Der Geselle des Knochenhauers. Frank Goyke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Frank Goyke
Издательство: Bookwire
Серия: Hansekrimi
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783863935122
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die Augen. Er hatte ein eingefallenes, asketisch wirkendes Gesicht, und seine Augen lagen in tiefen Höhlen.

      »Wo soll ich Euch massieren, Herr?«, fragte die Bademagd, die in seinem Zuber saß.

      »Das weißt du doch, Dummchen.«

      Peter Groper ließ nicht locker. »Ich meine nur, in allen Euren Nachbarstädten ist der Martinismus längst eingeführt. In Braunschweig, Goslar, auch bei uns in Einbeck. Und Euer altgläubiger Bürgermeister Wildefuer ist im letzten Dezember gestorben. Wer hält die Lutherschen noch auf?«

      »Meine geringste Sorge.« Der Hildesheimer Knochenhauer und Ratsherr Heinrich von Alfeld seufzte. Er schob die Hand des Mädchens fort, öffnete die Augen und beugte sich vor. »Uns kann es doch gleichgültig sein, Peter. Essen die Lutherischen kein Fleisch? Trinken sie kein Bier? Na also. Sie können doch singen, was sie wollen. Sie können den Ablasshandel verteufeln, den Papst hassen, die sieben Sakramente in Zweifel ziehen und ihren Predigern die Ehe erlauben; sollen sie doch. Wenn sie vom Reformieren hungrig und durstig geworden sind, müssen sie essen und trinken.«

      »Aber wir müssen auch um unser Seelenheil besorgt sein.« Peter Gropers rundliches Gesicht war stets mit einer zarten Röte überzogen, was ihm das Aussehen einer feisten Jungfrau verlieh, vielleicht weil er oft und ausgiebig seinem guten Bier selbst zusprach. Doch nun wurde es tiefrot, und das lag nicht nur am Malvasier.

      »Ach, Peter, Peter!« Alfeld schüttelte den Kopf. Jeder Mensch musste sich stets um sein Seelenheil bemühen, durch den Erwerb von Ablässen etwa oder durch Spenden an die heilige Mutter Kirche, aber die Einbecker plagten noch ganz andere Kümmernisse. Vor zwei Jahren, Anno Domini 1540, war die Stadt bis auf die Grundmauern abgebrannt. Der Einbecker Patrizier Heinrich Diek hatte unter der Folter gestanden, einen Hirten für die Brandstiftung bezahlt zu haben, und zwar im Auftrag des katholischen Herzogs Heinrich des Jüngeren zu Braunschweig-Wolfenbüttel. Groper musste eigentlich einen Rochus auf die katholische Partei haben. Aber er gehörte nun einmal zu den letzten altgläubigen Bürgern Einbecks, die sich den Evangelischen widersetzten, wenn auch nur innerlich. Alfeld selbst schwankte noch, hielt aber Kontakt zu den jüngeren Honoratioren, die überwiegend der neuen Konfession zuneigten. Wenn ihr Einfluss in der Stadt noch größer wurde, würde auch von Alfeld die lutherischen Lieder lernen.

      Der Hildesheimer Ratmann seufzte vor Behagen. Die Einbecker Bürger hatten zwar alles daran gesetzt, ihre Stadt so rasch wie möglich wieder aufzubauen – auch mit Darlehen aus Hildesheim im Übrigen. Aber das Braugewerbe lag am Boden. Es würde Jahre brauchen, um sich wieder zu erholen, wenn dies überhaupt gelang. Alfeld profitierte von der Einbeckischen Not; auch deshalb hatte Peter Groper ihn aufgesucht. »Lasst uns die Annehmlichkeiten der Badestube genießen«, hatte Alfeld vorgeschlagen. »Und später, bei einer anständigen Mahlzeit in meinem Haus, bereden wir die Dinge, die Euch hergeführt haben. Seid Ihr einverstanden?«

      Heinrich von Alfeld schloss abermals die Augen und ließ sich von der Magd verwöhnen. Peter Groper lehnte sich zurück. Seine Miene blieb angespannt, aber auch er senkte die Lider.

      Dann riss er plötzlich die Augen auf. Er fuhr sich an den Hals und betrachtete dann mit einem Ausdruck von Verwirrtheit, ja gar von Staunen seine Hand. Sie war mit Blut verschmiert. Die Bademagd in Gropers Arm brüllte auf wie am Spieß und entwand sich seinem Griff. Gropers Beine begannen wild zu zucken. In heftigen Stößen spritzte Blut in den Zuber und färbte das Badewasser im Handumdrehen rot. Aus seiner Kehle drang nur ein Zischen.

      Auch die zweite Magd schrie, und Heinrich von Alfeld fuhr hoch und schaute zu seinem Freund. Dem sank der Kopf hintenüber, während sein massiger Körper langsam ins Wasser rutschte. Der Ausdruck von Erstaunen war einer sekundenlangen Todesangst gewichen, aber rasch brach Gropers Blick. Alfeld sprang auf, dass das warme Wasser im Zuber hochspritzte, und stieß die Magd von sich. Am Hals von Peter Groper klaffte eine riesige Wunde.

      »Bader! Bader!«, schrie Alfeld. Er schaute zu dem Vorhang, der die beiden Wannen umgab. Der mit Vögeln und Pflanzen bestickte Stoff schwang leicht hin und her, bewegt von einem Luftzug, wie es schien.

      Der Bader war bereits vom ersten Schrei alarmiert worden. Mit schreckensgeweiteten Augen kamen ihm die beiden Mägde entgegen, in dem Kleid, das Gott ihnen bei der Geburt geschenkt hatte. Als er den Umhang fortzog, prallte er zurück.

      Der eine seiner Gäste, ein Hildesheimer Ratmann, den er seit langem kannte, stand aufrecht in seiner Wanne. Die rechte Hand hatte er nach dem zweiten Zuber ausgestreckt.

      Der kleine, fette Mann, dem Bader bisher unbekannt, war unter der Wasseroberfläche verschwunden, so dass nur noch sein schütteres Haupthaar zu sehen war. Und das Wasser war rot wie schwerer Wein.

      ERSTES KAPITEL

       Der Ruf der Glocke

      Der Ratsherr Tile Brandis blickte nachdenklich auf sein Gedenkbuch, das aufgeschlagen vor ihm auf dem Tisch lag. Kurz bevor die Bierglocke den Feierabend verkündete, hatte er sich in seine Schreibkammer zurückgezogen, Tinte angerührt und den Federkiel geschärft. Nicht jeden Tag, sondern in unregelmäßigen Abständen pflegte er alle Denkwürdigkeiten aufzuschreiben, die ihn bewegten: Ereignisse in Stadt und Bistum, Geschehnisse im Reich, aber auch Familiäres. Bereits sein Vater Henning, aus dessen dritter Ehe Tile stammte, hatte Gedenkbücher geführt, und Tile setzte diese Tradition fort, um seinen Kindern und Kindeskindern Bericht zu erstatten von den Zeitläuften und um ihnen Rechenschaft abzulegen von seinem Tun und Lassen.

      Brandis schaute zum Fenster. Der März ging seinem Ende entgegen, aber vom Frühling war noch wenig zu spüren. Stürmische Winde und anhaltender Regen ließen es geraten erscheinen, die meiste Zeit des Tages im Haus zu verbringen, aber das war einem Mann von Tiles Bedeutung nicht möglich. Nicht nur dass er zweimal in der Woche an Ratssitzungen teilnahm, am Montag und am Freitag, wenn der Zeiger am Rathausturm nach den Consules civitatis rief; als Angehöriger einer der reichsten Familien Hildesheims hatte er auch noch viele andere Verpflichtungen für das Gemeinwesen. So war er Oldermann des Knochenhaueramtes und der Tuchhändler, Gildemeister der Wollenweber und vom Rat eingesetzter Ältermann des Großen Heilig-Geist-Spitals bei der Andreaskirche. Er hatte erheblichen Grundbesitz zu verwalten, und seinen eigenen Geschäften – unter anderem dem Handel mit Tuchen und Gewürzen, mit kostbarem Glas und nicht minder kostbaren Pelzen, mit Bier und Wein – musste er schließlich auch noch nachgehen. Einige von ihnen konnte er zwar in der Schreibkammer abwickeln, aber sie zwangen ihn auch immer wieder, sein Haus in der Saustraße zu verlassen.

      Tile Brandis reckte sich. Der Knecht hatte zwar den Ofen geheizt, aber richtig warm wollte es in der Kammer nicht werden.

      Der Ratmann ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Den Kupferstich an der Wand hatte Tile bei einem Buchführer auf dem Markt erworben, und er gefiel ihm ausnehmend gut. Der Kupferstecher hatte eines der seltsamsten Wesen der Welt dargestellt, ein Tier, von dem die Christenwelt erst im Jahr des Herrn 1515 Kenntnis erlangt hatte. Damals hatten es Seefahrer nach Europa gebracht, aber sie waren im Mittelmeer gekentert, so dass man dieses gepanzerte Geschöpf nur tot hatte bergen können, um es hernach auszustopfen. Der Namen dieses unheimlichen Tieres, das ein Horn auf der Nase trug, war Rhinozer, und ein sehr berühmter Meister aus Nürnberg hatte den Stich angefertigt. Sein Name war Albrecht Dürer.

      Consul Brandis wandte sich endgültig seinem Gedenkbuch zu. Er tunkte die Feder in die Tinte und begann zu schreiben.

      Den gestrigen Morgen ging der Kohlenträger Peter Lüders in den Einbeckischen Keller, um dort so viel Branntwein zu trinken, dass er erstickte und tot zu Boden fiel, notierte er. Die ganze Stadt sprach davon, nicht weil der Tod eines Kohlenträgers den Bürgern besonders nahe ging, sondern wegen der Umstände seines Ablebens. Das Aqua vitae diente im Allgemeinen als Heilmittel, aber der Ratskellermeister war gern bereit, auch unbekömmliche Mengen auszuschenken, wenn man es ihm bezahlte. Helfe uns Gott!, schrieb Tile, während er überlegte, wie sich ein Kohlenträger solche Unmengen Branntwein überhaupt leisten konnte. Aber vielleicht war die Gesundheit dieses Lüders bereits angegriffen gewesen, so dass ein paar Gläser genügt hatten, um ihm den Garaus zu machen.

      Der Ratmann rührte noch einmal die