Von Zeitlupensymphonien und Marzipantragödien. Radek Knapp. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Radek Knapp
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783903217591
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der bedauerlichen Prinzipien des Gourmettums lautete: Je weniger ein Lebensmittel wiederzuerkennen war, umso mehr kostete es.

      Zum Glück waren die Gourmets Menschen wie alle anderen. Gewiss, sie hatten ihre kleinen Marotten, durch die sie gerne aus der grauen Masse hervorstachen. Sie fuhren zum Beispiel besonders gerne einen SUV, damit er andere Autos auf dem Parkplatz überragte, und trugen Ralph-Lauren-Klamotten, weil dieser einmal sagte: »Wer meine Kleidung trägt, ist einzigartig.« Dass dadurch der Parkplatz am Ende nur mit SUVs vollgestellt war oder dass sie beim Abendessen alle identisch aussahen, fiel offenbar nicht ins Gewicht.

      Aber wie normal die Gourmets unter dieser exklusiven Oberfläche manchmal sein konnten, entdeckte ich an einem lauen Sommertag. Ich studierte gerade aus Spionagegründen vor einem ihrer Gourmetlokale eine in Goldlettern ausgestellte Speisekarte, als ein grauhaariger Gourmet auf eine Zigarettenpause aus dem Lokal kam. Er war braun gebrannt und steckte in einem unvermeidlichen Ralph-Lauren-Sakko, auf dem bereits ein paar kleine Sprenkel zu sehen waren, die von einer exklusiven Sauce herrührten. Er rauchte eine Zeit lang majestätisch seine Zigarette, bis er auf der anderen Straßenseite etwas bemerkte, das seine völlige Aufmerksamkeit fesselte. Plötzlich drückte er die Zigarette aus, versicherte sich, dass er unbeobachtet war, und galoppierte wie ein Wiesel über die Straße. Dort prüfte er noch einmal wie ein Bankräuber, dass ihm niemand gefolgt war, und lief zu einem kleinen Würstelstand an der Ecke. Er bestellte im Eiltempo eine gewöhnliche Burenwurst und verschlang sie so schnell, dass niemand etwas mitbekam. Fünf Minuten später stand er wieder vor dem Gourmetlokal und rauchte weiter majestätisch eine Zigarette, als wäre nichts geschehen. Und nur sein Gesichtsausdruck verriet, wie dankbar ihm sein eigener Verdauungstrakt für diesen Seitensprung war.

      Für all jene, die trotzdem ein Gourmetgericht probieren wollen, habe ich aus jener gold gedruckten Speisekarte ein paar Spezialgerichte herausnotiert.

       Gourmetgericht Nummer 1

      Zweifach gewendete Hasenbrust in warmer Tintenfischsauce

      Beliebt bei österreichischen Neureichen und russischen Oligarchen in Begleitung eines 40 Kilo schweren Models.

      Schmeckt wie gewöhnliches Huhn in Mayonnaise.

       Gourmetgericht Nummer 2

      Zunge eines sprechenden Almochsen. Geteert und gefedert in Lakritze mit linksdrehendem Schlagobers

      Besonders bevorzugt von betuchten Pensionisten und größenwahnsinnig gewordenen Lottogewinnern.

      Schmeckt wie gewöhnliche Presswurst.

       Gourmetgericht Nummer 3

      Minidorade aus Wildfang mit kandierten Gräten. Drei Mal bei Vollmond gewendet. Beilage Elektronenmikroskop

      Gut geeignet für Primarärzte und Manager mit Verdauungsstörungen.

      Jedes Pangasiusfilet ist besser.

       Süß oder scharf – das ist hier die Frage

      Dass mir eines Tages die österreichische Küche nicht nur kulinarisch, sondern auch existenziell unter die Arme griff, ist eine Tatsache, die ich nicht oft genug wiederholen kann.

      Mein erster Job in Österreich war in einem Würstelstand. Zu dieser Zeit hatte ich mein Märchenmahl noch nicht gefunden und ernährte mich gezwungenermaßen von Burenwürsten, Käsekrainern und Frankfurtern, die ich geschickt miteinander kombinierte. Meine Kundschaft bestand aus Beamten und Müllmännern, die sich nicht sonderlich grün waren, die aber ihre gemeinsame Sympathie für gegrillte Wurst mit süßem Senf regelmäßig vor meinen Stand spülte.

      Eines Nachts, als ich dabei war, meinen Stand zu schließen, tauchte plötzlich ein Mann auf, dem, wie Hemingway sagte, seine kriminelle Vergangenheit ins Gesicht geschrieben stand. Sein Gesicht wies mehrere Narben auf, die man sich niemals beim Rasieren einfängt. Sein linkes Auge fehlte, wodurch er im fahlen Neonlicht meines Standes wie jene Horrorfilmfigur aussah, die Teenagern, die mit Kopfhörern Musik hörten, den Schädel einschlug und anschließend das Gehirn verspeiste.

      Um nicht das gleiche Schicksal zu erleiden, legte ich mir die Geldkassette mit dem Tagesumsatz griffbereit zurecht. Der Mann betrachtete mich ausgiebig mit seinem übrig gebliebenen Auge, das offenbar alles umso schärfer sah, und zog ein ellenlanges Messer hervor. Er hielt es mir vors Gesicht und teilte mir mit einer überraschend angenehmen Stimme mit: »Ich bin zwölf Jahre wegen zweifachen Mordes im Gefängnis gesessen und gerade entlassen worden. Muss ich dir schriftlich erklären, was ich jetzt will, oder kommst du selber drauf?«

      Ich schüttelte den Kopf zum Zeichen, dass man mir so etwas nicht zweimal sagen musste. Froh, dass ich so vorausschauend war, schnappte ich mir die griffbereite Geldkassette und stellte sie vor ihn hin.

      Er starrte auf die Geldkassette, und seine Stimme klang noch angenehmer als beim ersten Mal: »Was soll das? Gib mir das hier.«

      Er zeigte mit dem Messer auf den letzten Käsekrainer, der auf dem Grill vor sich hin brutzelte.

      Ich legte die Geldkassette zurück und bereitete den Käsekrainer in Lichtgeschwindigkeit vor.

      »Süßen oder scharfen Senf?«, fragte ich fachmännisch.

      »Beide, wenn es recht ist«, sagte der Mann. »Und eine Gabel. Den Rest habe ich schon.«

      Sein Messer pendelte in der Luft hin und her.

      Ich erfüllte seinen Wunsch und schob ihm den Teller hinüber. Er aß meinen Käsekrainer ganz langsam auf, und während dieser Zeit fiel kein Wort zwischen uns. Als er fertig war, legte er mir das Geld plus Trinkgeld auf den Tresen und verschwand wieder in der Dunkelheit. Während mein Magen sich langsam entknotete, erkannte ich eine tiefe Weisheit, die zwar kitschig klang, sich aber in diesem Moment überaus authentisch anfühlte. Die österreichische Nahrung hatte nicht nur die Gabe, den kulinarischen Horizont eines Fremdlings zu erweitern, sie war auch imstande, ihm das Leben zu retten.

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