Kaum war das Kommunistische Manifest gedruckt, flammten allenthalben in Europa die revolutionären Kämpfe auf. Marx und Engels kehrten in dieser Situation ins preußische Rheinland zurück. Sie waren davon überzeugt, dass es zunächst darum gehe, zusammen mit den fortschrittlichen bürgerlichen Kräften eine demokratische Verfassung zu erkämpfen. Erst in einem zweiten Schritt wollten sie, vor allem mithilfe eines Netzwerks von Arbeitervereinen, der Bewegung gegen das alte Regime den Charakter einer sozialen Revolution aufprägen. Der konkrete Verlauf der Auseinandersetzungen sollte sie jedoch alsbald eines Besseren belehren. Marx nutzte seine guten Kontakte in Köln, um die Neue Rheinische Zeitung zu gründen und die revolutionären Ereignisse journalistisch zu begleiten und zu orientieren. Engels verbrachte einen großen Teil der Zeit im Schweizer Exil. In seiner Heimatstadt versuchte er, sich dem Sicherheitsausschuss als Militärexperte anzudienen, bis die aufgeschreckte Bourgeoisie der Stadt, in der Sorge, er wolle die »rote Republik« proklamieren, für seine Entfernung sorgte. Von den Barrikaden herab soll es bei dieser Gelegenheit zu einer unerfreulichen Begegnung mit dem Vater gekommen sein. Im Zuge des Kampfes um die Reichsverfassung schloss sich nun Engels den kämpfenden revolutionären Truppen in der Pfalz und in Baden an. Er gab im Jahr 1850 in einer Schrift über diese Zeit (vgl. Die deutsche Reichsverfassungskampagne; MEW 7, 109–197) Rechenschaft, die zu Recht als »ein Meisterstück deutscher beschreibender Prosa« (Hirsch 1968, 5) bezeichnet wurde.
In den Wirren der Revolution hatten sich die Freunde Marx und Engels schließlich aus den Augen verloren, bis sie sich nach einer wahrhaften Odyssee durch Europa in England wiederfanden. Marx ließ sich in London nieder, hielt sich mit seiner Familie unter schwierigsten Bedingungen über Wasser und musste den Tod mehrerer Kinder verkraften. Engels rang sich schließlich widerwillig dazu durch, ins Geschäft seines Vaters in Manchester einzusteigen, und erwies sich dort bald als unentbehrlich. Von nun an konnte er die mittellose Familie Marx finanziell unterstützen, galt den Töchtern des Ehepaares Marx bald als ein zweiter Vater und ermöglichte großzügig die theoretische Arbeit seines Freundes. Allerdings führte Engels in dieser Zeit ein recht erstaunliches Doppelleben: Er verkehrte in Manchester durchaus standesgemäß unter Seinesgleichen, in den Salons, auf den Fuchsjagden, und war den Stimulantien seiner sozialen Klasse, dem Champagner und dem Portwein, mehr als zugetan. Darüber hinaus aber fühlte er sich vor allem dem politischen Wirken und dem theoretischen Werk seines Freundes Marx verpflichtet und versuchte mit ihm zusammen die soziale Emanzipation des Proletariats voranzutreiben. Gemeinsam versuchten sie in mühsamen Auseinandersetzungen verschiedener Strömungen die Internationale Arbeiterassoziation zu einem nützlichen Instrument zu formen.
Im Vordergrund allerdings stand die Theoriearbeit. Nach dem Scheitern der Revolution von 1848/49 teilten Marx und Engels die Überzeugung, dass eine Transformation der Gesellschaft nur vor dem Hintergrund einer ökonomischen Krise stattfinden könne. Marx vertiefte sich in der Bibliothek des British Museum ins Studium, aus dem vor allem sein Hauptwerk, Das Kapital, hervorgehen sollte. Die reichhaltige Korrespondenz zwischen Marx und Engels zeigt, welchen großen theoretischen Anteil Engels an diesem epochemachenden Werk hatte, dessen zweiten und dritten Band er selbst aus den von Marx hinterlassenen Aufzeichnungen in akribischer Redaktionsarbeit zusammenstellte und edierte. Und Engels wirkte vor allem als der große Propagator und Popularisierer des Marx’schen Werkes – nicht unbedingt zu dessen Vorteil. Im szientistischen und positivistischen Geist seiner Zeit versuchte Engels, die kritische Gesellschaftstheorie »salonfähig« zu machen, indem er ihr die Weihen einer erschöpfenden Erklärung der Wirklichkeit insgesamt verlieh, sie zur »Weltanschauung« adelte, mit den bekannten fatalen Folgen (s. vor allem S. 91 ff). Auch nach Marx’ Tod verstand sich Engels als dessen Sachwalter und war – nicht ohne Erfolg – bemüht, in der Arbeiterbewegung und den sozialdemokratischen Parteien den Einfluss des »Marxismus« geltend zu machen.
Vor allem nach seinem Ausscheiden aus dem Geschäftsleben widmete sich Engels selbst der theoretischen Arbeit, und sein Spätwerk, aus dem hier auszugsweise einige Kostproben wiedergegeben sind, ist bis heute voller anregender Denkanstöße. Engels wurde für Sozialistinnen und Sozialisten aus ganz Europa ein wichtiger Inspirator und Gesprächspartner. Er nahm lebhaft Anteil an der Gründung der Zweiten Internationale in Paris im Jahr 1889 und am Erfurter Programm der deutschen Sozialdemokratie. Nicht zuletzt seinem Einfluss ist es zu verdanken, dass die deutsche Sozialdemokratie, die ein erstaunliches Wachstum verzeichnete und sich zu einem wesentlichen politischen Faktor entwickelte, vom »marxistischen Zentrum« (Karl Kautsky, August Bebel …) dominiert wurde. Der Zuwachs an Mitgliedern, Wählerstimmen und Mandaten der deutschen Sozialdemokratie veranlasste Engels übrigens zu einem Plädoyer für eine Machtübernahme auf demokratischem Weg.
Gegen Ende seines Lebens ist bei Engels in einem wesentlichen Punkt ein erstaunlicher Sinneswandel zu verzeichnen, der hier nicht unerwähnt bleiben soll. Der begeisterte Militärstratege hat bei vielen Gelegenheiten bellizistische Töne angeschlagen, die aus heutiger Sicht durchaus befremden. Seine Verachtung der slawischen Völker – die er übrigens mit Marx teilte – kann heute nur Unverständnis auslösen. Und ganz von der chauvinistischen Hegel’schen Geschichtsphilosophie durchdrungen, sprach er gar von »geschichtslosen Völkern«, die im Sinne eines zivilisatorischen Fortschritts der Menschheit insgesamt von der Bühne der Weltgeschichte verschwinden sollten. Im Namen dieses Fortschritts begrüßte er etwa auch, dass »das herrliche Kalifornien den faulen Mexikanern entrissen« wurde. Bis ins Jahr 1859 zumindest kann man Äußerungen in diesem Sinne nachweisen, und beim Lesen dieser Textpassagen ist man mehr als erstaunt darüber, dass sich spätere antikoloniale Bewegungen gerade auf Marx und Engels beriefen (vgl. Hunt 22017, 227–288; Hirsch 1968, 101–102). Nun aber, als sich am Ende des Jahrhunderts die Antagonismen zwischen den führenden Mächten der Zeit zuspitzten und erstmals die Gefahr eines großen Krieges zu erahnen war, lässt Engels eine besorgte Nachdenklichkeit erkennen, die in scharfem Kontrast zu seinen früheren Aussagen steht. In einem Brief an August Bebel äußert er die Befürchtung, dass die Arbeiter im Fall eines Krieges von einer Welle des Chauvinismus erfasst werden würden (MEW 36, 527). Und Engels erkennt erstaunlich früh die völlig andere Qualität, die ein neuerlicher Krieg haben würde. Selbst wenn er den Boden für eine Arbeiterrevolution bereiten würde, sei er abzulehnen, da die moderne Technik und die industrialisierte Tötungsmaschinerie einen beispiellosen Blutzoll fordern würden:
Acht bis zehn Millionen Soldaten werden sich untereinander abwürgen und dabei ganz Europa so kahlfressen, wie noch nie ein Heuschreckenschwarm. Die Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges zusammengedrängt in drei bis vier Jahre und über den ganzen Kontinent verbreitet; Hungersnot, Seuchen, allgemeine, durch akute Not hervorgerufene Verwilderung der Heere wie der Volksmassen … (MEW 21, 350–351)
Man spürt aus diesen prophetischen Worten den Geist der Rosa Luxemburg und ihres verzweifelten Kampfes gegen Militarismus und Krieg heraus. Nicht zuletzt in solchen redlichen Selbstkorrekturen erweist sich die Größe eines Denkers.
Engels stirbt im Jahr 1895 an Speiseröhrenkrebs. Am Totenbett noch gesteht er, dass der Sohn der Haushälterin der Familie Marx, Helene Demuth, für den er die Vaterschaft übernommen hat, in Wahrheit der Sohn von Karl Marx sei. Er habe mit diesem Freundschaftsdienst die Ehe des Karl Marx retten wollen.
Engels war eine außergewöhnliche Persönlichkeit eines in vieler Hinsicht erstaunlichen Jahrhunderts. In zwölf Sprachen bewegte er sich wie in seiner Muttersprache, kaum einer hat die wissenschaftlichen Errungenschaften seiner Zeit so umfassend aufzuarbeiten und zu durchdringen versucht. Bei aller Ambivalenz, die auch seinem Werk und seinem Wirken anhaftet, gilt doch das Wort des französischen Marxologen Maximilien Rubel: »Die Texte von Engels verdienen es, aus dem Schatten hervorgeholt zu werden.« (zit. nach Hirsch 1968, 89). Dazu will dieser kleine Band einen bescheidenen