Der Wal. Ally Klein. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ally Klein
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783990590812
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herum. Saul stieß mit der Schaufel unter den Haufen, lud einen Teil auf den Schubkarren und fuhr ihn hinaus. Irgendwo draußen hörte man ihn den Schutt kippen, auf einen schon vorhandenen Berg, kippte ihn womöglich in einen Container, Schutt auf Schutt, es hallte von draußen hinein. Er betrat, von einer Staubwolke umrissen, den Raum, packte eine weitere Ladung auf den Karren und kehrte dann erneut vor Staub qualmend zurück. So ging es mehrere Male, bis er endlich mit leeren Händen wiederkam.

      Saul steuerte den umgedrehten leeren Wasserkasten an, vor der Wand ihm gegenüber, setzte sich darauf und lehnte sich mit dem Rücken gegen den Beton. Das Licht, das von oben fiel, erhellte sein Gesicht, blendete, sodass er die Augen schließen musste, und wärmte die Haut.

      Blind kramte er die Zigarettenschachtel aus seiner Jackentasche, drehte sie schräg auf den Kopf, klopfte auf den Packungsboden. Mit dem Filteransatz zuerst fiel aus der spärlichen Öffnung eine Zigarette heraus, Saul löste den Kopf von der Wand, öffnete die Augen, klemmte sich das Mundstück zwischen die Lippen und hielt das Feuer ans Ende. Sobald die Zigarette zündete, ließ er sich wieder zurückfallen und atmete aus.

      Die Glut fraß sich durch den trockenen Blätterschnitt und ergraute zu Asche. Der Schwanz des Dunstes verschwand beim ersten Zug in der Mundhöhle, Saul hustete auf, als der Rauch in seine Lungen drang, er beugte sich vor, hustete in die schlaffe Faust und lehnte sich wieder nach hinten.

      Winzige Staubpartikel umschwirrten ihn, ahmten grob seine Silhouette nach. Sie wagten kaum, ihn zu berühren, den unantastbaren, warmen Körper. Eine trübe Materie bildete einen Kranz um ihn, ein sanfter Schimmer umhüllte seine Gestalt, ein Schwarm aus Leuchtpartikeln, die mit ihren winzigen Körpern um ihn herum stoben, von seiner Statur gefangen genommen. Manche schafften es nicht länger, sich in der Luft zu halten, senkten sich nieder, bedeckten allmählich seinen Körper, seine Schultern, ließen sich auf seine Haare hinab.

      Die Zigarette aschte sich auf den kahlen Boden ab, bis die Glut am Filter scheiterte. Saul warf den Stummel auf den Haufen, den er am vorigen Tag zusammengekehrt hatte, Überbleibsel des Schutts, zu fein für die Schaufel, Zementpulver, Mörtelasche, die sich in der Ecke türmten. Er betrachtete die leeren Wände, auf die der Besitzer vor ihm diesen Zementbrei geklatscht hatte, um sie dann zu fliesen. Diesen aschfarbenen, weichen Beton hatte man mit Kacheln vollgekleistert, den seelenlosen, falben, in Farbe einer kränklichen Haut. Auf diesen Beton hatte man Gips geschmiert, seine Zartheit bekleckert und eine Kachel nach der anderen aufgedrückt. Mit seinen Händen, seinem Gewicht hatte dieser Mensch eine Fliese nach der anderen hineingeprägt, hatte sich hineingeprägt, seine Vorstellung von diesem Raum, sein Ich. Die gefliesten Wände hatten dieses Ich ausrufen sollen, jede Fliese hatte Ich! gerufen, ich, ich, ich, ich, Ich. Man hatte diesen Wänden ein Ich aufgedrängt, gegen ihre eigene Identität verstoßen, diese zurückhaltende, bescheidene Identität. Überall, in jeder Fliese, jedem Zwischenspalt, jedem Winkel hatte man dieses fremde, dem Menschen zugehörige Ich eingefangen. Man hatte alle vier Betonwände in Ich-Vierecke eingegittert, einen Käfig hatte man aus ihnen gemacht, man hatte sie in Gefangenschaft genommen, in Verwahrung eines Ichs gebracht.

      Tagelang hatte Saul die Fliesen abgetragen. Jeden Zentimeter hatte er mit dem Bohrhammer bearbeitet, jede Kachel sorgfältig entfernt und die Wände ihrem ursprünglichen Zustand näher gebracht. Die Überbleibsel dieser Ich-Vereinnahmung hatten aufgetürmt auf dem Boden gelegen, alles, was vom Menschen übrig blieb, waren Häufchen seines Willens, kleine Zeilen seines Seins.

      Noch bedeckten eingehärtete Zementbuckel, höckerige Kleberreste und Schmierereien aus Gips die Wände, aber langsam offenbarte sich der Beton unter ihnen. Ein ins Bläuliche abdriftender Gigant, den diese Parasiten befallen hatten.

      Saul ließ sich das Gesicht vom Licht erwärmen. Eine ganze Weile saß er noch mit geschlossenen Augen gegen die Wand gelehnt. Sobald der Schein aber zu schwinden begann, erhob er sich, packte seine Sachen zusammen und verließ den Wal.

      3.

      Die Nacht hatte die Luft so heruntergekühlt, dass der Atem in dichten Wolken aus dem Mund quoll. Saul bürdete sich den schweren Filzmantel auf, steckte die Arme hindurch und drückte die noch dran gebliebenen großen Knöpfe durch die schmalen Ösen. Er spazierte aus dem Garten, ohne die Zauntür hinter sich zu schließen, und bog nach rechts ab, weg von der Ortschaft. Mit jedem Schritt, mit dem er sich von seinem Grundstück entfernte, baumelte der grobe Filzkörper an ihm. Saul lief den Hügel hinauf, bis er einen Kamm erreichte. Er wanderte über den fußbreiten Pfad, der zu einer Wiese führte. Die schmale Linie, entlang der er lief, sollte jetzt in diesem Augenblick das feuchte Gras unter seinen Füßen spalten, aber nichts konnte man erkennen, der Boden war in komplette Schwärze getaucht. Der Pfad hackte sich unbemerkbar durch die klamme Weide, während sie ihren Moder in die Nachtluft entließ.

      Saul lief aus dem Gedächtnis durch das schwarze Nichts unter ihm, bis es sich, einer schwarzen Mauer gleich, nun auch vor ihm aufgebaut hatte.

      Als hätte man ihm das Augenlicht genommen, stand er davor, vor einer alles auslöschenden Materie. Langsam hob er die Hand, streckte sie nach vorne und tauchte sie in die dickflüssige Finsternis. Eine Finsternis, die sich langsam über die Kuppen ausbreitete, sich über die Knöchel zog, sich um die Finger wickelte, die Haut in sich einhüllte. Ihr Saum glitt über den Handrücken, deckte langsam die Hand ein, bis zum Gelenk – Saul hielt inne.

      Den untersten Teil des Arms an die Finsternis verloren, starrte er in die Leere. Vielleicht bewegte er seine Finger, aber in dieser Schwärze war alles nur eine Phantombewegung, eine Mutmaßung statt einer Gliedmaße. Selten wurde man seinen Körper so schmerzlos los wie an diese Dunkelheit.

      Allmählich hob Saul seinen Kopf. Die Tannenwipfel rissen fraktalartig den Sternenhimmel in die völlige Finsternis ab. Die eine Hälfte vom leuchtenden Staub durchsiebt, fiel die andere schlagartig ins abyssische Schwarz des Waldes ab.

      Er sah wieder nach vorne. Die Augen auf die vollkommene Dunkelheit gerichtet, waren sie von einem Ziel befreit. Der Blick zerstreute sich in den Augäpfeln, die Iris lagen schief in der weißen Lederhaut. Saul setzte einen Schritt nach vorne, einen weiteren, und langsam hüllte ihn die Schwärze komplett in ihren Mantel ein. Noch eine Weile war das Brechen der Zweige zu hören, es knackte, knackte immer leiser, und schon kehrte absolute Stille ein.

      Der Abgrund unter ihm zerrann gewöhnlich zu einer weichen, hügeligen Landschaft. Saul stand am höchsten Punkt. Unter ihm, irgendwo im Tal, musste dieses Haus sein, versteckt unter den Baumkronen, das sich zu später Stunde immer durch das bescheidene Licht in einem der Fenster verriet. Aber nichts brannte dort gerade, alles tarnte sich in diesem Schwarz. Unmöglich, jetzt noch die schmale Straße zu erkennen, die sich durch die Hügel schlängelte, nur um in der Ferne von dem immergrünen Wald verschluckt zu werden.

      Wie mit einem Kinnhaken versuchte der aufgekommene Wind, Saul zurückzustoßen. Er musste ihm standhalten, um nicht nach hinten zu kippen. Das schwarze Haar wehte er ihm aus dem Gesicht, entblößte es, der Zug blies ihm fast die Kleidung vom Körper. Die Luft drang durch den Mund, durch die Nase, ein Lufthieb drang durch das Luftrohr in die Lungen, füllte, pumpte die beiden Flügel voll, sodass sie gegen den Rippenkäfig drückten. Prall geworden, quetschten sich die Lungen gegen die Rippen, alles in seinem Rumpf weitete sich, der Bauch trat hervor, alles mit Leere gefüllt, er hätte platzen können. Saul taumelte und spannte den gesamten Körper an. Er stockte und atmete langsam aus, schrumpfte auf sein übliches Sein zurück.

      In dämmerblaue Haut gehüllt, stand er da und ließ sich von den Luftstößen anschlagen. Der Wind versetzte ihm mehrere Hiebe ins Gesicht, stieß ihn mit Gewalt zurück, rempelte ihn an. Saul hätte sich nach vorne fallen lassen können, hin zum Abgrund, und es wäre nichts passiert. Die Stöße prallten auf ihn von vorne, rammten ihn an der linken Schulter, der rechten, schlugen auf ihn ein, schlugen aufeinander ein. Saul schloss die ausgetrockneten Augen und ließ sich vom Wind durchfegen. An den Haarwurzeln zog es, die Haare peitschten ihm ins Gesicht, in Strähnen schleuderte es sie hin und her, und plötzlich, unerwartet, schlug der Wind so heftig zu, dass Saul leicht nach hinten kippte. Um die Balance in den Griff zu bekommen, riss er die Augen auf und machte einen Schritt zurück, um sich gerade noch auf den Beinen zu halten.

      Da sah er sie. Sie stand ruhig neben ihm, die Haare wanden sich