft«, ergänzte Hilar.
Beide strahlten Walburga an, waren froh, eine Bleibe für sich und ihren Nachwuchs gefunden zu haben. Martin vereinbarte mit ihnen, dass sie gleich am nächsten Samstag einziehen könnten. Walburga saß stumm daneben und schaute zu, wie die beiden Männer am Stubentisch ein entsprechendes Papier aufsetzten.
Nachdem die jungen Leute gegangen waren, erklärte Martin, dass die Fallermarie das Stüble samt Stüblekammer zu räumen hatte.
»Einverstanden«, erwiderte Walburga bestimmt, »wenn das so ist, dann schläft die Mutter ab sofort bei mir. Du kannst in die leere Knechtskammer ziehen. Da ärgere ich mich auch nicht, wenn du dich viel später als ich volltrunken hinlegst und die ganze Nacht schnarchst.«
Erstaunlicherweise hatte Martin keinerlei Einwände. Noch am selben Abend zog er um. Das Ehepaar Tritschler würde nie wieder beieinanderliegen.
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