Ostprinzessinnen tragen keine Krone. Cornelia Heynen-Igler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Cornelia Heynen-Igler
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783969405284
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Meine erste Liebe, das war Jens, ihn durfte ich sogar zur Jugendweihe einladen. Das war schon ein Fortschritt gegenüber meiner um dreizehn Jahre älteren Schwester, die ihren Freund erst heimbringen durfte, als sie mit ihm verlobt war. Meiner Mutter schien alles Sexuelle peinlich zu sein, sie hat uns auch nie aufgeklärt. Warum sie so verschlossen in diesen Dingen war – keine Ahnung. Jedenfalls hielt ich meine Tändeleien und Liebeleien vor ihr verborgen, so gut es eben ging. Erst als ich schon lange erwachsen war, erzählte ich ihr von meinen Jugendflirts. Auch von Tom, den ich gegen Ende meiner Schulzeit mit noch nicht einmal sechzehn Jahren kennengelernt hatte und der eine Art Lebensliebe von mir werden sollte, habe ich ihr erst sehr viel später erzählt. Ich habe heute noch Kontakt zu ihm, auch wenn wir längst kein Liebespaar mehr sind – na ja, ein Liebespaar im eigentlichen Sinn waren wir ja nie. Das war eher so eine »Amour fou«, eine On-Off-Beziehung, wie man heute sagt. Wir konnten nicht miteinander und nicht ohne einander, aber das, was uns über alle Hindernisse hinweg miteinander verbunden hat, erwies sich als solider und dauerhafter, als wir das selbst je geahnt hätten.

      Kennengelernt habe ich Tom 1984 zu einer Zeit, als ich oft bei meiner Freundin Simone* (*Name geändert) auf dem Landgut ihrer Familie in Brandenburg zu Gast war. Es handelte sich um ein riesiges Anwesen auf einem Hügel, dem unter anderem eine Fleischerei und eine Rennpferdezucht angehörten. Die Pferde wurden für teures Geld in den Westen verkauft. Es war paradiesisch dort, das Grundstück war ungeheuer weitläufig. Vor kurzem, als ich auf einem meiner regelmäßigen Deutschland-Besuche durch Brandenburg gefahren bin, habe ich an diesem verwunschenen Ort Halt gemacht. Das Tor zu dem weitläufigen Grundstück stand weit offen. Das einst so imposante Haus auf dem Hügel war jetzt vollkommen verlottert, aber der Zaun und das Tor sahen noch aus wie damals in den 1980er-Jahren. Simone habe ich inzwischen leider aus den Augen verloren. Sie war ein Jahr älter als ich, ausgesprochen fraulich und gutaussehend, und sie trug immer die schönsten Kleider. An einem Abend des Jahres 1984 haben wir uns beide aufgebrezelt und sind mit dem Taxi nach Potsdam ins Fünfsternehotel »Interhotel« gefahren, weil Simone dort einen Barkeeper kannte. Über ihn sind wir trotz unserer allzu jungen Jahre reingekommen und haben wie die Großen an der Bar Cocktails geschlürft. An jenem Abend waren auch die Techniker der österreichischen Pop-Rock-Band »Erste Allgemeine Verunsicherung«, kurz EAV, an der Bar. Die Band war damals nicht nur bei uns im Osten, sondern im ganzen deutschsprachigen Raum groß im Kommen. Nachdem die EAV Ende der 1970er-Jahre in der alternativen Clubszene durch Deutschland getourt war, gelang ihr 1985 mit dem Album »Geld oder Leben!« der Durchbruch. Sicher kennst du so berühmte Lieder wie »Küss’ die Hand, schöne Frau« oder »Ba-Ba-Banküberfall« oder auch »Märchenprinz«. Ich glaube, ich könnte dir jetzt noch die allermeisten EAV-Hits auswendig vorsingen.

       Jedenfalls tauchte, während wir an der Bar mit den Technikern der EAV Cocktails tranken, auf einmal Thomas – Tom – Spitzer auf, der Texter, Komponist und Gründer der Band. »Du bist die schönste Fünfzehnjährige, die ich je gesehen habe«, sagte der über Dreißigjährige zu mir, was mir natürlich schmeichelte. Ich fand den Mann auf den ersten Blick umwerfend. Die Musiker wollten Simone und mich anderntags im Tourenbus nach Rostock mitnehmen, wo sie ein Konzert gaben. Unglücklicherweise aber haben wir beiden jungen Frauen aufgrund des ungewohnten Alkoholkonsums anderntags verschlafen: Als wir endlich aus den Federn kamen, war der Bus längst schon weg. Aber wir ließen uns nicht unterkriegen und sind dann doch noch nach Rostock zum Konzert getrampt, wo wir die Türsteher vergebens anbettelten, uns doch reinzulassen. Zufälligerweise kam ein Techniker vorbei, der uns wiedererkannte und uns zu sich hereinwinkte. Simone und ich bahnten uns Hand in Hand einen Weg durch die Menge bis zuvorderst zur Bühne, wo wir backstage das Konzert mitverfolgen durften. Es war überwältigend.

       An jenem Abend ging ich nach dem Konzert mit Tom aufs Hotelzimmer, er wohnte im Interhotel »Warnow« in Rostock. Wir verbrachten die ganze Nacht zusammen, obwohl wir nicht miteinander schliefen. Zu unserem Glück – das ganze Zimmer war ja völlig verwanzt, wie ich natürlich erst Jahre später erfuhr. Tom hatte einen Heidenrespekt, ich war ja noch nicht einmal volljährig. Er behandelte mich, als sei ich eine Porzellanpuppe, die bei der geringsten unbedachten Berührung in tausend Stücke zerfallen könnte. Nach dieser fast unwirklichen Nacht in Rostock rief ich Tom manchmal von zu Hause von unserem verwanzten Privattelefon aus an, während er auf Tournee war. Also wussten die Stasi und, wie ich vermute, wohl bald auch mein Vater von meiner Liaison mit dem »Musiker aus dem Westen«, was natürlich ein doppeltes No-Go war. Erst viele Jahre später habe ich meiner Mutter von meinen Abenteuern mit Tom erzählt, die das alles erst gar nicht glauben wollte. »Du bist ja schon dein Geld wert, Katja«, seufzte sie kopfschüttelnd und schmunzelte doch wider Willen. Wie sie allerdings reagiert hätte, wenn ich ihr 1984 die Geschichte gebeichtet hätte, wage ich mir nicht einmal vorzustellen. Mein Vater war in Bezug auf Jungs sehr viel toleranter als meine Mutter, aber er wäre ihr in Erziehungsfragen nie in den Rücken gefallen. Sie gab bei uns zu Hause den Ton an, und was sie sagte, war Gesetz.

       Es kam, wie es kommen musste: Thomas Spitzer und ich sahen uns von 1984 bis zum Mauerfall 1989 ungefähr alle zwei Jahre, immer dann, wenn die EAV – die sich mittlerweile von Erfolg zu Erfolg hangelte – in der DDR auf Tournee war. Tom, der eigentlich eher ein Faible für erfahrene, ja im Gegensatz zu mir fast schon verruchte Frauen hatte, war ungeheuer zärtlich und liebevoll zu mir. Er bedachte mich mit allerlei Kosenamen; ich war sein Engel, sein Katilein, seine »Admiralstochter«, wie er mich im Scherz oft nannte. »Du warst meine jüngste große Liebe«, sagt er heute noch zu mir. Trotzdem war mir von Anfang an bewusst, dass das mit Tom nie etwas werden könnte, denn die Grenzen zwischen uns waren im wahrsten Sinn des Wortes unüberwindbar.

       Mit sechzehn, nach Schulabschluss, wollte ich eigentlich Zootierpflegerin werden. Da es für den Beruf in der ganzen DDR jedoch nur etwa drei Lehrstellen gab, wurde daraus nichts. Ich liebe Tiere über alles, daran hat sich bis heute nichts geändert. Dank der Beziehungen meines Vaters habe ich dann eine Lehrstelle beim Ministerrat der DDR als sogenannter »Facharbeiter Kellner«, wie die Gastronomieausbildung auch für weibliche Fachpersonen hieß, im Rahmen einer zweijährigen Ausbildung ergattert. Die Regierung besaß verschiedene Gästehäuser in der ganzen DDR; eine Art hermetisch abgeriegelter Hotels, die nur dem Staatsdienst zur Verfügung standen und in denen auf Staatsbesuchen die hohen Gäste untergebracht waren. Da wurde der Tisch noch mit dem Maßstab gedeckt! Bei der Lehrabschlussprüfung mussten wir ein Menu für Minister zusammenstellen, Flambieren, Tranchieren, Filettieren, alles im hochkarätigen Rahmen. Für die Ausbildung musste ich nach Leipzig ins Internat ziehen, was mir anfangs schwerfiel, da ich stark unter Heimweh litt. Aber meine Eltern wiesen mich an, die Zähne zusammenzubeißen und keine Schwäche zu zeigen. »Augen zu und durch!«, feuerte mich meine Mutter ungerührt an.

      Wir waren zehn Lehrlinge, darunter drei FrauenHaubi, Katrin und ich. Mit Haubi, die mit vollem Familiennamen Haubenreisser heißt, habe ich heute noch Kontakt. Sie ist eine sächsische Frohnatur, die uns oft zum Lachen gebracht hat. Jedenfalls sind wir drei Mädels des Nachts manchmal heimlich aus dem Fenster des Internats übers Tor gestiegen, um in Leipzig um die Häuser zu ziehen. Da musste man schon ganz schön Mumm in den Eiern haben!

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