Das Internationale Militärtribunal von Nürnberg 1945/46. Rainer Huhle. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rainer Huhle
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783863935313
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die Polizeigliederungen, die vor Ihnen, meine Herren Richter, als verbrecherische Organisationen angeklagt sind, haben die Führer der Nazi-Partei eine Schreckensherrschaft errichtet, und jeder einzelne der Angeklagten hier hat zu seinem Teile geholfen, dieses grundlegende und ihnen allen bekannte Ziel zu erreichen. Diese polizeilichen Organisationen mit ihrer Beihilfe an Spitzelarbeit wurden dazu benutzt, jegliche Regung des Widerstandes aufzuspüren und niederzuhalten und jeglichen Vorbehalt oder irgendein Abweichen von dem allgemeinen Wege zu bestrafen. Frühzeitig wurden von diesen Organisationen Konzentrationslager eingerichtet und unterhalten, – Buchenwald im Jahre 1933, Dachau 1934. Aber diese schimpflichen Namen blieben nicht allein; die Landkarte Deutschlands wurde allmählich mit Konzentrationslagern übersprenkelt.

      Anfangs regte sich bei einigen Deutschen Widerspruch. In unseren Händen ist ein aufschlußreicher Brief, den der Reichsjustizminister Gürtner an Hitler gerichtet hat. Ein Beamter der Gestapo war angeklagt worden, weil in dem Konzentrationslager Hohnstein Verbrechen begangen worden waren. Der Gauleiter von Sachsen hatte sofort verlangt, daß das Verfahren eingestellt werde. Der Reichsjustizminister lehnte dies im Juni 1935 mit der folgenden Begründung ab:

      „In dem Lager ist es mindestens seit Sommer 1933 zu ungewöhnlich schweren Mißhandlungen der Häftlinge gekommen. Die Häftlinge – wurden nicht nur ähnlich wie in dem Schutzhaftlager Bredow bei Stettin grundlos mit Peitschen und anderen Werkzeugen bis zur Bewußtlosigkeit geschlagen, sondern man quälte sie auch auf andere Weise, so unter anderem mit Hilfe eines ausschließlich zu diesem Zweck konstruierten Tropfapparates, unter dem die Häftlinge so lange stehen mußten, daß sie schwere eitrige Verletzungen der Kopfhaut davontrugen...“ (787-PS).

      Ich will mich nicht damit aufhalten, die schauerlichen Vorgänge in den Konzentrationslagern im einzelnen zu beschreiben. Daß man Menschen schlug, ihnen die Nahrung entzog, sie quälte oder sie umbrachte, wurde zu einer alltäglichen Gewohnheit, – so sehr, daß die Peiniger abgestumpft und unbekümmert wurden. Wir werden Ihnen einen Bericht vorlegen, aus dem hervorgeht, daß in Plötzensee in einer Nacht 186 Personen hingerichtet wurden, während der Befehl nur für 180 Personen galt. Ein anderer Bericht beschreibt, wie die Familie eines Opfers versehentlich zwei Urnen mit Asche erhielt. Lagerinsassen wurden gezwungen, sich gegenseitig hinzurichten. Im Jahre 1942 erhielten sie fünf Mark je Hinrichtung, aber am 27. Juni 1942 wies SS-Brigadeführer und General der Waffen-SS Glücks die Lagerkommandanten an, dieses Honorar auf drei Zigaretten herabzusetzen. Im Jahre 1943 befahl der Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei, daß die Prügelstrafe an russischen Frauen von Polinnen zu vollziehen sei und umgekehrt. Der Preis war jedoch nicht genau festgelegt: „einige Zigaretten“ wurden als „Belohnung“ zugestanden. Das Menschenleben war unter den Nazis immer mehr entwertet worden, bis es schließlich weniger galt als eine Handvoll Tabak, – Ersatztabak. Aber es gab auch einige Spuren menschlicher Milde; am 11. August 1942 erließ Himmler einen Befehl an die Kommandanten von vierzehn Konzentrationslagern, daß nur deutsche Gefangene das Recht haben, andere deutsche Gefangene zu schlagen (2189-PS).

      Geheimnis und Ungewißheit sollten außerdem die Qual von dem Lagerinsassen auf seine Familie und seine Freunde übertragen. Männer und Frauen verschwanden aus ihrer Wohnung, aus ihrem Geschäft oder von der Straße, – und man hörte nichts mehr von ihnen. Daß eine Benachrichtigung ausblieb, ging nicht auf eine Überlastung der Behörde zurück; es lag vielmehr Plan und Absicht darin. Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD berichtete, daß nach einem Führerbefehl sorgenvolle Unruhe in der Familie eines Festgenommenen hervorgerufen werden solle (Dokument 668-PS). Verschleppungen und geheime Festnahmen wurden in einer fast gespenstischen Findigkeit mit dem Stichwort „Nacht und Nebel“ umgeben (Dokument L-90, 833-PS).

      Eine der vielen Anordnungen für diese Angelegenheit gibt auch die Aufklärung:

      „Der Führer und Oberste Befehlshaber der Wehrmacht befiehlt, daß die von Zivilpersonen in den besetzten Gebieten begangenen Straftaten der bezeichneten Art von den zuständigen Kriegsgerichten in den besetzten Gebieten nur abzuurteilen sind, wenn

      a) das Urteil auf Todesstrafe lautet

      und b) das Urteil innerhalb von 8 Tagen nach der Festnahme verkündet wird.

      Nur wenn beide Voraussetzungen gewährleistet werden, verspricht sich der Führer und Oberste Befehlshaber der Wehrmacht von der Behandlung der Strafverfahren in den besetzten Gebieten die erforderliche abschreckende Wirkung. Andernfalls sollen künftig die Beschuldigten heimlich nach Deutschland gebracht und die weitere Behandlung der Strafsachen hier betrieben werden. Die abschreckende Wirkung dieser Maßnahme liegt

      a) in dem spurlosen Verschwindenlassen der Beschuldigten,

      b) darin, daß über ihren Verbleib und ihr Schicksal keinerlei Auskunft gegeben werden darf“ (833-PS).

      Zu plumper Grausamkeit kam wissenschaftliches Geschick. „Unerwünschte“ wurden ausgelöscht, indem man ihnen irgendwelche Lösungen in den Blutkreislauf einspritzte, oder sie erlitten in Gaskammern den Erstickungstod; man erprobte die Wirkung vergifteter Kugeln an ihnen (L-103).

      Neben allem Grausamen in diesen Versuchen stand das schmutzig Widerwärtige, nicht aus der Verkommenheit Untergeordneter entstanden, sondern ersonnen von führenden Köpfen der Nazi-Verschwörung. Am 20. Mai 1942 ermächtigte Generalfeldmarschall Milch den SS-Obergruppenführer Wolff, im Lager Dachau mit sogenannten „Kälteversuchen“ zu beginnen; vier Zigeunerinnen wurden dafür zur Verfügung gestellt. Himmler erlaubte dann, diese „Versuche“ in anderen Lagern fortzusetzen (1617-PS). Aus den Berichten des leitenden „Arztes“ von Dachau geht hervor, daß die Opfer in kaltes Wasser getaucht wurden, bis ihre Körpertemperatur auf achtundzwanzig Grad Celsius sank, worauf sie alle augenblicklich starben (1618-PS). Das war im August 1942. Aber der „Arzt“ verbesserte sein Verfahren. Im Februar 1943 konnte er berichten, daß dreißig Personen auf siebenundzwanzig bis neunundzwanzig Grad „abgekühlt“ worden waren, wobei ihre Hände und Füße weiß froren, und daß ihre Körper dann durch ein heißes Bad bald wieder völlig „aufgewärmt“ worden waren. Der Triumph der Nazi-Wissenschaft waren jedoch „Erwärmungsversuche durch animalische Wärme“. Um das Opfer, das beinahe erfroren war, wurden Körper Lebender Frauen gelegt, bis es wieder zu sich kam und auf seine Umgebung mit Geschlechtsverkehr reagierte (1616-PS). Damit erreichte die Verkommenheit der Nazis ihren tiefsten Stand.

      Ich belaste nicht gern das Protokoll mit solchen krankhaften Geschichten, aber wir haben die traurige Aufgabe, über Männer zu Gericht zu sitzen, die Verbrecher sind, und dieses sind die Dinge, die sich nach Aussage ihrer eigenen Helfershelfer zugetragen haben. Wir werden Ihnen die Konzentrationslager im Film genau in dem Zustand zeigen, in dem die Armeen der Alliierten sie bei ihrer Ankunft vorgefunden haben, und die Maßnahmen, die General Eisenhower treffen mußte, sie zu säubern. Unser Beweismaterial wird widerwärtig sein, und Sie werden sagen, ich hätte Ihnen den Schlaf geraubt. Aber das sind die Dinge, die den Ekel und Abscheu der Welt erregt und dazu geführt haben, daß in den zivilisierten Ländern jede Hand sich erhob gegen Nazi-Deutschland.

      Deutschland wurde eine riesige Folterkammer. Die Schreie der Opfer wurden in der ganzen Welt gehört und ließen die Gesitteten erschauern ringsum. Ich gehöre zu denen, die während des Krieges die meisten Greuelgeschichten mißtrauisch und mit Zweifel aufgenommen haben. Aber die Beweisstücke, die wir vorlegen, werden überwältigend sein, und ich wage vorauszusagen, daß nicht eines meiner Worte widerlegt werden wird. Die Angeklagten werden nur ihre persönliche Verantwortung abstreiten oder behaupten, ihnen seien diese Dinge nicht bekannt gewesen.

      In jener Wirrnis geheimer Überwachung und ränkevoller List, wie sie von einem modernen Staate noch niemals ertragen worden ist, in einer Verfolgung und Folterung, wie sie die Welt seit vielen Jahrhunderten nicht mehr heimgesucht haben, wurde alles, was anständig und mutig zugleich war im deutschen Volke, vernichtet. Was anständig, aber schwach war, wurde eingeschüchtert. Offener Widerstand, der nie mehr als matt und unentschlossen gewesen war, verschwand. Aber Widerstand, wie ich gern feststelle, blieb immer vorhanden, wenn er auch nur in Ereignissen wie dem mißlungenen Anschlag auf Hitler am 20. Juli 1944 offenbar wurde. Als der Widerstand sich nur noch unterirdisch halten konnte, hatten die Nazis den Staat in ihre Gewalt gebracht.

      Sie ließen sich aber nicht daran