Die Hauptmachthaber im Gau, der regierende Graf von Regenstein, die Äbtissin von Quedlinburg und der Bischof von Halberstadt, waren alle drei in ihren Ämtern und Würden noch ziemlich neu.
Graf Albrecht II. von Regenstein war als ein Mann Anfang der Dreißiger und als der älteste sechs noch lebender Brüder seinem Vater Ullrich erst vor ein paar Jahren in der Regierung gefolgt.
Nicht lange danach hatte die Gräfin Jutta von Kranichfeld den erledigten Stuhl der Äbtissin bestiegen, jedoch ohne den Wunsch, zeitlebens darauf sitzen zu bleiben.
Und um dieselbe Zeit war auch der Bischof gleichen Namens wie der Graf, Albrecht II., Bruder des Herzogs von Braunschweig-Wolfenbüttel, nach langen Streitigkeiten im Domkapitel gewählt, hatte auch das bischöfliche Regiment in seiner Diözese sofort übernommen, war aber von dem in Avignon residierenden Papst Johann XXII. nicht bestätigt, weil man sich dort nur einer geringen Fügsamkeit zu ihm versah.
Der herrschsüchtige Prälat wusste jedoch die Bischofsweihe auch ohne den päpstlichen Segen zu erlangen. Der Erzbischof Matthias von Mainz hatte sich endlich bereit erklärt, ihm dieselbe im Dome zu Halberstadt zu erteilen, und auf dem Schloss Heinrichs des Voglers war ein Schreiben eingetroffen, welches die Äbtissin und das ganze Kapitel des weltlichen Gotteshauses zu Quedlinburg zur Inthronisation des Bischofs feierlich einlud.
Die Fürstin schwankte, ob sie die Einladung annehmen sollte oder nicht, denn manches sprach dafür und manches dagegen. Nicht allein die Pflicht der Höflichkeit, sondern auch Rücksichten der Staatskunst geboten der Äbtissin, der Konsekration mit ihren Dignitarien beizuwohnen, allein sie fürchtete ihrer reichsunmittelbaren Hoheit etwas zu vergeben, wenn sie zur Verherrlichung, gleichsam im Gefolge des trutzigen Nachbars erschien, der ohnehin schon nach einem ihm nicht zukommenden Übergewicht strebte. Schon aus früherer Zeit, wo sie beide Jahre lang an demselben Fürstenhofe gelebt hatten, kannte sie seinen hochfahrenden und begehrlichen Sinn, und diese Erinnerungen trugen sehr dazu bei, der Äbtissin die Entscheidung über Annahme oder Ablehnung der Einladung zu erschweren. Die zwei, mit denen sie in ihrem Wohngemach darüber zu Rate saß, die Pröpstin Kunigunde von Woldenberg und der Stiftshauptmann Willekin von Herrkestorf, der als Kanzler ihren weltlichen Geschäften und Rechtssachen vorstand, waren beide für die Annahme.
»Bedenket wohl, gnädigste Frau,« sprach der Stiftshauptmann, ein untersetzter Herr mit ausdrucksvollem Gesicht und schon stark ergrautem Haar, »bedenket wohl, dass der hochwürdigste Bischof es übel vermerken würde, wenn Ihr nicht kämet! Ist er doch vor Jahr und Tag zu Euch gekommen, als Ihr das Kreuz mit der Reliquie des heiligen Servatius zum ersten Male vor versammeltem Volk auf öffentlichem Markte truget.«
Die Äbtissin sah den Stiftshauptmann mit großen Augen an und sagte: »Glaubt Ihr wirklich, der Bischof hätte uns nur geladen, um uns seine Lieb' und Freundschaft zu beweisen?«
»Welchen anderen Grund könnte er haben, Fürstin?«
»Denselben, Herr Stiftshauptmann, aus welchem er sich im vergangenen Jahre anmaßte, in unserem Stift eine oberhirtliche Visitation vornehmen zu wollen. Ihr erinnert Euch wohl, wie ich dieses hochmütige Ansinnen zurückwies. Und damit fing die Freundschaft an.«
»Nun, mit der Visitation war es wohl nicht so ernst gemeint,« erwiderte Herr Willekin. »Der ritterliche Bischof suchte wohl nur nach einer schicklichen Gelegenheit, Euch wiederzusehen und Euch seine große Verehrung zu bezeugen.«
Die Äbtissin schüttelte das Haupt; die Pröpstin aber nickte dem Stiftshauptmann verständnisvoll lächelnd zu und sagte: »So mein' ich auch, und jedenfalls haben wir alle Ursache, die Hand, die er uns aus eigener Bewegnis zur Versöhnung bietet, anzunehmen.«
»Versöhnung, Gräfin Kunigunde? Nein, nein! ich kenne ihn besser,« sprach die Äbtissin. »Sein Gemüt und Fürnehmen steht ganz wo anders hin. Unter der langen Regierung unserer in Gott ruhenden Vorgängerin Bertradis hat kein Bischof von Halberstadt versucht, sich in die Angelegenheiten unseres Kapitels zu mischen.«
»Laßt das vergessen sein, gnädige Frau!« begütigte der Stiftshauptmann. »Er wird den Versuch nicht wiederholen, und am Ende gebietet es die Klugheit, den geistlichen Nachbar bei gutem Frieden und Wohlmeinung zu erhalten. Dann könnten wir in schwierigen Fällen leicht Freundschaft, Hilf und Trost von ihm haben.«
»Was meint Ihr für schwierige Fälle?« frug die Äbtissin. »Ist in dem eisernen Kasten unserer Schwester Thesauraria wieder einmal Ebbe?«
Der Stiftshauptmann nickte nur.
»Freilich!« sagte die Pröpstin spitz, »wie soll der Schatz sich füllen, wenn man ans Sparen niemals denkt!«
Jutta warf ihr einen finsteren Blick zu, schwieg aber still.
»Das ist's auch nicht allein,« sprach der Kanzler, »und für unseren Stiftsschatz wüsste ich schon noch eine andre Quelle.«
Die Äbtissin sah ihn fragend an.
»Dort unten unsere gute Stadt,« fuhr er fort.
»Die Stadt?«
»Nun ja. Ihr wisst wohl, erlauchte Herrin, wohin des Rates Wünsche zielen.«
»Ihr meint die Lauenburg,« sprach die Äbtissin und zog die Brauen zusammen.
»Die Stadt würde Euch für die Belehnung damit einen guten Pfandschilling zahlen, einen besseren, als Euch die Grafen von Blankenburg dafür geboten haben.«
»Soll ich die Burg Heinrichs des Löwen dem Meistbietenden im Aufstrich geben?« erwiderte die Äbtissin unwillig. »Wahr ist's, die Blankenburger machen sich starke Hoffnung auf die Burg, aber so lange Leutfried lebt, der seligen Bertradis alter Getreuer, soll dort kein andrer hausen. Sagt das Euren wohlweisen Freunden im Rat!«
»Der Burgvogt ist mit vielen Jahren beladen, also dass er langen Lebens keine Hoffnung mehr hat; er liegt krank danieder und wird sich vom Siechbett schwerlich wieder erheben,« bemerkte Herr Willekin. »Die Burg ist fast schutzlos, gnädige Frau!«
»Schutzlos! Wenn Euch Graf Albrecht von Regenstein so reden hörte, Herr Willekin!« Die Äbtissin sprach das mit ihrer tiefen, klangvollen Stimme und im Tone eines ernsten Vorwurfs.
Aber der Stiftshauptmann erwiderte schnell: »Graf Albrecht von Regenstein! Das war es, was ich meinte, wenn ich von schwierigen Fällen sprach, derowegen wir uns zum hochwürdigsten Bischof von Halberstadt gut zu stellen hätten. Es könnte sein, dass wir einmal seines Schutzes auch gegen unseren edlen Schutzvogt bedürften.«
»Herr von Herrkestorf,« fuhr die Äbtissin auf, »da sprecht Ihr wieder einmal als Quedlinburger! Ich weiß, in der Stadt grollen sie dem Grafen, weil seine Knechte ihnen eine Schafherde oder ein paar Kühe oder dann und wann eine Wagenladung Frachtgut weggenommen haben.«
»Auch Bürger der Stadt, die er auf der Landstraße niedergeworfen, hat er eingelegt und will sie nicht freilassen,« eiferte der Stiftshauptmann.
»Dann wird er auch wissen warum, und solltet Ihr es nicht wissen?«
»Er raubt, wo er kann; darum heißt er der Raubgraf.«
»Wer nennt ihn so? Ihr Städter, sonst niemand. Und ich will das Wort nie wieder hören, Herr von Herrkestorf!« sprach Jutta sehr erregt und fasste mit rascher Bewegung nach dem großen silbernen Kreuz mit einem goldenen Kruzifixus darauf, dass sie an einer Goldschnur um den bloßen Hals trug.
»Burgen und feste Häuser hat er ringsum zwischen Oker und Bode, als wäre ihm schon der ganze Harzgau untertan, wonach er ja mit aller Gewalt strebt,« fuhr der Stiftshauptmann im Zorne fort. »Wir haben sichere Kunde, dass er mit dem Fürsten Bernhard von Ballenstedt auch um die Belehnung mit Burg und Gericht Gersdorf verhandelt.«
»Das ist mir lieb zu hören,« erwiderte die Äbtissin kurz.
»Höret mich nur weiter an, achtbare Fürstin!« sprach Herr Willekin. »Im ganzen Reiche treten die großen Herren heimlich oder offen zur Unterdrückung der Städte zusammen, die in hohem Ton