Ein Kind unserer Zeit. Ödön von Horváth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ödön von Horváth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783955013479
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      Ich stell das Blech auf den steinernen Boden, es ist noch halb voll und mein Magen knurrt, aber ich mag nicht mehr.

      Ich mag nicht mehr!

      Die sechs Heiligen auf dem Dache blicken in die blaue Luft.

      Nein, ich mag sie nicht mehr, meine Suppe! Tag für Tag dasselbe Wasser! Mir wirds schon übel, wenn ichs nur seh, diese Bettelbrüh!

      Schütt sie aus, deine Suppe!

      Weg! In den Dreck damit! –

      Die Heiligen auf dem Dache schauen mich vorwurfsvoll an.

      Glotzt nicht dort droben, helft mir lieber da drunten!

      Ich brauch einen neuen Rock, eine ganze Hose – eine andere Suppe!

      Abwechslung, Herrschaften! Abwechslung!

      Lieber stehlen als betteln!

      Und so dachten auch viele andere von unserer Schlange, ältere und jüngere – es waren nicht die schlechtesten.

      Ja, wir haben viel gestohlen, meist warens dringende Lebensmittel. Aber auch Tabak und Zigaretten, Bier und Wein.

      Meist besuchten wir die Schrebergärten. Wenn der Winter nahte und die glücklichen Besitzer daheim in der warmen Küche saßen.

      Zweimal wurde ich fast erwischt, einmal bei einer Badehütte.

      Aber ich entkam unerkannt.

      Über das Eis, im letzten Moment.

      Wenn mich der Kriminaler erreicht hätt, dann war ich jetzt vorbestraft. Aber das Eis war mir gut, er flog der Länge nach hin.

      Und meine Papiere blieben lilienweiß.

      Kein Schatten der Vergangenheit fällt auf meine Dokumente.

      Ich bin doch auch ein anständiger Mensch und es war ja nur die Hoffnungslosigkeit meiner Lage, daß ich so schwankte wie das Schilf im Winde – sechs trübe Jahre lang. Die Ebene wurde immer schiefer und das Herz immer trauriger. Ja, ich war schon sehr verbittert.

      Aber heut bin ich wieder froh!

      Denn heute weiß ichs, wo ich hingehör.

      Heut kenn ich keine Angst mehr, ob ich morgen fressen werde. Und wenn die Stiefel hin sind, werden sie geflickt, und wenn der Anzug hin ist, krieg ich einen neuen, und wenn der Winter kommt, werden wir Mäntel bekommen.

      Große warme Mäntel. Ich hab sie schon gesehen.

      Das Eis braucht mir nicht mehr gut zu sein!

      Jetzt ist alles fest.

      Endlich in Ordnung.

      Adieu, ihr täglichen Sorgen!

      Jetzt ist immer einer neben dir.

      Rechts und links, Tag und Nacht.

      »Angetreten!« tönt das Kommando.

      Wir treten an, in Reih und Glied.

      Mitten auf dem Kasernenhof.

      Und die Kaserne ist so groß wie eine ganze Stadt, man kann sie auf einmal gar nicht sehen. Wir sind Infanterie mit leichten und schweren Maschinengewehren und nur zum Teil erst motorisiert. Ich bin noch unmotorisiert.

      Der Hauptmann schreitet unsere Front ab, wir folgen ihm mit den Blicken, und wenn er beim dritten vorbei ist, schauen wir wieder vor uns hin. Stramm und starr. So haben wirs gelernt.

      Ordnung muß sein!

      Wir lieben die Disziplin.

      Sie ist für uns ein Paradies nach all der Unsicherheit unserer arbeitslosen Jugend –

      Wir lieben auch den Hauptmann.

      Er ist ein feiner Mann, gerecht und streng, ein idealer Vater.

      Langsam schreitet er uns ab, jeden Tag, und schaut nach, ob alles stimmt. Nicht nur, ob die Knöpfe geputzt sind nein, er schaut durch die Ausrüstung hindurch in unsere Seelen. Das fühlen wir alle.

      Er lächelt selten und lachen hat ihn noch keiner gesehen. Manchmal tut er uns fast leid, aber man kann ihm nichts vormachen. Wie er möchten wir gerne sein. Wir alle.

      Da ist unser Oberleutnant ein ganz anderes Kaliber. Er ist zwar auch gerecht, aber oft wird er schon furchtbar jähzornig und brüllt einen an wegen der geringsten Kleinigkeit oder wegen nichts und wieder nichts. Aber wir sind ihm nicht bös, er ist halt sehr nervös, weil er vollständig überarbeitet ist. Er möcht nämlich in den Generalstab hinein und da lernt er Tag und Nacht. Immer steht er mit einem Buch in der Hand und liest sein Zeug.

      Neben ihm ist unser Leutnant nur ein junger Hund. Er ist kaum älter als wir, also auch so zirka zweiundzwanzig. Er möcht zwar oft auch gern brüllen, aber er traut sich nicht recht. Trotzdem haben wir ihn gern, denn er ist ein fabelhafter Sportsmann, unser bester Sprinter. Er läuft einen prächtigen Stil.

      Überhaupt hat das Militär eine starke Ähnlichkeit mit dem Sport.

      Man möcht fast sagen: es ist der schönste Sport, denn hier gehts nicht nur um den Rekord. Hier gehts um mehr. Um das Vaterland.

      Es war eine Zeit, da liebte ich mein Vaterland nicht. Es wurde von vaterlandslosen Gesellen regiert und von finsteren überstaatlichen Mächten beherrscht. Es ist nicht ihr Verdienst, daß ich noch lebe.

      Es ist nicht ihr Verdienst, daß ich jetzt marschieren darf. In Reih und Glied.

      Es ist nicht ihr Verdienst, daß ich heut wieder ein Vaterland hab. Ein starkes und mächtiges Reich, ein leuchtendes Vorbild für die ganze Welt!

      Und es soll auch einst die Welt beherrschen, die ganze Welt!

      Ich liebe mein Vaterland, seit es seine Ehre wieder hat! Denn nun hab auch ich sie wieder, meine Ehre!

      Ich muß nicht mehr betteln, ich brauch nicht mehr zu stehlen.

      Heute ist alles anders.

      Und es wird noch ganz anders werden!

      Den nächsten Krieg gewinnen wir. Garantiert!

      Alle unsere Führer schwärmen zwar immer vom Frieden, aber ich und meine Kameraden, wir zwinkern uns nur zu. Unsere Führer sind schlau und klug, sie werden die anderen schon hineinlegen, denn sie beherrschen die Kunst der Lüge wie keine zweiten.

      Ohne Lüge gibts kein Leben. Wir bereiten uns immer nur vor.

      Jeden Tag treten wir an und dann gehts zum Tor hinaus, im gleichen Schritt und Tritt.

      Wir marschieren durch die Stadt.

      Die Zivilisten sehen uns glücklich an, nur einige Ausnahmen würdigen uns keines Blickes, als wären sie böse auf uns. Das sind aber immer nur alte Männer, die eh nichts mehr zählen. Aber es ärgert uns doch, wenn sie wegschauen oder plötzlich sinnlos vor einer Auslage halten, nur um uns nicht sehen zu müssen. Bis sie uns dann doch erblicken, bis sie es nämlich merken, daß wir uns im Glas der Auslage spiegeln. Dann ärgern sie sich gelb und grün. Jawohl, ihr Herrschaften, ihr Ewig-Gestrigen, Ausrangierten, mit eurem faden pazifistischen Gesäusel, ihr werdet uns nicht entrinnen! Betrachtet nur die Delikatessen, die Spielwaren, Bücher und Büstenhalter – ihr werdet uns überall sehen!

      Wir marschieren auch durch die Auslagen!

      Es ist uns bekannt, wir gefallen euch nicht.

      Ich kenne euch schon – durch und durch!

      Mein Vater ist auch so ein ähnlicher.

      Auch er schaut weg, wenn er mich marschieren sieht.

      Er kann uns Soldaten nicht ausstehen, weil er die Rüstungsindustrie haßt. Als wärs das Hauptproblem der Welt, ob ein Rüstungsindustrieller verdienen darf oder nicht!

      Soll er verdienen, wenn er nur treu liefert!

      Prima Kanonen, Munition und den ganzen Behelf –

      Das ist für uns Heutige kein Problem