»Wenngleich die Nachwelt meinen Namen nicht unter den Namen der berühmten Frauen nennen wird, so wird sie doch, wenn sie die Leiden dieser Zeit erfährt, wissen, was ich durch sie gelitten habe, und sie wird sagen: sie duldete viel und harrte aus im Dulden.« Diese Worte schrieb Preußens Königin an ihre Vertraute, Frau von Berg, als das große Mißgeschick über Preußen hereingebrochen war, als Napoleon sein Machtwort gesprochen, das Schicksal ihres Landes entschieden hatte. Wer hätte ihr, der »sonnigen, heiteren Prinzessin Luise« vorausgesagt, daß sie als verheiratete Frau so bitteres Leid ertragen mußte! Wer hätte gedacht, daß die junge Kronprinzessin, als sie in Preußens Hauptstadt so glückstrahlend einzog und von der Bevölkerung mit stürmischer Begeisterung begrüßt wurde, nicht schuldlos an dem Kriege sein würde, der einige Jahre darauf Land und Volk ins Unglück stürzte!
Greifen wir indes den Ereignissen nicht vor. Luise litt unsäglich unter dem Unglück, das sie mitheraufbeschworen hatte, und mußte die Fehler, die sie wohl im Glauben an etwas Gutes beging, schwer büßen. Sie selbst war sich kaum einer Schuld bewußt, denn sie besaß nicht den Ehrgeiz wie manche bedeutende Frauen der Geschichte, die die Zügel der Regierung an sich rissen und größere Tyrannen waren als ihre königlichen Gatten. »Leidenschaftlichkeit in irgendeiner Angelegenheit des Lebens war ihrer Seele ganz fremd, weil eine höhere Vernunft und eine religiöse Ansicht von der Welt ihr Tun und Lassen bestimmten.«
Jene Sanftheit und Milde ihres Charakters waren hauptsächlich das Resultat der Erziehung, die sie durch ihre Großmutter, die kluge Prinzessin Marie Luise Albertine von Darmstadt, genoß. Denn Luise verlor bereits als sechsjähriges Kind, im Jahre 1782, ihre Mutter, eine geborene Prinzessin Friederike von Hessen-Darmstadt. Der Vater, Prinz Karl Ludwig Friedrich von Mecklenburg-Strelitz, der Bruder des prachtliebenden regierenden Herzogs Adolf Friedrich IV., vermählte sich in zweiter Ehe mit der Schwester seiner Frau, Prinzessin Charlotte. Aber schon nach einjähriger Ehe starb auch sie, ebenfalls im Wochenbett, wie ihre Schwester. Die Stiefkinder waren aufs neue mutterlos. Zu einer dritten Ehe konnte Karl Ludwig sich nicht entschließen. Er nahm als Feldmarschall seinen Abschied aus dem hannoverschen Heer und ging auf Reisen. Seine drei Töchter, Therese, Luise und Friederike, brachte er zur Großmutter nach Darmstadt. Die älteste, Charlotte, war seit einem Jahr mit dem Herzog von Hildburghausen verheiratet, und die Söhne blieben vorläufig in Hannover.
Bei der Großmutter, der Witwe des Prinzen Georg Wilhelm von Darmstadt, waren die Mädchen am besten aufgehoben. Sie war eine merkwürdige, sehr lebhafte Dame mit einem weitgebildeten Geist, einem reichen, heiteren Gemüt und starken Charakter ohne Gefühlsduselei der Zeit. Sie hat es vortrefflich verstanden, besonders die Anlagen der beiden kleinen Mädchen Luise und ihrer Schwester Friederike zur Entfaltung zu bringen. Luises sonniges Gemüt, ihr heiteres Wesen, ihr Sinn für Natur, ihre unverwüstliche Lebensfreude, ebenso die große Menschenfreundlichkeit und Herzensgüte, durch die sie später so allgemein beliebt wurde, wurzeln zum guten Teil in der Erziehung der Großmutter in Darmstadt.
Luise kam in einem Alter zu ihr – im Jahre 1786, mit zehn Jahren endgültig –, da das kindliche Gemüt am empfänglichsten für gute oder schlechte Eindrücke ist. Sie sah nur Gutes und hörte nur Gutes in dem Alten Palais am Markt. Die verwitwete Landgräfin bewohnte es mit ihrem Sohn, dem Prinzen Georg, dem »lustigen Onkel Georg«. So nannte ihn Luise. Sie liebte ihn zärtlich, denn er war nie ein Spaßverderber und immer Mitwisser ihrer Kinderstreiche. Später erwies er sich ihr als treuer Freund und Helfer.
Dem kernigen pfälzischen und ungezierten Charakter der Großmutter war es zu danken, daß die jungen Prinzessinnen vor pedantischer Hofmeisterinnenerziehung bewahrt blieben. Sie suchte ihren Enkelinnen Erzieherinnen aus, die der Eigenart der Persönlichkeit Verständnis entgegenbrachten und sie nicht zu unterdrücken oder umzuändern versuchten. Fräulein Salomé von Gélieu, eine Pastorentochter aus Neuchâtel, war die geeignete Gouvernante für Luise, das lebhafte, lustige Kind, das oft zu Streichen aufgelegt war, die nicht immer den Beifall der Erwachsenen fanden. Die freundliche Schweizerin jedoch verstand mit liebevoller Nachsicht Strenge walten zu lassen und hatte auch für Luises kleine Schwächen Verständnis. Des Kindes Vorliebe für Näschereien, den oft trotzigen Eigensinn gegen die anderen Geschwister und die Neigung zur Unpünktlichkeit gewöhnte sie ihm zwar nur zum Teil ab. Luise mußte später, als Braut, gerade in bezug auf Naschhaftigkeit, Unpünktlichkeit, leichtsinniges Geldausgeben und unregelmäßiges Essen vom Kronprinzen manchen Tadel einstecken.
Es ist natürlich, daß zu einer Zeit, da der Einfluß alles Französischen auch in Deutschland außerordentlich stark war, die Erziehung der Kinder vornehmer Familien hauptsächlich nach französischer Sitte geleitet und Wert darauf gelegt wurde, daß sie die französische Sprach« zum mindesten ebenso oder vielleicht noch besser beherrschten als ihre Muttersprache. Es war zu Luises Zeiten in dieser Beziehung nicht anders als hundert Jahre früher, da die kerndeutsche Liselotte von der Pfalz an den Hof Ludwigs XIV. kam und das Französische in Wort und Schrift vollkommen beherrschte, während sie mit dem Deutschen ebenso wie später Preußens Königin auf dem Kriegsfuße stand, trotz ihres ausgedehnten deutschen Briefwechsels. Luise hingegen hat ihre Briefe fast alle französisch geschrieben, nur an den Vater und Bruder schrieb sie meist deutsch. Mit ihrem Gatten korrespondierte sie stets Französisch, zwar auch nicht immer ganz korrekt orthographisch, wenigstens nicht als junge Prinzessin. Es kam ihr nicht darauf an, » cayez« anstatt » cahier«, und » oberge« für » auberge« zu schreiben. Aber Französisch zu schreiben und zu sprechen war ihr zur zweiten Natur geworden und gehörte außerdem zum guten Ton. Prinzen und Prinzessinnen, die sich nur deutsch ausdrücken konnten, waren damals nicht beliebt. So bemerkt ihre Kusine, die Prinzessin Luise, spätere Prinzessin Anton Radziwill, einmal in ihren Memoiren, als sie den Erbprinzen von Anhalt-Dessau heiraten sollte, der ihr aber nicht gefiel: »Mein Vater teilte im Grunde seines Herzens meine Abneigung für den Erbprinzen. Er fand bei ihm nicht die Eigenschaften, auf die er Wert legte. Der Prinz sprach nur Deutsch ...«
Dennoch haben weder die Großmutter noch die französische Erzieherin irgendwie eingewirkt, daß Luise und Friederike ihren gemütlichen Darmstädter Dialekt ablegten, den die jungen Mecklenburgerinnen angenommen hatten. Die verwitwete Landgräfin selbst sprach unverfälscht Darmstädtisch, und obwohl die offizielle Sprache am Hofe Französisch war, so wurde doch in der Familie untereinander immer Deutsch gesprochen. Und so bewahrte Luise sich jene frische, reizende Ausdrucksweise, die Friedrich Wilhelm bei ihrer Bekanntschaft so sehr entzückte und als etwas ganz Neues, Bezauberndes empfand. Er, der Stille, Reservierte, Kalte, fühlte mehr als ein anderer den unerhörten Reiz, den das weichere, liebenswürdigere Temperament und die gemütlichere, biegsamere Sprache des Süddeutschen verbreitet.
Luise war auch in anderen Lehrfächern durchaus keine Musterschülerin, außer vielleicht im Religionsunterricht, weil er sie am meisten interessierte. Als Fünfzehnjährige schrieb sie in eins ihrer Religionshefte: »Gott wolle diesen Unterricht segnen und mir Kraft und Stärke geben das in Erfüllung zu bringen, was ich mir vorgenommen habe: stets als eine Christin zu leben.« Dabei fehlte es ihr trotz dieses Ernstes nicht an Übermut und übersprudelnder Laune. Sie war ein wildes Kind. Jungfer Husch oder die tolle Luise nannte man sie.
Zu ihrer großen Freude zog auch der Vater mit den beiden Brüdern Georg und Karl bald nach Darmstadt. Aber er war meist in Hildburghausen und überließ die Erziehung der Söhne ebenfalls der Landgräfin. Sie wußte nur zu gut, daß es für ihren jungen Schutzbefohlenen nichts Bildenderes gab als Reisen. Und so nahm sie die Prinzessinnen und auch die Prinzen öfter mit in die Welt zum Besuch fremder Höfe, oder sie schickte sie in Begleitung der Gélieu und unter dem männlichen Schutz des Onkels Georg nach Straßburg, nach dem Haag, nach Amsterdam, Rotterdam und auf eine Rheinreise, die besonders Luise