Der Wal. Ally Klein. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ally Klein
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783990590812
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machte sie aus fünf Fingern zwei. Nur wenig später brachte er zwei Bier, stellte beide bei ihr ab und ging davon.

      Q erhob sich, nahm die beiden Krüge in die Hand, trat an Sauls Tisch.

      »Ist das jetzt dein Zeichen der Versöhnung?«, brummte er.

      Sie quetschte sich in die Nische und ließ sich auf die Bank ihm gegenüber fallen. Schweigend sah sie ihn an, schüttelte unmerklich den Kopf.

      »Ein Zeichen der Aufmerksamkeit ist es höchstens, dein Bier ist ja leer.«

      Sie hob ihren Krug an und hielt ihn ihm entgegen. Saul tat es ihr gleich, zögerlich, sie stieß mit ihrem gegen seinen und nahm drei große Schlucke. Mit einer Handbewegung wischte sie sich den Schaum von den Lippen weg.

      »Du bist der Neue.«

      Saul blickte sie wortlos an.

      »Ich frag ja nur. Will nur sichergehen.«

      Auch diesen Satz ließ er unbeantwortet, sah hinunter zu seinen beiden Händen, die spröden Knöchel von dunkelroten Punkten übersät. Eine verkrustete Streu bedeckte seine Haut. Auf den hervorstehenden, runden Knochen waren tropfenförmige Reliefs verteilt, Blutrinde von Verletzungen, die er nicht wahrgenommen hatte.

      »Du bist der, der den Wal angekauft hat, nicht? Diesen Bau am Rand, bei den Äckern.«

      Sauls Blick wanderte zu ihr.

      »Man spricht von dir, als wärst du ein Gespenst.«

      Die Krone auf dem Bier, das für Saul gedacht war, hatte sich im Bernsteinfarbenen aufgelöst. Nur ein schmaler, weißer Ring aus winzigen Bläschen an der Glaswand erinnerte an ihr einstiges Bestehen.

      »Kaum einer sieht dich, aber jeder weiß von dir. Sie verschweigen dich alle zwar, finden dich unheimlich, glaube ich, aber wenn sie von dir sprechen, dann so, als gäb’s dich nicht wirklich. Ich dachte ja immer, die hätten dich ausgedacht. Ich frage immer, wie ist er so, aber niemand weiß es, sagen nur, der arbeitet da im Wal, schuftet vor sich hin, aber keiner hat mit dir je ein Wort gesprochen, stimmt’s?«

      Saul hatte seine Augen keinen Millimeter von ihr bewegt.

      »Bist auch einfach aufgetaucht und verschwunden, da vorm Tal. Wie ein Phantom. Ist ja auch fraglich, ob das Ganze überhaupt stattgefunden hat«, entgegnete er endlich, aber Q nahm bloß einen Schluck von ihrem Bier und sprach, als hätte es seinen Einwurf nicht gegeben:

      »Trink doch, worauf wartest du?«

      Er musste die Haut am verhärteten Gips aufgeschürft haben, als er versucht hatte, ihn vom Beton zu entfernen. Die frischen Kratzer, deren bräunliches Rot am hellsten war, lagen nur wenige Stunden zurück. Es waren auffällige Schrammen, tiefer als sonst. Saul stierte auf seine Hände und las die Chronik des Tages an der Form, Größe und Verfärbung seiner Verletzungen ab.

      »Kann ich mir das mal anschauen?«

      Saul hob seinen Kopf, seine Augen wanderten wieder zu ihr.

      »Kann ich?«

      Er sah zu seiner Hand, sah zurück zu Q, kratzte sich ratlos am Kopf, mit derselben Hand, die sie anscheinend sehen wollte. Er streckte sie ihr zögerlich entgegen, ließ sie ein Stück über die Tischoberfläche gleiten, mit den aufgeschürften Knöcheln nach oben – aber sie sah nicht mal hinunter.

      »Wie es innen aussieht. Weiß ja niemand außer dir.«

      Das Bier musste ihm in den Kopf gestiegen sein. Das Kinn gesenkt, wanderten seine Augen nach oben, er sah sie ratlos an, eine Strähne rutschte ihm vors Gesicht.

      Sie blickte ihm erwartungsvoll entgegen.

      Saul öffnete seinen Mund, die Frage steckte ihm schon in den Augen, lag auf seiner Zunge, aber Q kam ihm zuvor:

      »An die fünf-sechsmal bin ich die letzten Jahre insgesamt dran vorbeigelaufen, die ersten Male noch vor deiner Zeit hier, das ist schon so lange her, da war der Wal einfach nur ein verlassenes Gebäude, das niemand beachtet hat. Aber kürzlich, da hab ich was gehört drinnen. Und draußen war Schutt, haufenweise. Und mit jedem Mal war ein größerer Berg davor, was ist da denn alles drinnen? Höhlst du den ganzen Bau einfach aus?«, sie sah ihn an und ein Lächeln deutete sich auf ihrem Gesicht an. »Du treibst dem Wal sein Inneres wie einen Dämon aus, hab ich mir beim letzten Vorbeigehen gedacht.«

      Saul sah sie an, unmerklich zeichnete sich in seinem Gesicht eine Milde ab. Er umklammerte das Bier mit einer Hand, fuhr den Krugrand an seinen Mund und ließ die fade gewordene Flüssigkeit hineinlaufen. Der Knorpel an seinem Hals sprang geräuschlos nach oben, sprang nach unten, verharrte wie ursprünglich in der Mitte, und der Krug wanderte zurück zum Tisch.

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