Den lustigen jungen Barnacle amüsierte die Einfalt des Fremden, der einen Augenblick hatte glauben können, daß es der Weg sei. Es liegt auf der Hand, daß der junge Barnacle wohl wußte, daß es nicht der Weg war. Dieser kluge junge Barnacle hatte im Departement sich in ein Privatsekretariat eingenistet, um für jeden kleinen fetten Bissen, der abfiele, bereit zu sein; und er sah ganz gut ein, daß das Departement ein Stück politisch-diplomatischer Hokus-Pokus-Maschinerie zur Unterstützung der Dummköpfe gegen die Philister sei. Nach alledem hatte der junge Barnacle die wohlberechtigte Aussicht, ein Staatsmann zu werden und eine Rolle zu spielen.
»Wenn die Sache in der gehörigen Form vor das Departement, gleichgültig vor welches, gelangt ist«, fuhr der heitere junge Barnacle fort, »dann können Sie sie von Zeit zu Zeit auf ihrem Weg durch das Departement beobachten. Kommt sie dann nach der Regel vor dieses Departement, so müssen Sie sie von Zeit zu Zeit auf dem Wege durch dieses Departement verfolgen. Wir werden sie nach rechts und links zum Referat zu verweisen haben; und wo wir sie auch hinsenden, müssen Sie Ihr aufmerksames Auge darauf haben. Sooft sie an uns zurückkommt, müssen Sie Ihr Augenmerk wieder auf uns richten. Stockt die Sache irgendwo, so müssen Sie ihr einen Stoß zu geben suchen. Wenn Sie an das eine Departement wegen der Sache schreiben und dann wieder an ein anderes, und Sie erhalten keine bestimmte Antwort, so tun Sie am besten, – wenn Sie das Schreiben fortsetzen.«
Arthur Clennam schien nicht zu wissen, was das alles bedeuten sollte. »Ich bin Ihnen jedenfalls für Ihre Güte sehr verpflichtet«, sagte er.
»Durchaus nicht«, versetzte der verpflichtende junge Barnacle. »Versuchen Sie es einmal und sehen Sie, wie's Ihnen bekommt. Sie können es ja zu jeder Zeit wieder aufgeben. Sie nehmen besser gleich einen Packen Formulare mit. Geben Sie ihm einen Haufen Formulare.« Nach diesem Wink für Nummer zwei nahm der junge witzige Barnacle eine neue Handvoll Papiere von Nummer eins und drei und trug sie in das Heiligtum, um sie den den Vorsitz führenden Bonzen des Circumlocution Office vorzulegen.
Arthur Clennam steckte die Formulare ziemlich mißvergnügt in die Tasche und ging durch den langen steinernen Gang und über die lange steinerne Treppe hinab. Er war an das Gattertor gekommen, das auf die Straße führte, und wartete, nicht gerade sehr geduldig, bis die beiden Herren, die sich zwischen ihm und jenem befanden und hinter denen er ging, hinaus wären, als die Stimme des einen vertraut an sein Ohr schlug. Er sah den Sprechenden an und erkannte Mr. Meagles. Mr. Meagles war ganz rot im Gesicht – röter, als die Reise ihn gemacht haben konnte – und rief, indem er einen kleinen Mann, der mit ihm war, beim Kragen packte: »Komm heraus. Schuft, komm heraus!«
Es war ein so unerwartetes Wort und ein so unerwarteter Anblick, Mr. Meagles das Gattertor aufstoßen und den kleinen Mann, der ein höchst unschuldiges Aussehen hatte, auf die Straße hinausziehen zu sehen, daß Clennam für den Augenblick noch immer mit dem Portier Blicke des Erstaunens wechselnd dastand. Er folgte jedoch rasch und sah Mr. Meagles mit seinem Feinde an der Seite die Straße hinabgehen. Er hatte seinen alten Reisegenossen bald eingeholt und klopfte ihm auf die Schulter. Das zornige Gesicht, das Mr. Meagles nach ihm hinwandte, bekam einen milderen Ausdruck, als er sah, wer es war, und er bot ihm freundlich die Hand.
»Wie geht es Ihnen?« sagte Mr. Meagles. »Wie befinden Sie sich? Ich bin eben erst von der Reise zurückgekehrt und freue mich, Sie zu sehen.«
»Auch ich bin sehr glücklich, Sie zu finden.«
»Danke, danke!«
»Mrs. Meagles und Ihre Tochter –?«
»Befinden sich den Umständen nach wohl«, sagte Mr. Meagles. »Ich wünschte nur, Sie hätten mich in einer minder aufgeregten Stimmung getroffen.«
Obwohl es nichts weniger als ein heißer Tag war, befand sich Mr. Meagles doch in einem so erhitzten Zustand, daß die Vorübergehenden aufmerksam wurden, namentlich als er sich mit dem Rücken an einen Bretterzaun lehnte, Hut und Krawatte abnahm und seinen dampfenden Kopf, sein glühendes Gesicht, seine geröteten Ohren und den Nacken ohne die geringste Rücksicht auf die Meinung des Publikums tüchtig zu reiben begann.
»Uff!« sagte Mr. Meagles und zog sich wieder an. »Das ist angenehm. Nun bin ich etwas kühler.«
»Sie wurden aus der Fassung gebracht, Mr. Meagles. Was ist die Ursache?«
»Warten Sie ein wenig, und ich werde Ihnen die Sache erzählen. Haben Sie Zeit zu einem Gang in den Park?«
»Soviel Sie wollen.«
»So kommen Sie. Ah! sehen Sie sich ihn nur an.« Er hatte zufällig einen Blick auf den Beleidiger geworfen, den Mr. Meagles so zornig am Kragen gepackt. »Es lohnt sich wohl der Mühe, den Burschen anzusehen.«
Es lohnte sich aber weder in Hinsicht auf die Gestalt noch in Hinsicht auf die Kleidung der Mühe, ihn anzusehen; denn er war ein kleiner, vierschrötiger, werktätig aussehender Mann, mit grauem Haar, in dessen Gesicht und Stirn langes Nachdenken tiefe Furchen gegraben, die aussahen, als ob sie in hartes Holz geschnitten wären. Er war ganz schwarz gekleidet; sein Anzug trug jedoch die Spuren von Flecken: der kleine Mann schien ein geschickter Handwerker zu sein. Er hatte ein Brillenfutteral in der Hand, das er in einem fort hin und her drehte, solange von ihm die Rede war, wobei er den Daumen auf eine Art brauchte, wie man es nur bei einer an Werkzeuge gewöhnten Hand findet.
»Sie bleiben bei uns«, sagte Mr. Meagles in drohendem Ton, »ich werde Sie sogleich vorstellen – vorwärts denn.«
Clennam war sehr begierig, als sie den nächsten Weg nach dem Park einschlugen, zu erfahren, was dieser Unbekannte (der aufs bereitwilligste gehorchte) getan haben mochte. Seine Erscheinung rechtfertigte durchaus nicht den Verdacht, daß er bei einem Angriff auf Mr. Meagles' Taschentuch ertappt worden.12 Auch hatte er nichts weniger als das Aussehen eines streitsüchtigen und heftigen Menschen. Es war im Gegenteil ein ruhiger, einfacher Mann voller Haltung. Er machte keinen Fluchtversuch und schien etwas gebeugt, aber weder Grund zur Scham noch zur Reue zu haben. War er ein Verbrecher, so war er entschieden ein unverbesserlicher Heuchler; war er kein Verbrecher, warum hatte ihn dann Mr. Meagles im Circumlocution Office am Kragen gepackt? Er bemerkte, daß der Mann nicht bloß für ihn ein schwieriger Punkt war, sondern auch für Mr. Meagles; denn das Gespräch, das sie auf dem kurzen Weg bis zum Park miteinander führten, hielt sich nur schwer im Gange, und Mr. Meagles' Augen richteten sich immer wieder auf den Mann, auch wenn er von ganz anderen Dingen sprach.
Als sie endlich unter den Bäumen angekommen waren, blieb Mr. Meagles plötzlich stehen und sagte:
»Mr. Clennam, wollen Sie die Güte haben und sich diesen Mann ansehen? Sein Name ist Doyce, Daniel Doyce. Sie werden wohl nicht glauben, daß dieser Mann ein notorischer Schuft ist, nicht wahr?«
»Gewiß nicht.« Es war eine sehr fatale Frage in Gegenwart des Mannes.
»Nein. Sie würden es nicht; ich weiß, Sie würden es nicht. Sie würden nicht glauben, daß er ein Staatsverbrecher ist; nicht wahr?«
»Nein«.
»Nein. Aber er ist es dennoch. Er ist ein Staatsverbrecher. Was ist sein Verbrechen? Mord, Totschlag, Mordbrennerei, Fälschung, Gaunerei, Einbruch, Straßenraub, Diebstahl, Verschwörung, Betrug? Was meinen Sie?«
»Ich meine«, entgegnete Arthur Clennam, indem er ein flüchtiges Lächeln auf Daniel Doyces Gesicht bemerkte, »keines von allen.«
»Sie haben recht«, sagte Mr. Meagles. »Aber er war erfinderisch und wollte seinen Scharfsinn im Dienst seines Vaterlandes verwenden. Das macht ihn geradezu zum Staatsverbrecher, Sir.«
Arthur sah den Mann selbst an, der nur den Kopf schüttelte.