Abb. 1.3
Die Netzwerke können die Funktionen der Dinge, die in ihnen enthalten sind, verändern. Lassen Sie uns zu den Katzen und den Panthern zurückkehren. Das Mädchen erzählte dem kleinen Jungen, dass Katzen gefährlich sind. Vorher wusste er nur, dass Panther wie große Katzen sind. Wenn wir diese beiden Sätze in Relational Frame Theory Begriffe übersetzen, dann wurde ihm erzählt, dass A = B (Katzen = gefährlich), und er wusste bereits, dass C = A (Panther = Katzen). Als er fragte: »Ist es wahr, dass Panther sehr gefährlich sind?« leitete er die Beziehung C = B durch die Anwendung einer kombinatorischen Ableitung her. Weil er dies auch hinsichtlich der Größe wusste – C > A5 (Panther sind wie große Katzen) – konnte er sogar herleiten, dass Panther sehr gefährlich sind, obwohl ihm dies niemals gesagt wurde.
In der Relational Frame Theory basieren Sprache und Kognition6 auf den Eigenschaften der Herstellung von Bezugsrahmen: Wechselseitige Beziehungen verknüpfen sich zu Netzwerken, die dann die Funktion von Ereignissen verändern. All dies wird durch den relationalen und funktionalen Kontext gesteuert. Dies macht das Denken beim Menschen aus.
1.6.8 Die Möglichkeit der Ableitung symbolischer Beziehungen erklärt die schöpferische Vielfalt der Sprache
Das Prinzip der Ableitung ist ein Grundstein des Zugangs der Relational Frame Theory zur Sprache. Es erklärt die schöpferische Vielseitigkeit, eine der entscheidenden Eigenschaften von Sprache. Dank Sprache können Menschen neue Netzwerke von Beziehungen erschaffen, einschließlich solcher Sätze und Schemata, die sie nie gelernt oder durch eigenes Erleben erfahren haben. Außerdem kann die Funktion von Stimuli durch die Ableitung neuer Beziehungen und der Präsentation geeigneter funktionaler Hinweisreize verändert werden. Wir verweisen hierzu auf das Beispiel des kleinen Mädchens. Weil es einen Bezug zwischen Panthern und Katzen hergestellt hat, denkt es nun, dass Panther sehr gefährlich sind. In den nächsten Kapiteln werden wir sehen, dass psychotherapeutische Interventionen effektiver angewandt werden, wenn die Therapeutin Kenntnisse über Ableitungsprozesse hat, die in den relationalen Netzwerken der Patienten aktiv sind.
Beachten Sie das folgende Beispiel eines unserer Patienten, eines Studenten, der unter Zwangsgedanken mit dem Thema Kontamination litt. In der ersten Therapiesitzung berichtete er von einem Dokumentarfilm im Fernsehen, der zu einer Verschlechterung seines Zustandes geführt hatte. Als er hörte, dass Cholera durch verschmutztes Wasser übertragen wird, führte dies dazu, dass er den Kontakt mit Wasser vermied. Er steckte nun in einer Zwickmühle: Sollte er duschen und riskieren, mit Cholera angesteckt zu werden? Oder sollte er dies unterlassen und riskieren, durch andere Bakterien krank zu werden? Um das Problem zu lösen, beschloss er, den ganzen Körper mit Händedesinfektionsmittel zu reinigen. Dies brachte ihm eine Zeit lang etwas Erleichterung. In seinem relationalen Netzwerk tauchte das Thema Wasser rasch immer wieder auf. Er konnte nicht weiter in seinem Chemiebuch lesen, wenn er die Buchstaben »H2O« sah. Da dies die chemische Formel von Wasser ist, wurde er sehr nervös, schloss das Buch und beschloss, es nicht wieder zu öffnen. Bald wurde es für ihn unerträglich, in den Chemieunterricht zu gehen, weil er sich nicht dem Risiko aussetzen wollte, mit Wasser in Kontakt zu kommen – und sei es nur in seiner Vorstellung. An diesem Beispiel können wir sehen, dass der ursprüngliche Bezug zwischen Wasser und Ansteckung, der durch das Sehen einer Dokumentation hergestellt wurde, durch eine Erweiterung des symbolischen Netzwerks des Patienten zu der Herleitung einer neuen Beziehung zwischen dem Chemieunterricht und Ansteckung führte. Die ursprüngliche, ursächliche Beziehung zwischen Wasser und Cholera, dann die Äquivalenzbeziehung von Wasser und H2O und schließlich eine hierarchische Beziehung zwischen H2O und dem Chemieunterricht (H2O ist eine der Formeln, die im Chemieunterricht verwendet werden) führte zu einer Transformation der Funktion des Chemieunterrichts. In den Chemieunterricht zu gehen stand nun in einer kausalen Beziehung dazu, sich mit Cholera anzustecken, obwohl keine unmittelbare Erfahrung oder eine unmittelbare Information jemals diese Verbindung hergestellt hat. Anstatt zu erleben, dass Cholera durch Wasser übertragen wird, hat unser Patient vielmehr erfahren, dass psychologische Funktionen wie Angst, Ekel und Vermeidung durch ein Netzwerk von Sprache übertragen werden.
Dieses Beispiel veranschaulicht die Exzesse der menschlichen Sprache. Es macht aber auch deutlich, warum sich Sprache in der Spezies Mensch fortlaufend kulturell weiterentwickelt hat. Evolution bedient sich eines einfachen Prinzips: Variation und selektive Retention. Ohne Variation ist Evolution unmöglich. Dies gilt ebenso für die Evolution von Verhalten wie für die genetische Evolution. Lassen Sie uns unser Prinzip »kaufen Sie zwei, Sie bekommen vier gratis« erweitern, indem wir ein einfaches Beispiel nutzen, das Terrence W. Deacon 1998 beschrieben hat. Angenommen wir vermitteln acht Symbol → Objekt Beziehungen. Wenn Tiere Beziehungen in einer bestimmten Richtung erlernen, dann reagieren sie auch genau in diese Richtung. Wenn wir sie aber Menschen vermitteln, dann ist jede Beziehung wechselseitig erlernt. Es bestehen daher 16 Beziehungen, nicht acht. Aber alle Symbole können auch zueinander in Beziehung stehen. Und jedes Objekt kann zu jedem Objekt einen Bezug haben. Und jede Beziehung zwischen Objekten kann zu jeder anderen Beziehung zwischen Objekten in Bezug stehen (wenn z. B. zwei Dinge gleich sind, und zwei weitere Dinge wiederum gleich sind, dann sind diese Beziehungen zueinander ebenfalls Gleichheitsbeziehungen). Dasselbe gilt für Symbole. Und jedes Symbol kann durch Kombination zu jedem Objekt in Bezug stehen. Dies kann man unendlich weiterspinnen. Wie viele mögliche Beziehungen bestehen letztendlich innerhalb eines Netzwerkes mit nur acht Symbol → Objekt Beziehungen? Die unglaubliche Antwort lautet: annähernd 4.000! Nun, das ist Variation!
Dieses Chaos wird durch kontextuelle Steuerung der Herstellung von Beziehungen und kontextuelle Kontrolle über die Änderung von Funktionen gemanagt. Bisher sind Menschen nicht sehr geschickt darin, kontextuelle Kontrolle gezielt auszuüben. Einfacher ausgedrückt bedeutet dies, dass Menschen nicht wirklich gut darin sind, ihre Psyche an die Leine zu nehmen. Sie sind sehr gut darin, relationale Netzwerke zu generieren und zu erkunden. Dies ist die Quelle großer Errungenschaften auf den Gebieten der Wissenschaft, Literatur oder Philosophie. Dies ist aber auch die Quelle eines großen Teils des menschlichen Leidens. So kann es sogar angsteinflößend sein zu duschen, wenn dies innerhalb eines riesigen relationalen Netzwerks so angelegt ist.
Die Steuerung relationaler Prozesse ist für die Menschen eine große Herausforderung, sowohl individuell als auch kulturell.