»H-hallo.« Jemand stand vor ihm und hielt ein wackelndes Tablett in den Händen. Norman sah auf. Lauchi lächelte ihm zaghaft zu. »Kann ich mich zu dir setzen?«
»Klar.« Er beobachtete, wie Lauchi sich setzte und sich dabei dreimal das Knie stieß. »Willst du nicht bei den anderen Motoren sein?«
Lauchi schüttelte den Kopf. Irgendetwas war anders … Oh, richtig.
»Was ist mit deinem Zopf passiert?«, fragte er. Das Ding war nur noch halb so lang wie heute Morgen. Und viel dunkler.
»Oh, das.« Lauchi schaute trübselig in die Pastinakensuppe. »Das war ein Unfall. Glaub ich.«
»Glaubst du?«
»Wir haben heute versucht, Feuer zu erzeugen und … Na, Brenna hat es als Erste geschafft. Sie hat meinen Zopf erwischt. Das war bestimmt ein Versehen.«
Norman kannte Brenna zu gut, um das zu glauben. Er wandte sich zu ihr um und sah sie breit grinsend in der Mitte der Motoren sitzen. Da hätte er sein können … Ach, egal. Alles egal.
»Ihr lernt gleich in der ersten Stunde, wie man Feuer schießt?« Er seufzte. »Ihr habt so ein Glück. Ich hab den ganzen Morgen rumgesessen und irgendeinem Geschwafel zugehört. Und dann sollten wir Energie oder Magie oder so in der Luft sehen, aber das hat auch nicht geklappt. Als Nächstes lernen wir die richtige Atmung.«
»Das klingt doch schön«, sagte Lauchi. »Ungefährlich. Ich hab so eine Angst vor dem Feuer. Zum Glück schaffe ich das noch nicht.«
»Zum Glück?« Norman sah ihn ungläubig an. Na ja, Lauchi war halt Lauchi. »Willst du deshalb nicht bei den anderen sitzen? Sind die dir zu gefährlich?«
Lauchi musterte seine Suppe. Todtraurig. Der Junge sollte besser was essen, wenn der das Studium überstehen wollte.
»Nein, sie … sie ignorieren mich. Ich glaube, sie wollen mich nicht in ihrem Kurs haben. Wenn ich sie anspreche, antworten sie nie und …« Ein tiefer Seufzer kräuselte die Suppenoberfläche.
»Solche Arschlöcher«, sagte Norman. Na ja, er selbst wäre kaum netter gewesen, wenn … wenn er ein Motor geworden wäre. War er halt nicht. »Du musst mehr essen, Lauchi. Das gibt Kraft.«
Lauchi nickte matt. Dann löffelten sie schweigend ihre Suppe und mampften ihr Brot. Wie eine ruhige, kleine Insel im lauten Trubel des Speisesaals.
Lauchi wünschte ihm viel Erfolg, als sie aufstanden. Norman schnaubte unmotiviert. Dieser Katalysatorenkurs war so sinnlos. So sinnlos, dass er erstmal in der Latrine verschwand und sich richtig viel Zeit ließ.
Er hörte die zweite Glocke und dann die dritte. Er blieb sitzen. Nun würden sie sich alle in dem blöden Zimmer versammeln, im Kreis hocken und versuchen, etwas zu finden, das nicht da war. Obwohl, wenigstens die Magie musste ja irgendwo sein. Sonst könnte man sie doch nicht benutzen. Missmutig betrachtete er die Holztür vor seiner Nase.
Deine Mutter ist so fett, dass sie vom Stammbaum abgebrochen ist, las er. Es waren noch mehr lustige Witze eingekerbt worden. Die meisten über Mütter und Katalysatoren. Die Katalysatoren nannten sie »Magiebeutel« oder »Sauger«.
Sauger saugen nicht nur Magie, entlockte ihm kaum ein Lächeln. Dabei hatte er den früher total komisch gefunden.
Wie kann man einen Sauger stundenlang beschäftigen? Stell ihn vor den Spiegel und sag ihm, er soll Schnick Schnack Schnuck spielen.
Norman vergrub das Gesicht in den Händen.
Irgendwann wurde es ihm zu langweilig.
Der Flur war leer und still, als er den Abort verließ. Konnte er sich irgendwo verkriechen, bis es zum Abendessen läutete? Wie lange konnte er vor dem Kurs flüchten, bis sie ihn zurückschleppten? Würden sie ihn zurückschleppen oder gleich ins Gefängnis werfen?
Diese Frage beschäftigte ihn so sehr, dass er nicht aufpasste, als er um die Ecke bog. Plötzlich sah er sich fünf Leuten gegenüber, den langen Roben nach Hohe Magier. In ihrer Mitte ging Gunnar Krafft.
Norman starrte ihn an. Die Magier unterbrachen ihr Gespräch über die Finanzierung eines neuen Programms und starrten zurück.
»Warum bist du hier, Junge?«, fragte eine hagere Frau und deutete auf seinen Erstjahres-Trainingsbademantel. »Solltest du nicht in deinem Kurs sitzen?«
»Ja, ich … musste kurz raus«, stammelte Norman.
Gunnar stand vor ihm, so nah, dass er ihn fast anfassen konnte. Von nahem sah er noch heldenhafter aus. Gunnar blinzelte. Ein verwegenes Grinsen breitete sich auf seinen vollen Lippen aus.
»He, du bist doch der Kerl, der gestern bei der Prüfung so einen Aufstand gemacht hat.« Das Grinsen unter der Augenklappe wurde breiter. »Der Typ, der ein Motor werden wollte.«
Oh. Norman spürte, wie ihm die Hitze ins Gesicht schoss. Er nickte.
»Entschuldigung«, murmelte er.
»Dafür nicht«, sagte Gunnar. »Dein Auftritt war das Unterhaltsamste an der ganzen Veranstaltung.«
Die Magier setzten sich wieder in Bewegung und würdigten ihn keines Blickes mehr. Bis auf Gunnar, der ihm fröhlich zuzwinkerte. Ein Feuerpfeil bohrte sich durch Normans Herz. Verdammt! Seine Knie wurden zu Watte und sein Herzschlag zu einem wilden Pochen.
»Gunnar?«, fragte er leise. »Ich meine: Herr Krafft?«
Obwohl er fast flüsterte, hörte Gunnar Krafft ihn. Er blieb tatsächlich stehen, während die anderen weitergingen. Der Blick seiner stahlblauen Augen richtete sich auf Norman. Er sah noch besser aus als auf den Postern. Viel, viel besser. Ein wenig älter und noch männlicher.
»Was ist?«, fragte Gunnar. Er wirkte amüsiert. Norman ballte die Fäuste.
»Ich …« Er schluckte. »Ich wollte wirklich ein Motor werden. Ich wollte wie Sie sein. Damals, in Wørringen, da habe ich Sie gesehen und Sie haben uns alle gerettet und ich …« Mist, was für einen Scheiß verzapfte er hier? »Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll«, endete er kläglich.
Gunnar verharrte. Die anderen waren schon um die Ecke gebogen und er musste bestimmt hinterher, aber er blieb stehen. Er rieb sich das stoppelige Kinn und musterte Norman in seinem dämlichen Bademantel.
»Junge«, sagte er. »Weißt du, was ich ohne meine Katalysatoren wäre?« Er schüttelte den Kopf. »Gar nichts. Verloren wäre ich gewesen, damals in Wørringen. Wenn sie mir keine Magie gegeben hätten, hätte ich die Monster nie besiegen können. Ohne Katalysatoren gibt es keine tausend Klingen. Klar, alle sind von Magie beeindruckt, wenn sie sie sehen können. Deshalb bewundern sie uns Motoren. Aber ein Katalysator ist genauso wichtig.«
»Ah.« Norman wusste nicht, was er sonst sagen sollte. »Dann … sollte ich versuchen, ein guter Katalysator zu werden?«
»Du hast es erfasst.« Gunnar legte die Hand auf Normans Schulter. »Wer weiß, vielleicht stehen wir ja irgendwann zusammen auf der Stadtmauer. Vielleicht gibst du mir dann die Magie, um ein Lavamonster einzufrieren.«
Ein freudiges Zittern rann durch Normans Körper und er betete, dass Gunnar das nicht merkte. Verzweifelt versuchte er, den Kloß herunterzuschlucken, der sich in seinem Hals gebildet hatte. Gunnar wollte mit ihm auf der Stadtmauer stehen.
»Ich … Danke. Echt. Also. Danke.« Er grinste blöd.
Gunnar nickte ihm zu, drehte sich um und verschwand hinter der Ecke. Norman blieb mit rasendem Puls zurück.
Er würde mit Gunnar die Stadtmauer verteidigen. Natürlich, so hatte er das noch nie gesehen! Gunnar brauchte einen Katalysator doch viel mehr als einen anderen