»Oh ja, Inquisitionsführer in Spanien, unter dem Hus in Konstanz brennen musste!«, ergänzte Tommaso.
»Sein wüstes Leben hätte ihn fast an den Galgen gebracht, wovon er sich mit erkaufter Kardinalswürde errettete. Doch endlich wurde über ihn zu Konstanz Gericht gehalten. Es gab kein Verbrechen, dessen man ihn nicht mit Recht beschuldigt hätte. Der öffentliche Ankläger auf dem Konzil nannte ihn den Feind aller Tugend, den Pfuhl aller Schande, das Laster der Laster und einen eingefleischten Teufel. Er wurde abgesetzt und sollte lebenslänglich ins Gefängnis. Nach kaum zwei Jahren kaufte er sich frei. Papst Martin V. machte ihn zum Kardinal von Tusculum und ließ ihn im Kardinalkollegium zur Rechten seiner Person auf einem erhöhten Stuhl sitzen, weil er doch einmal Papst gewesen war.«
Alle vier lachten verächtlich. Bessarion fügte hinzu: »Macht sich nicht Habgier und Wollust breit, dann desto mehr die Fresserei und Völlerei oder eine weibische Eitelkeit. Schminke und Kleider, besetzt mit Edelsteinen und Goldstickerei. Und vergesst nicht die Trunksucht!« Sie nickten einhellig. »Nicht lange ist es her, dass die prunküberladenen Paläste der römischen Großen wie Bordelle waren. Die Hauptstadt des Reiches war der Tummelplatz einer ungeheuren Ausschweifung. Die Zahl der Prostituierten vom vornehmsten bis zum niedersten Schlage war riesengroß. Vor fast genau hundert Jahren hat Papst Johann XXII. Zahlungen zur Absolution festgesetzt. Man stelle sich vor: Wenn ein Geistlicher fleischliche Sünden beging, sei es mit Nonnen, sei es mit Beichtkindern, bezahlte er eine bestimmte Summe. Wenn es kleine Knaben waren, eine andere Summe und so weiter. Entjungferung, Nonnen, die sich Männern hingaben – alle zahlten sie. So kam eine ganze Menge Geld zusammen!«
»Jeder von uns weiß, was noch heute hinter verschlossenen Türen vor sich geht. Der Vatikan nicht ausgenommen, die Kirchen und Klöster schon gar nicht. Und deshalb habe ich mich in Basel ins Zeug gelegt. Dennoch bin ich schließlich für mich zu dem Entschluss gelangt, dass nicht die Befugnisse das Problem sind. Die Gesetze, die dem Einhalt gebieten, sind da! Sie müssen nur befolgt und durchgesetzt werden. Die Bibel ist das Gesetz! Wir brauchen eine Erneuerung der Kirche an Haupt und Gliedern!«, schloss Nikolaus das Thema ab, als die Glocke des Kombüsenmeisters zum Mittagessen rief. »Wenn Ihr mich fragt, ist der christliche Staat ebenso wie der islamische eine Fehlentwicklung und dem Untergang geweiht. Die Zukunft gehört einem griechischen Staat, der an die klassische Antike anknüpft und sich an platonischen, pythagoreischen und zoroastrischen Prinzipien orientiert«, führte Plethon aus, während sie zum Speiseraum gingen. Nikolaus fragte sich, ob er mit dieser Ansicht der richtige Mann war, um die christlichen Kirchen zu vereinen.
Das Essen schmeckte vorzüglich, die Sonne schien, die See war ruhig und der Wein versetzte sie in gute Stimmung. Dies war der Anfang endloser Gespräche und Diskussionen und einer wochenlangen Reise. Die Gesandten, die mittlerweile Freunde waren, strukturierten ihren Tag, indem sie regelmäßig zur selben Zeit beteten, gemeinsam die Mahlzeiten einnahmen, allabendlich nach Einbruch der Dunkelheit den Sternenhimmel mithilfe der astronomischen Schriften des von Kues beobachteten sowie kartierten und lasen oder schrieben. Darüber hinaus fanden sich manchmal interessante Meerestiere in den Fangnetzen. Einer der Schiffsjungen kannte sich mit der Farbherstellung aus und freute sich einmal über den Fang einiger Purpurschnecken. Er trocknete sie und machte sie zu einem roten Farbpulver, von welchem er einen kleinen Flakon an Nikolaus verkaufte, der damit die Initialen in seinen Handschriften zu verzieren beabsichtigte. Ab und an fielen brauchbare Möwenfedern auf das Deck, aus denen sie sich Schreibfedern schnitzten. Viele Mannschaftsmitglieder ließen sie bei ihrer Arbeit zuschauen. Manche Nacht lehrte sie das Fürchten, wenn die Wellen meterhoch gegen das Schiff schlugen und sie unter Deck Mühe hatten, sich in ihren Kojen festzuhalten. Dann, irgendwann, das erlösende »Land in Sicht!«. Sie hatten ihren Zwischenhafen erreicht und gingen in Griechenland für einige Tage im Hafen von Athen an Land, wobei Bessarion sie in eines seiner Klöster zur Übernachtung einlud. Das letzte Stück der Schiffsreise war im ruhigen Ägäischen Meer leicht zu bewältigen. Und endlich erreichten sie den Hafen von Konstantinopel.
Kapitel 2
Konstantinopel 1437/38
Die Sonne war gerade aufgegangen und die Schiffsbesatzung hatte vorerst ihr Ziel erreicht. Es mussten einige Formalitäten erledigt werden, das Schiff registriert, leere Fässer und Kisten von Bord gebracht, das Schiff und die Segel gereinigt sowie geflickt werden, und nicht zuletzt fühlte sich Kapitän Francesco verantwortlich, der Gesandtschaft Kutschen zu besorgen, diese mit dem Gepäck der Reisenden beladen zu lassen und sie zum Hauptsitz des byzantinischen Patriarchen Joseph II. zur Apostelkirche zu schicken. »Habt Ihr noch etwas Zeit? Gebt mir zwei Stunden. Ihr könntet Euch ein wenig umsehen, etwas frühstücken. Ein Bote könnte derweil Eure Ankunft vorausmelden«, schlug er vor.
Kues, Bessarion, Parentucelli und Cesarini waren einverstanden, genauso wie Plethon, der als Ortskundiger die Richtung vorgab. Es war ein milder Morgen. Es grüßten fremdländische Gerüche, buntgewandete Menschen und orientalische Klänge von Straßenmusikern. Vor kleinen Gasthäuschen saßen an ebenso kleinen runden Tischen Männer mit Pfeifen und winzigen Tässchen eines dampfenden Aufgusses.
Sie folgten dem Menschenstrom und erreichten einen Basar, wo das Gedränge nicht stärker hätte sein können. Unter steinernen eingewölbten Hallen fanden sich Konstantinopels Kaufmannswaren in engem Raume aufgetürmt vom Kostbarsten bis zum Wohlfeinsten und Größten – alle nur möglichen Dinge und Artikel. Gewürze in geöffneten Fässern aller Farben und Geschmäcker, kostbare Kräuter, Obst und Gemüse in Güte und Größe, wie man sie in der Heimat nur suchen konnte. Dann ertönte der Klang der Glocken – die Sarazenen hatten Konstantinopel noch nicht eingenommen. Aber auch arabische Gesänge riefen zum Gebet in die Gebetshäuser. In blendendem Weiß hoben sich die größeren Häuser wohlhabender Bewohner von den niedrigen Behausungen der einfachen Menschen ab und bildeten einen farblichen Kontrast zu den schattenreichen, dunkelgrünen Zypressen, die sich abwechselnd mit Pinien neben den Behausungen emporstreckten. Unter ihrem Schatten glitzerten hier und da die vergoldeten, die weißen und die bunt bemalten Grabsteine hervor, die auf den wahllos in der Stadt verteilten Ruhestätten Verstorbener mit Inschriften lagen. Die drei Reisenden gingen wieder in Richtung Kanal. Wasservögel aller Art, oft so zahm, dass sie zu nah an die Boote herankamen und fast unter die Ruderschläge gerieten, und die zu Tausenden auf den Dächern und Pfählen lagerten, erfüllten die Luft mit ihrem Geschrei.
»Gehen wir zum Schiff zurück und sehen wir, ob der Bote uns angekündigt hat. Ich glaube, es ist deutlich, dass die Türken eine Bedrohung für Byzanz sind. Das Osmanische Reich lässt sich schwer aufhalten. Der Kaiser wird nicht anders können, als die Einigung der Ost- und Westkirche zu befürworten«, stellte Kues fest. Auch den anderen schien das sicher.
Als sie sich dem Schiff näherten, kam schon der Kapitän auf sie zu. »Kaiser Johannes VIII. Palaiologos erwartet Euch. Dort drüben steht seine Kutsche, mit der er unseren Boten zurückbrachte und Euch mitnehmen wird. Wir warten auf Eure Anweisungen zur Vorbereitung der Rückreise. Viel Erfolg!«
»Danke, Francesco. Wir melden uns rechtzeitig.« Die Gesandten waren überrascht, dass der Kaiser sie zuerst begrüßen würde. Die Kutsche des Kaisers war mit blauen und goldenen Schnitzereien verziert. Zwei weiße Araber mit langen welligen Mähnen waren davor gespannt. Ein Diener hielt die Tür der Kutsche auf und bat die Gesandten, mit ihren Begleitern einzusteigen. Plethon war unterwegs bei einem großen Herrschaftshaus ausgestiegen, er wohnte bei einer Tante. Er würde erst zu den Treffen mit den Delegationspartnern hinzukommen.
Dann erreichten die anderen den Kaiserpalast. Die Dienerschaft führte sie in das Gästehaus und zeigte ihnen ihre Gemächer, in die ihre Kisten bereits gebracht worden waren. Von Kues, Bessarion, Parentucelli und Cesarini schauten den Diener erwartungsvoll an. »Natürlich … Ihr werdet zum Mittagsmahl in einer Stunde im Speisesaal des Palastes erwartet. Bis dahin stehen Euch einige türkische Dienerinnen für ein Bad zur Verfügung. Zum Badehaus geht es hier entlang. Wenn Ihr mir bitte folgen wollt!« Er verbeugte sich und deutete mit seinem Arm die Richtung. Nikolaus und Giuliano schauten sich fragend an, Basilius und Tommaso folgten dem Diener als Erste.
Des Kaisers Schloss ähnelte einem Sultanspalast. Das musste an den einheimischen Bauleuten sowie am wärmeren Klima und den sich daraus ergebenden