Sozialstaat Österreich (1945–2020). Emmerich Tálos. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Emmerich Tálos
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783706560863
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Sozialversicherungsträger fungierten die Generalversammlung, der Vorstand, die Kontrollversammlung und Ausschüsse. Einschneidende Veränderungen erfuhr diese Organisationsstruktur der Sozialversicherung unter beiden ÖVP-FPÖ-Regierungen.

       Finanzierung

      Die Finanzierung erfolgt aus verschiedenen Quellen: Die Aufwendungen der Sozialhilfe werden aus den steuerlichen Einnahmen der Länder und Gemeinden, die der aktiven Arbeitsmarktpolitik in erster Linie aus den Arbeitslosenversicherungsbeiträgen gedeckt. Die Finanzierung der familienpolitischen Leistungen erfolgt zum Großteil durch so genannte Dienstgeberbeiträge (als Prozentsatz der Lohnsumme), die Leistungen der Pensions- und Krankenversicherung in erster Linie durch Versichertenbeiträge, so genannte Arbeitnehmer- und Dienstgeberbeiträge. Seit der Einführung der Sozialversicherung im späten 19. Jahrhundert bildet die Lohnsumme die Basis für die Dienstgeberbeiträge. Es handelt sich dabei also um einen Lohnkostenbestandteil und nicht um eine zusätzliche Leistung der Unternehmen für die Beschäftigten. Der Bund trägt erst seit der Zweiten Republik maßgeblich zur Finanzierung der Pensionsversicherung bei. Es besteht diesbezüglich eine gesetzliche Verpflichtung.

      Die Form der Finanzierung ist die des Umlageverfahrens: die laufenden Ausgaben einer Periode werden durch die laufenden Einnahmen aus derselben Periode gedeckt. Diese Einnahmen werden in erster Linie aus Beiträgen der Versicherten aufgebracht, die damit wieder Ansprüche auf eine zukünftige Altersversorgung erwerben. Die derart institutionalisierten Generationenverhältnisse werden meist mit dem Begriff „Generationenvertrag“ bezeichnet:

      „Dieser fiktive Vertrag besteht darin, dass sich die erwerbstätige Generation zur Zahlung der Leistungen an die in Pension befindliche Generation verpflichtet unter der Annahme, dass sie selbst, wenn sie das Pensionsalter erreicht hat, von der dann erwerbstätigen Generation die Leistungen in gleicher Weise finanziert erhält …

      Alle eingehenden Beiträge werden im Wesentlichen sofort wieder ausgegeben. Wie man sieht, kann dieses System nur funktionieren, wenn die erwerbstätige Generation in der Lage ist, die Pensionen für die Leistungsempfänger zu finanzieren. Offensichtlich ist diese Art der Finanzierung stark von der Altersstruktur der Bevölkerung abhängig …

      Ändert sich die Altersstruktur in Richtung einer Überalterung der Bevölkerung, dann geht dies bei einer Finanzierung der Pensionsversicherung nach dem Umlageverfahren zu Lasten der Erwerbstätigen“ (Wolff 1989, 120).

      Dieser „Generationenvertrag“ stellt einen Umverteilungszusammenhang zwischen dem überwiegenden Teil der erwerbstätigen und ehemals erwerbstätigen Personen dar. Gegenstand dieses Generationenverhältnisses (siehe Kaufmann 1997, 19 ff.) ist ein intergenerationaler Ausgleich. Ein intragenerationaler Ausgleich wird damit nicht bewirkt.

      Der „Generationenvertrag“ fußt traditionell auf einem hohen Maß an Beschäftigung sowie auf der Akzeptanz der Bereitstellung der notwendigen finanziellen Ressourcen für die Sozialleistungen durch Beiträge der versicherten Erwerbstätigen und ihrer Arbeitgeber, zum kleineren Teil auch durch Zuschüsse aus dem staatlichen Budget. Die Sicherung des Generationenzusammenhalts ist damit an Bedingungen geknüpft, die in den Nachkriegsjahrzehnten weitgehend gegeben waren.

      Ebenso wie die Sozialversicherung und das Arbeitsrecht bewegte sich die Armenfürsorge nach 1945 in jenen Bahnen, die im ausgehenden 19. Jahrhundert grundgelegt wurden. Das Reichsheimatgesetz aus 1863, das in den nachfolgenden Landesgesetzen näher konkretisiert wurde, steckte die formalen und inhaltlichen Konturen der Armenfürsorgepolitik ab – nämlich die Einbettung in die Zuständigkeit der Länder und Gemeinden bei Orientierung am Subsidiaritäts- und Individualisierungsprinzip.

      Mit dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich im Jahr 1938 traten an Stelle der österreichischen die deutschen fürsorgerechtlichen Vorschriften. Diese blieben nach 1945 bis zur Neugestaltung der einzelnen Rechtsgebiete als österreichische Rechtsvorschriften in vorläufiger Geltung. Bis 1948 nahm der Bund seine nach der Verfassung von 1920 vorgesehene Grundsatzkompetenz nicht wahr. Die reichsdeutschen Fürsorgevorschriften traten als Bundesgesetz außer Kraft und die Bundesländer erlangten wieder Gesetzgebungskompetenz. Diese wurde von den Bundesländern nach 1948 nur in der Weise genutzt, dass sie die reichsdeutschen Vorschriften als Landesgesetze übernahmen.

      Seitens des zuständigen Innenministeriums wurden in den 1950er/ 1960er Jahren Entwürfe für ein „Fürsorgegrundgesetz“ vorgelegt, die auf Widerstand bei den Bundesländern stießen. Auch zwischen den Bundesländern gab es in wichtigen Punkten (wie Vereinheitlichung der Richtsätze, Verhältnis zwischen privaten und staatlichen Institutionen) keine Einigung. Letztlich verzichtete der Bund 1968 auf die Erlassung eines Bundesgrundsatzgesetzes über die öffentliche Fürsorge. Den Ländern wurde empfohlen, neue Ländergesetze ohne Rücksicht auf ein Bundesgrundsatzgesetz zu erlassen.

      Seitens der Sozialhilfereferenten der Landesregierungen wurde nunmehr ein „Musterentwurf“ erarbeitet, ohne dass damit die unterschiedlichen Positionen in bestimmten Fragen beseitigt werden konnten. Die einzelnen Bundesländer verabschiedeten zwischen 1971 und 1976 ihre jeweiligen Landessozialhilfegesetze. Diese unterschieden sich teilweise hinsichtlich der organisatorischen Ausgestaltung, im Leistungskatalog, in der Finanzierungsverteilung (zwischen Land und Gemeinden) oder in Punkten wie der Regelung der Zumutbarkeit des eigenen Arbeitskräfteeinsatzes.

      Die Landesgesetze gingen über den traditionellen Hilferahmen des Armenwesens hinaus und beinhalten drei Leistungsbereiche (siehe Dimmel 2003, 125 ff.): 1) Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes (mit Rechtsanspruch) – mit Geld- bzw. Richtsatzleistungen, Hilfen für Wohnen, Krankenhilfe; 2) Hilfe in besonderen Lebenslagen (ohne Rechtsanspruch) – mit Hilfen zur Überbrückung außergewöhnlicher Notlagen, von Unglücksfällen, zur Schaffung und Adaptierung von Wohnraum; 3) Soziale Dienste (kein Rechtsanspruch) – mit Hauskrankenpflege, Hilfe zur Weiterführung des Haushaltes, Familienbeihilfen und Beratungsdienste. Bereits im Fürsorgerecht vorhandene Leistungen wurden damit mit einem Rechtsanspruch ausgestattet: Für „Hilfen zur Sicherung des Lebensbedarfes“ wurde ein individueller Rechtsanspruch eingeräumt. Anderseits enthalten die Gesetze unterschiedliche Regelungen von Sanktionen im Fall der „Arbeitsunwilligkeit“. Deutlich wird der Unterschied zur Sozialversicherung an folgender Feststellung in den Landtagsdebatten: Es „müssen Grundwerte wie Hilfe zur Selbsthilfe, Eigenverantwortung und Subsidiarität wieder Bestimmungsfaktoren für eine tragfähige, auch mittel- und langfristig finanzierbare Sozialpolitik werden“ (Antalovsky u.a. 1988, 61).

      Die in der Zweiten Republik beschlossenen Regelungen der Arbeitsbedingungen und Arbeitsbeziehungen bewegten sich zum einen vor allem in dem in der Ersten Republik abgesteckten Rahmen (siehe Tálos 1995). Zum anderen lassen sie sich nach zwei Dimensionen differenzieren: dem Individualarbeitsrecht mit Arbeitsvertragsrecht und Arbeitnehmerschutz sowie dem kollektiven Arbeitsrecht mit der Arbeitsverfassung. Die nach 1945 beschlossenen Veränderungen betrafen unter anderem die Arbeitszeit, und zwar sowohl die Wochen- als auch die Jahresarbeitszeit: Nach der Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf dem Weg eines Generalkollektivvertrages (von 48 auf 45 Stunden im Jahr 1959) kam es mit dem Arbeitszeitgesetz aus 1969 zur etappenweisen Einführung der 40-Stunden-Woche bis zum Jahr 1975. Die Jahresarbeitszeit wurde durch eine schrittweise Verlängerung des Urlaubsanspruches von zwei auf fünf Wochen reduziert. Mit der Verlängerung des Urlaubs war in den 1970er Jahren neben dem traditionellen Schutzmotiv eine spezifische Option verbunden: die Beseitigung der Ungleichstellung von Arbeitern und Angestellten. Eingeschränkt realisiert wurde diese Option in weiteren Maßnahmen wie der Einführung der Entgeltfortzahlung und der Abfindung für Arbeiter. Mit dem Gesetz über die Gleichbehandlung von Mann und Frau in der Entlohnung erfolgte in Österreich im Jahr 1979 vergleichsweise relativ spät ein erster und noch eng begrenzter Schritt in Richtung Gleichbehandlung von Frauen in der Arbeitswelt.

      Während das Individualarbeitsrecht in einer Reihe von Einzelmaßnahmen ausgestaltet wurde, ist das kollektive Arbeitsrecht im Wesentlichen im Arbeitsverfassungsgesetz aus 1973 konzentriert. Neben der Regelung der Kollektivverträge, Betriebsvereinbarungen