Er erschrak über mein plötzliches Erscheinen, hatte sich aber im nächsten Augenblick gefasst und zog das Messer aus dem Gürtel. Jetzt erkannte er, dass ich kein Eingeborener sei, und ließ den zum Stoß erhobenen Arm wieder sinken.
„Inglo?“
„Nein, ich bin kein Engländer.“
„Franko?“
„Ja“, antwortete ich, denn ich nahm an, dass er mit dem Wort nicht einen Franzosen bezeichnen wollte, sondern es in dem weiteren Sinn gebrauchte, mit dem alle Abendländer gemeint sind.
„Oh, das ist gut! Bist du allein, Sahib?“
War er in Indien gewesen, dass er mir diesen Titel gab? Ich zog es vor, ihn noch nicht aufzuklären, und fragte:
„Was suchst du hier?“
„Rettung.“ Er wandte sich zurück und deutete mit der Hand auf die Boote, die jetzt so nah waren, dass man ihre Borde deutlich erkennen konnte. „Sie verfolgen mich und wollen mich töten.“
„Weshalb?“
„Ich bin reich und ein Christ.“
„Und sie sind Heiden?“
Er nickte bejahend.
„Einige sind noch Heiden und einige haben sich von dem Inglo-Mitonare taufen lassen.“
Mitonare heißt Missionar und mit diesem Wort bezeichnet das in seinem Sprachschatz arme Inselvolk auch alles, was mit der Religion der Christen in Verbindung steht, wie z. B. Kirche, Prediger, Altar, Kreuz, Predigt, Bibel, selig, heilig, fromm usw. Alles das wird nur ,mitonare‘ genannt. Hier war jedenfalls ein Missionar der anglikanischen Kirche gemeint.
„So sind diese von dem Inglo-Mitonare Getauften also doch Christen?“
„Eita – nein. Sie glauben noch immer an Atua, den guten Gott, und an Ori, den Gott alles Bösen, aber sie haben sich taufen lassen, weil sie dann mit den Ingli handeln dürfen und schöne Sachen bekommen.“
„Wie heißt du?“
„Potomba.“
„Von welcher Insel bist du?“
„Ich wohne in Papetee, der Hauptstadt von Tahiti. Ich bin ein Ehri, ein Fürst des Landes, und werde alle meine Feinde töten!“
Er blickte zurück. Soeben versuchte das erste Boot seiner Verfolger die Einfahrt durch den engen Kanal. Er sprang zurück bis an den Ort, wo sein Pfeil niedergefallen war, spannte den Bogen und zielte. Der Pfeil schwirrte von der Sehne. Er hätte den Mann sicher getroffen, aber eine jäh hereindrängende Woge hob den Kahn empor und das spitze Geschoss bohrte sich ins Holz. Unwillkürlich hatte sich der Insasse des Bootes aus Furcht vor dem Pfeil niedergebückt und dabei die Ruder außer Tätigkeit gesetzt; dieselbe Woge, die ihn hereingetrieben hatte, erfasste im Zurückfluten sein Fahrzeug und riss es wieder aus der Einfahrt heraus.
„Hallo – o – oh!“, rief es da von dem Korallenring aus, und als ich mich seitwärts wandte, sah ich – den Steuermann mit den Seinen herbeispringen.
Der Maat hatte den Pfeilschuss fälschlicherweise für das Zeichen gehalten und machte jetzt meinen ganzen Plan zunichte. Die Verfolger hatten mich zwar bereits gesehen, ohne deshalb von ihrem Vorhaben abzulassen; als sie aber erkannten, dass die Insel von einer ganzen Truppe europäisch gekleideter Männer besetzt war, beschlossen sie den Rückzug, zogen schleunigst die Segel wieder auf und ruderten von dannen.
Ich schritt jetzt nach dem Strand, wo Potomba auf die Knie gesunken war.
„Bapa kami iang ada de surga, kuduslah kiranja namamu4“ hörte ich ihn beten nach dem Wortlaut, den die von der Mission Bekehrten anzuwenden pflegen. Dann sprang er freudig auf und rief: „Ich bin gerettet! Sie fliehen und ich brauche keinen zu verletzen. Fast hätte mein Pfeil Anoui, den falschen Priester, getötet, der doch der Vater meines Weibes ist.“
Nur die Not hatte ihn also zur Gegenwehr gedrängt, und ich erkannte in seinem jetzigen Ausruf und dem vorangehenden Dankgebet eine wahrhaft christliche Gesinnung, die unter den Bekehrten in dieser Herzensaufrichtigkeit nicht häufig angetroffen wird und dem jungen Mann mein Wohlwollen erwarb. Jedenfalls war er aus wirklicher Überzeugung Christ geworden.
„Wer ist Anoui?“, fragte ich ihn.
„Der Prister von Tamai.“
Ich besann mich.
„Liegt Tamai nicht auf Eimeo, der Nachbarinsel von Tahiti?“
„Ja, Sahib. Tamai befindet sich nicht weit von der Bai von Opoauho. Pareyma, mein Weib, ist die Tochter des Priesters, denn ein Ehri nimmt sich nur die Tochter eines Fürsten oder Priesters zur Frau.“
„Und warum ist Anoui jetzt dein Feind?“
„Weil ich Christ geworden bin. Er hat mir Pareyma, die Perle meines Lebens, abverlangt, aber ich gab sie ihm nicht. Da verklagte er mich bei den Ingli, die nicht an die mitonare (heilige) Jungfrau Marrya glauben, und sie halfen ihm. Ich aber ging zu den Franki, die viele mitonare Männer und Frauen im Himmel des guten Bapa haben, und sie unterstützten mich: Ich durfte Pareyma in meinem Haus behalten, obgleich sie mir nicht der Mitonare, sondern unser Priester gegeben hat, als ich noch ein Heide war. Dann musste ich fort nach den Tubuai-Inseln, um Kleider, Waffen und Perlen umzutauschen, denn seit die Europäer zu uns gekommen sind, ist alles anders und böser geworden, und selbst wer früher ein Fürst war, muss durch Arbeit oder Handel Geld verdienen. Anoui wusste, wohin ich ging, und folgte mir mit seinen Leuten nach. Als ich die Inseln von Tubuai verließ, lauerte er mir auf, um mich zu töten und mir den Reichtum zu nehmen, den ich bei mir führte.“
„Getötet hat er dich nicht, aber deine Habe – hast du sie hier im Boot?“
„Nein. Er bekam beides nicht, mein Leben und mein Eigentum, denn meine Hand ist stärker als die seine, und sein Verstand ist dunkler als der eines Ehri. Als ich ihn mit seinen Booten auftauchen sah, fuhr ich ihm entgegen und sandte meine Diener mit den Kähnen, auf denen sich meine Habe befand, auf einem Umweg nach Papetee. Ihn aber lockte ich bis hierher, wo ich ihn hätte töten müssen, wenn er nicht geflohen wäre.“
Sein Auge leuchtete und seine dunkle Wange brannte vor Erregung; er war noch jung und wirklich schön, als er so drohend vor mir stand; auf den langen, schwarzen Flechten den federgeschmückten Turban, zwei wertvolle Perlen an jedem Ohr und die gelbseidene Marra als Gürtel um die rot und weiß gestreifte Tebuta geschlungen, die in reichen Falten von seiner Schulter bis zum Knie reichte und das Ebenmaß seiner schlanken, kräftigen Gestalt vorteilhaft hervorhob.
„Was wirst du jetzt beginnen?“, fragte ich ihn.
„Sage zuvor, was ihr mit mir beginnen werdet, Sahib!“, antwortete er, nach der Höhe deutend, von der sich der Kapitän mit den Seinen näherte.
„Ich bin dein Freund und du hast von uns nichts zu befürchten. Du kannst tun, was dir beliebt. Doch bitte ich dich, dass du auch unser Freund wirst.“
„Ich bin es, Sahib! Sage mir deinen Befehl und ich werde ihn vollbringen, denn ich sehe es an deinem Auge, dass du nichts Böses von mir fordern wirst.“
„Wir bitten dich um Hilfe!“
Er blickte mich so erstaunt an, dass ich mich eines leisen Lächelns nicht erwehren konnte. Ich war einen vollen Kopf höher als er; der Turban mit Schleier, den ich trug, der dichte Vollbart, die abenteuerliche Kleidung, die sich nach unten in einem Paar riesiger Seemannsstiefel verlief: Das alles mochte wohl den Eindruck machen, als sei ich gewohnt, nur auf meine eigene Kraft zu vertrauen und fremder Unterstützung nicht leicht bedürftig.“
„Wer bist du und was tust du hier?“, fragte er.
„Ich bin vom Volk der Germani und die anderen gehören zum Volk der Yanki.“
„Die Germani sind gut, ich habe ihr Schiffe gesehen auf den Inseln von