Maxi träumt.
Im Wohnzimmer läutet eine Glocke.
„Endlich“, seufzt Nina erleichtert.
„Das Christkind war da!“, jubelt Maxi.
Beide stürmen zur Wohnzimmertür, reißen sie auf und bleiben erschrocken stehen. Vor ihnen türmen sich Hunderte Päckchen wie eine Wand.
„Wo ist der Christbaum?“, fragt Maxi.
Die Eltern schauen sich um.
„Da, schau einmal!“, antwortet die Mutter. „Da hinten sehe ich einen Lichtschein. Irgendwo hinter diesem Geschenkeberg muss der Christbaum sein.“
Der Vater räumt einige Päckchen zur Seite und liest dabei die Geschenkanhänger. „Die sind ja alle für Maxi!“, ruft er erstaunt.
Maxi strahlt.
Endlich ist der Blick auf einen Teil des Christbaums frei. Die Mutter stimmt „Ihr Kinderlein kommet“ an und alle singen mit. Dann liest Nina die Weihnachtsgeschichte vor und die Familie singt noch „Stille Nacht“. Danach darf Maxi endlich seine Geschenke auspacken.
„Ein Feuerwehrauto, super!“, ruft er. „Und ein Dreirad! Eine Parkgarage!“
Maxi will sofort mit der Garage und dem Feuerwehrauto spielen, aber seine Mutter verbietet es. „Zuerst musst du alles auspacken und wegräumen“, befiehlt sie streng. „Hier ist ja überhaupt kein Platz mehr.“
Maxis Begeisterung sinkt, aber er gehorcht.
„Ein Fahrrad“, stellt er lustlos fest. „Und ein Kasperltheater!“
Einige Päckchen später bricht er in Tränen aus. „Das ist mir zu viel! Kann mir nicht jemand helfen?“
„Nein, du wolltest das alles haben“, antwortet Nina ärgerlich. Sie sucht noch immer nach ihren Geschenken.
Maxi packt schluchzend weiter aus. Die Mutter trägt alles in sein Zimmer. Endlich ist das letzte Päckchen geschafft.
„Ich gehe jetzt spielen“, sagt Maxi, doch er kommt schnell wieder zurück.
„Mein Zimmer ist voll“, klagt er. „Ich komme nicht mehr bei der Tür hinein. Wo soll ich denn spielen?“
„Ich weiß nicht“, antwortet sein Vater. „Hast du dir das nicht vorher überlegt?“
Nina schaut ihren Bruder an und fragt boshaft: „Was wünscht du dir eigentlich zu deinem Geburtstag?“
Maxi erschrickt. „Ich weiß nicht, ich habe doch schon alles.“
Maxi wacht auf und schüttelt sich.
„Das war aber kein schönes Weihnachten“, denkt er. „Außerdem hat Nina recht. Ich habe ja bald Geburtstag.“
Er läuft ins Wohnzimmer und schaut auf das Fensterbrett. Ninas Brief ist weg, aber sein Katalog liegt noch dort.
„Glück gehabt“, murmelt er.
„Guten Morgen!“, hört er seine Mutter rufen. „Hast du etwas gesagt?“
„Nein, ja, ich weiß nicht“, antwortet Maxi verwirrt.
Er nimmt den Katalog in die Hand und blättert ihn noch einmal durch. Dann seufzt er: „Mama, darf ich den wegwerfen?“
Seine Mutter ist erstaunt. „Ja, aber warum?“, will sie wissen.
„Ich habe es mir überlegt, ich will doch nicht alles haben“, antwortet Maxi.
Die Mutter wundert sich, aber sie fragt nicht weiter.
Am Nachmittag bittet Maxi seine Schwester: „Hilfst du mir noch einmal, einen Brief an das Christkind zu schreiben?“
Nina ist auf der Hut. „Wie viele Wünsche hast du denn heute?“, erkundigt sie sich.
„Nur drei“, antwortet Maxi.
Nina ist einverstanden. „Also gut. Wir haben heute in der Schule gelernt, dass wir vor Weihnachten besonders nett zueinander sein sollen. Verdient hast du es ja nicht! Was soll ich denn schreiben?“
Maxi diktiert:
Liebes Christkind!
Es tut mir leid, dass ich mir gestern so viel gewünscht habe. Bitte verzeih. Ich habe es mir überlegt. Ich wünsche mir nur ein Feuerwehrauto, eine Parkgarage und einen Roller. Und bitte, stell den Christbaum so auf, dass ich ihn gleich sehen kann, wenn ich ins Zimmer komme. Ich will, dass Weihnachten schön ist.
Liebe Grüße
von deinem Maxi
Maxi nimmt den Brief, malt einen Tannenbaum und drei Päckchen darauf und steckt ihn in einen blauen Umschlag. Am Abend legt er ihn auf das Fensterbrett.
„Diese Nacht wird das Christkind meinen Brief sicher mitnehmen“, denkt er.
Sissy Schrei wurde 1967 in Wien geboren und wuchs in Klosterneuburg auf, wo sie auch die Volksschule und das Gymnasium besuchte. Nach der Matura studierte sie in Wien Mathematik und Physik Lehramt. Sissy Schrei lebt zurzeit in Maria Lanzendorf. Sie ist verheiratet, hat drei Kinder und ist im Lehrberuf tätig. Neben dem Schreiben gehören zu ihren Hobbys Lesen und die Beschäftigung mit Geschichte. Zwei ihrer Kurzgeschichten wurden bereits in Anthologien des Papierfresserchen-Verlags veröffentlicht.
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Unerfüllbare Weihnachtswünsche
In der Nacht hatte es geschneit, viele kleine Flocken, die auf den kahlen Bäumen und den Dächern liegen geblieben waren und die Straßen in ein Wintermärchen verwandelt hatten. Aber dafür hatte Mark keine Augen, vielmehr schaute er sehnsüchtig auf das Treiben seiner Freunde, die bereits um diese frühe Morgenstunde mit ihren Schlitten unterwegs waren oder sich Schneeballschlachten lieferten. Voriges Jahr hatte er zu ihnen gehört, nun aber saß er durch diesen dummen Autounfall seit gut einem halben Jahr im Rollstuhl.
Wie oft hatte er sich gefragt, warum er nur so schwachsinnig gewesen und hinter dem doofen Ball hergelaufen war, obwohl er gewusst hatte, dass es sich um eine stark befahrene Straße mit unübersichtlicher Kurve handelte. Natürlich hatte der Fahrer auch Schuld, wurde denn nicht stets gewarnt: „Hinter einem Ball kommt immer ein Kind?“ Doch das nützte jetzt auch nichts mehr. Mark war an den Rollstuhl gefesselt. Allerdings hatten die Ärzte versichert, dass es an und für sich keinen Grund geben würde, dass er nicht laufen könnte. Es müsste sich wohl um etwas Psychisches handeln. Egal, wie man es nannte, er saß im Rollstuhl und konnte sich nicht mehr bewegen.
„Guten Morgen, mein Schatz, du bist ja schon auf und ganz ohne Hilfe! Wie geht es dir denn heute?“, fragte eine besorgte Stimme hinter ihm. Es war Anne, seine Mutter, die auch kein leichtes Leben hatte, nachdem sein Vater sich von ihnen getrennt hatte.
„Mama, schau mal meine Freunde, die toben im Schnee rum und ich sitze hier am Fenster, gefesselt an den blöden Rollstuhl, anstatt mit ihnen rumzuspringen.“
„Mark, du darfst nicht so verbittert sein. Das kommt alles wieder, hat doch der Arzt versichert. Lass uns frühstücken und danach gehen wir auch nach draußen.“
„Ich habe keinen Hunger“, maulte Mark, folgte aber seiner Mutter ins Esszimmer und ließ es sich sogar recht gut schmecken, worüber diese sehr glücklich war.
Natürlich konnte sie seine Verzweiflung verstehen. Ihr selbst war es auch nicht viel besser gegangen, nachdem Oliver sie verlassen hatte. Sofort nach Marks Unfall, ehe überhaupt die genaue Diagnose feststand, hatte er von heute auf morgen die Tür hinter sich zugemacht und sie mit dem kranken Kind alleine gelassen.
„Ich kann das Elend nicht mit ansehen!“ war seine fadenscheinige Entschuldigung gewesen. Er hatte ihr alles überlassen.
Sie