Bloomwell - ein recht beschaulicher Ort. Sandra Busch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sandra Busch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960894063
Скачать книгу
Anzug, mit weißem Hemd, dezent gemusterter Krawatte und blitzblank geputzten Schuhen steige ich später die Treppe hinab und trinke den letzten Schluck Tee aus der Thermoskanne. Der Kühlschrank ist leer, was wegen des fehlenden Stroms ein Segen ist.

      In der Küche gibt es eine Tür mit Glaseinsätzen, die zum Garten hinausführt. Ein Blick ins Freie zeigt, dass die Botanik dort wie vermutet fröhlich vor sich hin wuchert. Schmetterlinge trudeln von Blüte zu Blüte und das muntere Vogelvolk hopst auf der Suche nach Leckerbissen durch das hohe Gras, das sicherlich seit ewigen Zeiten keinen Rasenmäher gesehen hat. Der Garten entlockt mir ein kleines Lächeln, da mich die wild-romantische Stimmung irgendwie anspricht. Außerdem entdecke ich einen Schuppen, der flüchtig betrachtet einen recht ordentlichen Eindruck macht.

      Eine dritte Tür in der Küche führt zu einer Speisekammer, in der wie im Kühlschrank gähnende Leere herrscht. Regale säumen die Wände bis hin zu einer vorsintflutlichen Kartoffelkiste.

      Außer der Küche, dem Gäste-WC und der Wohnstube gibt es im Erdgeschoss noch einen Hauswirtschaftsraum, in dem ein Besen und ein betagter Staubsauger lagern. Hoffentlich erfüllt das alte Ding seinen Zweck, denn nach Feierabend werde ich dem Haus dringend eine Grundreinigung verpassen müssen, damit ich es hier aushalte. Quasi als Bonus stehen hier eine Waschmaschine, ein Trockner sowie ein Wäscheständer.

      Mehr als der Zustand des Hauses ärgert mich der fehlende Handyempfang und das Telefon im Wohnzimmer ist natürlich ebenfalls stromabhängig. Aus diesen Gründen verschiebt sich der typische Ich-bin-gut-angekommen-Anruf bei den Eltern. Nun will ich zunächst meinen hiesigen Arbeitsplatz inspizieren und hinterher nach Exeter fahren, um mich dem neuen Vorgesetzten vorzustellen.

      Heute scheint die Sonne, in deren goldenem Schein sich mein Häuschen präsentiert. Es ist aus grauen Schieferplatten erbaut und mit Rosen auf der einen Seite sowie Efeu auf der anderen bewachsen. Ein riesiger Rhododendron klammert sich an eine Ecke und punktet durch seine lilafarbene Blütenpracht. Die Tür ist genau wie die Fensterrahmen leuchtend blau, obwohl die Farbe an etlichen Stellen abblättert. Dafür befindet sich ein prunkvoller löwenköpfiger Türklopfer an meiner Pforte. Very nice, nichtsdestotrotz wäre mir funktionierende Elektrik lieber.

      Ich weiche einigen Pfützen aus, um die Schuhe nicht erneut zu beschmutzen, und wandere den Ziegenpfad zwischen den Heckenrosen entlang in Richtung Dorfmitte. Die Häuser auf beiden Seiten sind mit romantisch verwitterten Schindeln gedeckt, die Schieferplattenfassaden ähnlich wie bei meinem eigenen Heim mit Clematis und anderen Rankpflanzen bewachsen. Allerdings bestimmen hier getrimmte Rasenflächen, sorgfältig gepflegte Blumenrabatten und akkurat geschnittene Hecken das weitere Bild. Die Türen sind in knalligen Farben gehalten und die Türklopferfraktion hat in Bloomwell eindeutig Konjunktur.

      „Einen schönen guten Morgen, Mr. Culpepper!“, ruft mir eine Frau zu, die Minze aus einem Kräuterbeet erntet. Sie winkt mir munter zu.

      „Guten Morgen“, erwidere ich, ohne im Schritt innezuhalten. Eine getigerte Katze kommt mir entgegen, die mich völlig ignoriert.

      „Guten Morgen, Mr. Culpepper.“ Zwei Jogger nicken mir im Vorbeilaufen freundlich zu.

      „Guten Morgen.“ Unwillkürlich schaue ich an mir herab. Trage ich womöglich ein Schild mit meinem Namen um den Hals? Bereits gestern Abend wusste jeder, dem ich begegnet bin, wer ich war. Zumindest scheint jedermann gefällig zu sein. Dazu brennt die Sonne vom blauen Himmel und das Dörfchen wirkt recht beschaulich. Möglicherweise ist doch nicht alles so negativ, wie es am Vortag den Anschein hatte.

      Die mikrobisch kleine Zweigstelle des Exeter Criminal Investigation Department liegt genau gegenüber dem Gemeindehaus. Nachdem ich den desolaten Zustand der von mir in einer Blitzaktion erworbenen Unterbringung erlebt habe, bin ich auch hinsichtlich des Büros auf einiges gefasst. Die Realität tritt mir wieder einmal lachend in den Arsch. Zunächst entdecke ich zu meiner größten Überraschung ein Polizeisiegel an der Tür, was darauf hinweist, dass die Zweigstelle ein Tatort ist. Da ich den Auftrag erhalten habe, heute hier den Dienst zu beginnen, entferne ich das Siegel. In der nächsten Sekunde starre ich fassungslos auf einen Schreibtisch, der mit losen Papieren übersät ist. Weitere Unterlagen liegen rings herum auf dem Boden, genau wie eine Brille, die halb unter einen Aktenschrank gerutscht ist und die ich vorsorglich aufhebe, bevor sie meinen Absatz kennenlernt. Behutsam klappe ich die Bügel zusammen und deponiere die Brille auf den halbhohen Schrank. Im Papierkorb hat jemand etwas verbrannt. Neugierig spähe ich hinein, finde aber lediglich Asche und einen winzigen Schnipsel, auf dem ich die Buchstaben chester entziffern kann. Ich lege den Fetzen in die Stiftablage auf dem Schreibtisch. Danach sammle ich die einzelnen Seiten vom Boden auf. Jedes Blatt ist mit einem Namen und einem Beruf beschriftet worden: Mrs. Pratcourt – Blumenhändlerin und Mr. Almont – Post und so weiter und so fort. Da ich damit nichts anfangen kann, lege ich die Notizen auf den Papierwust, der den Schreibtisch bedeckt.

      Einige beinahe leere Aktenordner fristen in dem Schrank ihr Dasein und oben drauf stehen ein Wasserkocher, eine Holzkiste mit unterschiedlichen Teesorten und vier Tassen samt Unterteller der Wedgwood Edition Arris. Ich bin nicht etwa ein Fachmann für Porzellan, sondern ich weiß darüber Bescheid, weil meine Eltern diese Edition ebenfalls besitzen. Feines Knochenporzellan mit einem goldenen Wabenmuster – unverkennbar. Zuckertüten und kleine Milchportionen ergänzen die Teeküche. Platz für eine Sekretärin gibt es keinen, daher vermute ich, dass ich zukünftig meine Berichte selbst schreiben muss. Dafür finde ich einen Toilettenraum sowie drei leere Zellen, die den Eindruck erwecken, als wären sie noch nie genutzt worden.

      Aus meiner Hosentasche hole ich ein Pfefferspray, das der Dienstherr für Notfälle zur Verfügung stellt, und lege es in eine Schreibtischschublade. Dabei bemerke ich, dass am Anrufbeantworter eine rote Lampe blinkt, die anzeigt, dass eine Nachricht aufgezeichnet wurde. Ich drückte den Knopf und höre die Mitteilung an einen lieben Charlie ab, dass er an Tante Grace denken möge, die nächste Woche ihren Geburtstag feiern möchte. Die Aufzeichnung ist zwei Monate alt. Ich lösche sie und sehe auf die Uhr. Ich sollte mich allmählich auf dem Weg nach Exeter machen. An einem Haken neben der Garderobe entdecke ich einen Autoschlüssel.

      Wunderbar!

      Der muss zu meinem Dienstwagen gehören. Mit dem Schlüssel verlasse ich das Büro und drücke draußen auf den Öffner. Links leuchten auf einem Parkplatz die Lichter eines älteren 3er BMW auf. Sämtliche Reifen sind platt und der schwarze Lack hat eine Wäsche dringend nötig.

      „Holy moly!“

      „Guten Morgen, Mr. Culpepper. Wie geht es Ihnen?“

      Intensiver Schweißgeruch weht mir entgegen.

      „Gar nicht schlecht“, antworte ich automatisch und drehe mich um. Ich bin von einem Herrn angesprochen worden, der sich durch einen Wohlstandsbauch, ergrautem Schnäuzer und Schweinsäuglein auszeichnet. Er trägt einen karierten Anzug mit Weste und Taschenuhr.

      „Und Sie sind wer?“, frage ich übellaunig.

      „Oliver Bones, der Bürgermeister. Ich habe Sie gestern erwartet.“

      Ups!

      „Tut mir leid, Sir. Mein Zug hatte Verspätung, darum kam ich erst zu fortgeschrittener Stunde in Bloomwell an. Das Dorf ist recht ... dunkel.“

      „Das bedaure ich.“ Bones zieht eine geknickte Miene. „Ich habe bereits einen Elektriker beauftragt, sich des Problems mit den Sicherungen anzunehmen. Sie sollten in Kürze in der Welt der Elektrizität ankommen, Mr. Culpepper. Trotz der kleinen Pannen heiße ich Sie in Bloomwell herzlich willkommen. Ich hoffe, Sie bleiben länger als Ihre Vorgänger.“

      „Was ist mit denen geschehen?“

      „Sie sind vor Langeweile gestorben.“ Bones lacht. „Die meisten haben sich versetzen lassen. Dieses kleine Örtchen bietet nicht genügend Kriminalität, um für Ihresgleichen attraktiv zu sein.“

      „Das ist an und für sich ja nicht übel.“

      „Was die Fluktuation unserer Polizei angeht, ist es nicht schön.“

      Es ist müßig, Bones zu erklären, dass ich strafversetzt worden bin. So bald käme ich daher