Irgendwann in den letzten paar hunderttausend Jahren begann der moderne Mensch, symbolische Beziehungen zu konstruieren, die es ihm erlaubten, mental Dinge zusammenzufügen oder sie voneinander zu trennen; Ähnlichkeiten zu erkennen und Unterschiede festzustellen; Analogien herzustellen und Ergebnisse vorauszusagen. Aus bescheidenen Anfängen, die darin bestanden, Dingen Namen zu geben, ist eine Sammlung erstaunlicher und einzigartiger menschlicher Fähigkeiten entstanden – zu analysieren und zu planen, Werte festzulegen und zu vergleichen, sich Szenarien einer Zukunft vorzustellen, die noch niemals erlebt worden sind, sich seiner selbst bewusst zu sein oder sich in die Sichtweise anderer hineinzuversetzen. Diese Verhaltensweisen werden in anderen Konventionen auch symbolisches Verhalten, kognitive Prozesse höherer Ordnungen oder Exekutivfunktionen genannt. Wir nennen sie Sprache.
Im alltäglichen Gebrauch wird der Begriff Sprache üblicherweise für die Fähigkeit zu kommunizieren verwendet. In diesem Buch verwenden wir den Begriff in einem wesentlich umfassenderen Sinn. Wir definieren Sprache zunächst als die erlernte Fähigkeit, Beziehungen zwischen Objekten und Ereignissen aufzubauen und uns in Übereinstimmung mit diesen Beziehungen zu verhalten, die teilweise auf der Grundlage sozial etablierter Hinweisreize entstehen. Der letzte Satz besagt lediglich, dass diese Beziehungen nicht nur auf intrinsischen2 Merkmalen der Dinge beruhen, auf die Bezug genommen wird. Wenn wir Ihnen mitteilen würden: »Das ist Alfred«, lernen Sie, dass diese zwei Dinge (die Person und der Name) dasselbe sind. Dieses Wissen beeinflusst, wie Sie auf beides reagieren. Zum Beispiel würden Sie die Person ansehen, wenn Sie den Namen hören. Dennoch gibt es keinerlei vorgegebene Übereinstimmung zwischen der Person und dem Namen. Die Beziehung ist symbolisch und basiert auf dem kleinen Wort »ist«. Der Hinweisreiz (d. h. ist) gibt nun vor, wie Sie auf die Person und den Namen reagieren sollen. Dieses Vorgehen basiert auf einer sozialen Konvention. Die Bedeutung dieses Hinweisreizes muss erlernt werden und hängt davon ab, wer spricht und wer zuhört. Auf der einen Seite hat das Wort »ist« eine bestimmte Bedeutung für deutschsprachige Personen. Denn Sie würden durch diese sprachliche Auskunft nichts über die Person und den Namen lernen, wenn Sie keine Kenntnisse der deutschen Sprache erworben hätten. Andererseits steckt in dem Wort »ist« nichts Außergewöhnliches. Es wäre Ihnen auch möglich, einen Bezug zwischen dem Namen und der Person herzustellen, wenn wir Ihnen ein vollkommen anderes Set an sozial codierten Hinweisreizen anbieten (»C’est Alfred«) natürlich vorausgesetzt, Sie haben Französisch gelernt. Das meinen wir, wenn wir durch soziale Konventionen definierte Hinweisreize als Symbole bezeichnen und Beziehungen, die auf diesen willkürlich anwendbaren Hinweisreizen beruhen, als symbolische Beziehungen bezeichnen. Mit diesem Hintergrundwissen können wir unsere Definition vereinfachen: Sprache ist das erlernte Verhalten, das symbolische Beziehungen aufbaut und auf sie reagiert.
Diese Fähigkeit, symbolische Beziehungen aufzubauen und auf sie zu reagieren, ist etwas Besonderes. Sie nimmt Einfluss darauf, auf welche Weise Menschen ihre Welt erfahren, mit welcher Bedeutung sie Objekte und Ereignisse versehen. Sie besitzt somit eine Wirkung auf menschliches Denken, Fühlen und Handeln. Sprache ist nichts, was wir haben; sie ist eine Fähigkeit, die wir erlernen und auf eine Vielzahl von Situationen anwenden können, die weit über Kommunikation hinausgehen.
Aus der Perspektive der Bezugsrahmentheorie (Relational Frame Theory, RFT) sind für Sprache keine Worte erforderlich; beispielsweise nutzt die Mathematik (eine andere Art von Sprache) Zahlen und Symbole, um Beziehungen darzustellen. Sprachliche Symbole müssen auch weder geschrieben noch ausgesprochen werden. Es können Gesten sein, z. B. wenn wir unseren Daumen heben, um Zustimmung auszudrücken, oder Piktogramme wie das rote Oktagon, das Autofahrern anzeigt, dass sie stoppen müssen. Die Symbole, die eine Sprache ausmachen, ziehen ihre Bedeutung nicht aus sich selbst heraus. Sie erlangen ihre Bedeutung dadurch, dass sie Teil eines Netzwerks von symbolischen Beziehungen sind. Die Zugehörigkeit eines Objektes oder Ereignisses zu einem solchen Netzwerk beeinflusst die psychologischen Reaktionen auf Objekte oder Ereignisse, einschließlich Bewertungen, Präferenzen, Motivationen, Handlungsimpulsen sowie physiologische und emotionale Reaktionen. Therapeuten gehen mit Sprache sehr sorgfältig um, weil symbolische Beziehungen einen tiefgreifenden Einfluss auf letztlich alle klinisch relevanten Verhaltensweisen haben – eine Tatsache, die Sie zum Vorteil Ihrer Patienten nutzen können.
Wissenschaftler diskutieren kontrovers darüber, ob die Fähigkeit symbolische Beziehungen herzustellen ein spezifisches Merkmal des Menschen ist. In jedem Fall ist es eine charakteristische menschliche Eigenschaft. Wissenschaftler gehen davon aus, dass lediglich Menschen in der Lage sind, alle Besonderheiten symbolischer Beziehungen zu nutzen, ohne sich dabei auf intrinsische Eigenschaften eines Objektes zu stützen (z. B. Größe, Form oder Farbe). Wir können einem Objekt Wichtigkeit und Bedeutung zuweisen, die ihm nicht inhärent sind. So können wir beispielsweise sagen: »Christina Aguilera ist eine »größere« Berühmtheit als Meatloaf«. Dabei ist Meatloaf 20 cm größer und 50 kg schwerer als Aguilera. Das verwendete Symbol kann auf einer aktuellen (kulturellen) Modeerscheinung beruhen. Da sich ein Symbol im Laufe der Zeit und abhängig vom sozialen Umfeld verändern kann, muss seine Bedeutung deshalb in dem konkreten Kontext interpretiert werden, in dem es verwendet wird. Auf die Frage, was das Wort »cool« bedeutet, gehen einem möglicherweise unterschiedliche Definitionen durch den Kopf. Wenn man aber sagt »Christina Aguilera ist cooler als Meatloaf«, ist klar, dass nicht ihre Temperatur gemeint ist.
Es gibt auch andere Definitionen von Sprache, die für unterschiedliche Zielsetzungen gelten, wie beispielsweise im Bereich der Linguistik, Philosophie oder Literatur. Es gibt auch technisch präzisere und detailliertere Definitionen aus der Relational Frame Theory (z. B. Hayes et al., 2001; Törneke, 2010). Wir möchten nicht in eine Debatte darüber abschweifen, was die wahre Definition ist, ob Sprache am besten als Verhalten definiert werden sollte oder als kognitive Funktion oder als etwas grundlegend anderes. Unser Vorschlag ist, dass es für Psychotherapeuten besonders nützlich ist, Sprache als erlerntes Verhalten zu betrachten. Unser Ziel ist es, in diesem Buch diese Theorie auf seine praktische Bedeutung herunterzubrechen und allgemeinverständlich zu machen. Lassen Sie uns mit dem Begriff »Bezugsrahmen« oder im englischen »Relational Frame« aus dem Namen Bezugsrahmentheorie (Relational Frame Theory) beginnen.
1.3.2 Herstellung eines Bezugsrahmens
Bezugnahme bedeutet, eine Sache in Beziehung zu einer anderen zu setzen. Das Wort »Mutter« hat ein spezielles Verhältnis zum Wort »Kind« oder wenn wir etwas als »größer« bewerten, nehmen wir Bezug auf etwas, das »weniger groß« ist. Indem wir Objekte und Ereignisse in Beziehung zueinander setzen, lernen wir etwas über sie. Wenn jemand sagt »Michèle ist die Mutter von Matthieu«, dann kann man weitere Informationen ableiten, ohne dass ein weiteres Wort gesprochen werden muss: Matthieu ist das Kind von Michèle, Matthieu und Michèle sind Mitglieder derselben Familie, Michèle ist eine Frau, Matthieu ist jünger als Michèle. Man erhält alle diese Informationen, ohne dass sie einem ausdrücklich mitgeteilt wurden, indem man die enthaltene Information in ein Netzwerk von Bedeutung und Verstehen einbindet. Aus diesem Grund erhöht die Fähigkeit, Objekte und Ereignisse symbolisch in Beziehung zu setzen, die Effizienz des Lernens um ein Vielfaches.
Viele Arten des Lernens stellen im weitesten Sinne Beziehungen her. Symbolische Beziehungen aber weisen einige spezielle Eigenschaften auf, mit der die unglaubliche Kreativität von Sprache erklärt werden kann. Symbolische Beziehungen haben einen enormen Einfluss darauf, wie wir unsere Welt erleben. Rahmung (Herstellung eines Bezugsrahmens, engl. Framing) ist eine Metapher für diesen Prozess.
Stellen Sie sich vor, Sie blicken auf eine Landschaft, in der die Sonne durch die Äste majestätischer Nadelbäume scheint, die einen klaren Bergsee umrahmen. Wenn Sie auf diese Szene durch einen Fensterrahmen schauen, fühlen Sie sich vielleicht dazu angeregt, das, was Sie sehen, aktiv erleben zu wollen. Sie würden sich bereitmachen, eine Wanderung zu unternehmen, Schwimmen zu gehen oder ein Picknick vorzubereiten. Ihre Aufmerksamkeit wird sich auf Einzelheiten der Landschaft richten, die