VERBRECHEN AM FUSSBALL. Michael Bahrs. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Bahrs
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783782214841
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Dienstantritt war im Oktober 1991 in Bochum. Wieder musste ich zum Medizintest. Mir war schon richtig schlecht: Was passiert eigentlich, wenn die dich wieder ablehnen? Den Lehrlingsvertrag bei der Spedition hatte ich ja gekündigt. Ich stünde dann richtig im Regen. Doch diesmal klappte alles. Zwei Wochen später war ich in der Ausbildung zum Polizeibeamten. Dabei lernte ich 1993 meine heutige Frau kennen.

      Die Ausbildung dauerte zweieinhalb Jahre. Damals war es in NRW so: Entweder musste man nach Beendigung der Ausbildung zur Rheinschiene, das heißt Sicherung von gefährdeten Objekten im Regierungssitz Bonn/Köln. Oder zum Einsatz in einer Hundertschaft. Ich habe mich für die Rheinschiene entschieden und kam zum Kölner Flughafen. Ich gab mir große Mühe und war sehr eifrig mit Überprüfungen, weil ich mehr machen wollte als nur da herumzustehen.

      Also stellte ich gestohlene Fahrzeuge sicher und vollstreckte aufgrund meiner Überprüfungen Haftbefehle. Das führte dazu, dass ich auch in Zivil meinen Dienst machen konnte, außerdem stellte man mir einen konspirativen Bauwagen zur Verfügung. Der stand da, und ich hockte drinnen mit einem Fernglas und konnte Personen überwachen beziehungsweise aufspüren.

      Es gab auch grenzüberschreitende Erfolge, zum Beispiel mit Holland. Dabei musste ich das erste Mal erfahren, wie es ist, bei der Polizei gegen den Strom zu schwimmen. Gewöhnlich hat man beim Objektschutz zu funktionieren. Objekt bewachen, fertig! Und wenn man Berufsanfänger war, sowieso. Mir reichte es aber nicht aus, nur zu funktionieren. Und so ein Objekt kann man so oder so überwachen: Entweder ich »überwache« es, indem ich es anstarre, oder ich überwache es und kontrolliere Personen, Fahrzeuge, Taschen usw. Ich wollte mehr. So kam es, dass ich bei den älteren Kollegen einen schweren Stand hatte. Viele der jüngeren Kollegen fanden meine Art gut, trauten sich aber nicht, das auch so anzugehen. Mir waren die anderen egal.

      Das ging ein Jahr lang so, ich fuhr jeden Tag mit einer Fahrgemeinschaft von Dortmund nach Köln. Dann wurde ich nach Bochum versetzt, in den sogenannten Wach- und Wechseldienst. Mein Fernziel war es, zum zivilen Einsatztrupp zu kommen, zuständig für den Bereich der Straßenkriminalität – Drogen, Einbrecher, Räuber etc. Ich wollte lieber Verbrecher fangen, als den Verkehr zu kontrollieren. Mein Vater machte das auch. Und siehe da: Nach zweieinhalb Jahren fragte man doch tatsächlich bei mir an, ob ich nicht zum zivilen Einsatztrupp wechseln wollte.

      Ich hatte also meinen Ruf als Heißkiste erfolgreich aufgebaut. Vielen Kollegen ging ich durch meine Art, immer etwas bewegen zu wollen, auf die Nerven. Manche wollten sogar nicht mehr mit mir im Streifenwagen fahren. Das war manchmal schon frustrierend, weil ich anders war als die. Und das bekam ich oft genug auch aufs Brot geschmiert.

      Ich orientierte mich also an denen, die mit mir auf einer Wellenlänge waren. Zudem hatte ich das Glück, dass mein direkter Vorgesetzter mit mir auf einer Linie war. Dieser Dienstgruppenleiter hatte mein Potenzial erkannt und bestärkte und förderte mich. Ohne solche Leute hat man im Polizeidienst keine Chance. Dann ist es fast unmöglich, Arbeitszufriedenheit zu erzielen. Ich würde sogar behaupten, es macht einen ansonsten krank.

      Ich war immer der Jüngste, wo ich auch hinkam. Auch in dieser zivilen Einsatztruppe musste ich mich zurechtfinden. Es war eine homogene Truppe, acht bis zehn Leute. Es ging überwiegend um Drogenkriminalität, um Raubdelikte, Straßenkriminalität, Observationen. Da war es schon wichtig, dass man einen Draht zu Ganoven aufbaut, damit man Tipps bekommt.

      Das ging etwa fünf Jahre so, dann wurde eine Stelle im Bereich der Organisierten Kriminalität ausgeschrieben. Das Besondere daran war, dass es bei diesem Job nur um ein Jahr ging. Trotzdem wechselte ich, als die mir sagten, du kannst kommen.

      Das war zur damaligen Zeit ein Novum. Ich war kein gelernter Kriminalpolizist, hatte nur die erste Fachprüfung absolviert (die Kollegen von der Kriminalpolizei haben fast alle die zweite Fachprüfung abgelegt) und war zudem noch sehr jung für so einen Job. Deshalb war es auch wie ein Sechser im Lotto, als ich nach diesem einen Jahr gefragt wurde, ob ich mir vorstellen könne, länger zu bleiben. Ich hatte zu der Zeit einen herausragenden Bärenführer, wie man bei der Polizei erfahrene Beamte nennt, die sich junger Kollegen annehmen, zur Seite gestellt bekommen. Durch seine Unterstützung und Fürsprache konnte ich von nun an unbefristet bleiben.

      Anfangs waren wir zwölf Leute im Kommissariat 21, wir bearbeiteten Rauschgiftdelikte. Später wurden wir zusammengelegt mit dem Kommissariat 22, das seinerzeit für deliktsübergreifende Organisierte Kriminalität – kurz OK – zuständig war. Darüber hinaus gehöre ich seit 2005 der Mordkommission an. Eine Uniform habe ich zuletzt 1996 getragen.

      Mein jetziger Dienstgrad ist Kriminalhauptkommissar (KHK), mehr geht nicht. KHK ist Ende der Fahnenstange, weil ich nur die erste Fachprüfung absolviert habe. Doch ich fühle mich gut aufgehoben, ich möchte nichts anderes machen.

      Dienstgrad, Beförderung, Hierarchien waren mir immer egal. Zumindest waren sie nie mein Antrieb. Selbstverständlich konnte ich manche Beförderungen nicht nachvollziehen, schon gar nicht, wenn das Leistungskriterium – sagen wir es mal vorsichtig – eine eher untergeordnete Rolle spielte. Ich erkannte schnell, dass man das ertragen muss und nur geringen Einfluss darauf hat, ob man gut beurteilt und dadurch vielleicht schneller befördert wird. Ich habe meine Leistung gebracht, und wenn man die anerkannte, war ich stolz, und wenn nicht, na, dann halt nicht.

      Natürlich gab es Erlebnisse der schlimmen Art. Erlebnisse, die ich nie vergessen werde, etwa die Kopfschuss-Bande. Wir ermittelten gegen russische OK-Täter, die sieben Menschen umgebracht hatten. Der Fall aus dem Drogenbereich beschäftigte uns weit über ein Jahr. Einer von denen hatte in Holland drei Menschen umgelegt. Er geriet unmittelbar nach der Tat in eine Polizeikontrolle, weil ein Rücklicht seines Autos nicht funktionierte. Da hat quasi seine Pistole noch geraucht. Die niederländischen Kollegen haben nichts gemerkt. Das war ihr Glück. Sie haben ihm nur gesagt, er solle das Rücklicht reparieren lassen. Hätte der Typ aussteigen müssen, hätte er ohne Zweifel zur Waffe gegriffen und das Feuer auf die beiden ahnungslosen Beamten eröffnet. So aber haben sie ihr Leben ihrer Kulanz zu verdanken. Die Typen haben wir hinterher trotzdem geschnappt.

      Ein Fall, der überhaupt keiner war, hat mich richtig aus der Bahn geworfen: Du kommst zu einer Familie, da liegt ein totes Kind, ein Baby, alle weinen. Und du musst deine Arbeit machen und zunächst in alle Richtungen ermitteln. Es war »nur« ein natürlicher Tod, aber für mich ein ganz schlimmes Erlebnis. Die älteren Kollegen sagen immer: »Das ist hart, aber mit der Zeit stumpft man ab.« Ich werde dann wahrscheinlich nie zu den älteren Kollegen gehören: Ich stumpfe an solchen Fällen nicht ab.

      Vielleicht kommen mir meine Sprache – die Sprache des Ruhrgebiets – und meine Mentalität bei Kontakten mit Kriminellen zugute. Das sind für mich nicht Menschen zweiter Klasse. Du kommst in eine Gegend, von der du weißt, dass hier alle von der Kriminalität leben, und die wissen, dass du das weißt. Ich kann mit denen reden, die erleben bei mir menschlichen Respekt. Das ist aus meiner Sicht oft der Schlüssel.

      Da siehst du einen Hartz-IV-Empfänger in einem dicken Porsche sitzen, du weißt genau, dass da was nicht stimmt. Ich rede mit dem ohne Vorwurf, ohne Vorbehalt. Da kommt man auf eine persönliche Ebene. Das hat schon dazu geführt, dass ich für manche Ganoven Bewerbungen für geregelte und vor allem legale Arbeit geschrieben habe. Ich komme denen nicht als großer Moralist.

      Ja, es gibt Straftäter, zu denen ich ein kumpelhaftes Verhältnis aufgebaut habe. Manchmal bekomme ich Briefe aus dem Knast von Leuten, die ich hinter Gitter gebracht habe. Die schreiben mir, dass ich mich mal wieder blicken lassen sollte. Manche machen sogar unter Ganoven Werbung für mich, dass Leute bei mir beruhigt aussagen könnten. Ich würde niemanden reinlegen.

      Einige Kollegen sagen, meine Vernehmungen von Tatverdächtigen seien klasse. Die würden sich wie eine Geschichte lesen, ohne das übliche Beamtendeutsch. So muss das aus meiner Sicht auch sein: Ein Vernehmungsprotokoll darf nicht nur eine Inhaltsangabe sein, es muss sich wie eine Geschichte lesen.

      Ich mache meine Vernehmungen immer allein, was nicht üblich ist bei der Polizei. Aber so entsteht ein anderes, tieferes Verhältnis zwischen dem Vernehmenden und dem Vernommenen, das der Wahrheit vielleicht näher kommt. Ich erlaube mir dabei auch, Selbstkritik zu üben. Einmal habe ich in einem Vernehmungsprotokoll die Sichtweise des zu Vernehmenden