Fritz Bauer und das Versagen der Justiz. Werner Renz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Werner Renz
Издательство: Bookwire
Серия: eva digital
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783863935320
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äußerte sich Bauer häufig. In wiederholten Anläufen machte er angesichts der Abwehrhaltung vieler Deutscher den offensichtlich dringlichen Versuch, die Westdeutschen von der politisch-moralischen Bedeutung und dem sozialpädagogischen Nutzen der Verfahren zu überzeugen. Die Notwendigkeit, einer geschichtsvergessenen und vergangenheitsimmunen Öffentlichkeit die Wichtigkeit der unpopulären Prozesse erklären zu müssen, war Bauer schmerzlich bewusst. So meinte er zum Beispiel: »Wenn die Prozesse einen Sinn haben, so ist es die unumgängliche Erkenntnis, daß Anpassung an einen Unrechtsstaat Unrecht ist. Wenn der Staat kriminell ist, weil er die Menschen- und Freiheitsrechte, die Gewissensfreiheit, das Recht auf eigenen Glauben, auf eigene Nation und Rasse, das Recht auf eigenes Leben systematisch verletzt, ist Mitmachen kriminell.«16 Und mit Blick auf sein Anliegen, Recht und Pflicht zum Widerstand zu legitimieren: »Unsere Strafprozesse gegen NS-Täter beruhen ausnahmslos auf der Annahme einer […] Pflicht zum Ungehorsam. Dies ist der Beitrag dieser Prozesse zur Bewältigung des Unrechtsstaates in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Diese pädagogische Aufgabe wird gern übersehen.«17

      Als Verfechter eines humanen Rechts der sozialtherapeutischen Behandlung der Delinquenten war der Kriminalpolitiker Bauer naheliegenderweise der Ansicht, auch NS-Täter – meist erst 15 Jahre nach der Tat vom unauffälligen, sozial angepassten Bundesbürger zum Angeklagten in Mordprozessen geworden – müssten im Zuchthaus, in dem sie nach geltendem, antiquiertem Recht ihren Freiheitsentzug abzusitzen hatten, Gegenstand resozialisierender Maßnahmen sein. Nur diesen Zweck erachtete Bauer als eine Rechtfertigung der notwendig zu verhängenden Strafe, dieses fundamentale Prinzip humanen Strafens galt es auch bei Angeklagten in NSG-Verfahren zu beachten. Eine Verwahrung der NS-Täter zum Schutz der Gesellschaft machte er angesichts der mangelnden Gefährlichkeit der gealterten NS-Täter für die bundesdeutsche Demokratie nicht geltend.