Die Antwort liegt auf der Hand: Wir würden innere Stärke aufbauen. Wir hätten eine gut ernährte und versorgte Seele, wir würden mehr in uns ruhen. Wir würden klarer sehen, wo wir mit unserem Leben hinwollen, und wir hätten mehr Durchhaltevermögen, auch durch Krisen hindurch.
Eine gut versorgte Seele ist der Schlüssel zu einem gelingenden Leben. Oder wie John Ortberg es ausgedrückt hat: »Wenn meine Seele gesund ist, können äußere Umstände mein Leben niemals zerstören. Und wenn meine Seele nicht gesund ist, können mich äußere Umstände meines Lebens niemals retten.«1
Dieses Buch handelt davon, wie wir uns um unsere Seele kümmern können. Dabei schreibe ich als einer, der unterwegs ist, nicht als einer, der schon angekommen ist. Vieles habe ich ausprobiert, neu entdeckt, wieder verworfen, anders probiert. Ich hoffe, dass mein Weg das eine oder andere Goldnugget für Sie bereithält und Ihnen auf Ihrem eigenen Weg zu innerer Stärke weiterhilft.
Jörg Ahlbrecht
Oberweimar, im Dezember 2019
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Warum die Seele das Wichtigste am Menschen ist
Es war die Kunstsensation des Jahres 2017. Das Gemälde mit dem Titel »Salvator mundi«, zu Deutsch »Erlöser der Welt«, kam bei dem renommierten Auktionshaus Christie’s unter den Hammer – und erzielte die in der Kunstwelt bisher einzigartige Rekordsumme von 450 Millionen US-Dollar.
Das Bild zeigt einen langhaarigen, gelockten Christus, in der einen Hand eine Kristallkugel, die andere zum segnenden Gruß erhoben. Das Gemälde, das um 1500 entstanden sein soll, galt lange Zeit als wertlos. Man hielt es für die billige Kopie einer Kopie. Noch vor sechzig Jahren kaufte jemand das Bild zum Preis von 45 Britischen Pfund, das waren damals etwa 500 D-Mark, ein durchschnittliches Monatsgehalt. Der Besitzer hängte sich das Bild – vermutlich aus religiösen Gründen – ins Treppenhaus, wo es bis zum Ende seines Lebens hing. Seine Kinder gaben das Gemälde später weg, warum, wissen wir nicht. Im Jahr 2005 tauchte es dann bei einem Kunsthändler wieder auf – und weckte hier das Interesse eines Kunstexperten. Dieser kaufte das Bild, er investierte in seine Restaurierung und förderte zusammen mit einem Gremium weiterer Experten eine Sensation zutage: »Salvator mundi« stammt, so die Beurteilung, aus dem Pinsel von niemand Geringerem als Leonardo da Vinci. Es ist ein verloren geglaubtes Original des Meisters, dem wir unter anderem die Mona Lisa verdanken – das Gemälde mit der höchsten Besucherzahl pro Jahr, das im Pariser Louvre ausgestellt wird. Schlagartig stieg der Wert des Bildes auf 60 bis 100 Millionen Dollar. Doch niemand sah kommen, was bei der Auktion Ende 2017 geschehen würde. Der Hammer des Auktionators fiel erst bei 450 Millionen US-Dollar – das war mehr als das Vierfache des veranschlagten Wertes.
Können Sie sich vorstellen, wie die Kinder des ursprünglichen Besitzers beim Geburtstagskaffee zusammensitzen und einer sagt: »Erinnert ihr euch noch an den alten Schinken von Paps, der im Treppenhaus hing? Der hat bei Christie’s gerade 450 Millionen gebracht!« So was kann die Stimmung an der Kaffeetafel echt ruinieren! Und ich vermute einmal, dass ab jetzt einige Leute mit anderen Augen durch das Treppenhaus ihrer Eltern gehen werden.
Was macht das Gemälde so wertvoll? Was bringt einen Menschen dazu, so viel Geld für ein Bild auszugeben? Ist es das Motiv? Ist dieses etwas ganz Besonderes und Einzigartiges? Eher nicht, denn Christus-Darstellungen gibt es sehr, sehr viele. Vermutlich ist Christus neben seiner Mutter Maria das meistgemalte Motiv in der Kunst (dicht gefolgt von »Brüllender Hirsch vor Sonnenuntergang«). Und ob der »Salvator mundi« nun das Schönste dieser Gemälde ist, darüber kann man sicherlich streiten.
Warum ist das Bild dann so teuer? Ist es der Künstler? Okay, wer würde nicht gern einen echten Leonardo da Vinci besitzen – obwohl die Aufbewahrung und die damit verbundenen Sicherheitsmaßnahmen schon ein echter Albtraum sein könnten. Aber rechtfertigt der Urheber diesen astronomisch hohen Preis? 450 Millionen! Ich bin Pastor – für so eine Summe müsste ich lange predigen … sehr lange!
Die Geschichte dahinter
Die Antwort auf die Frage, warum für das Gemälde eine solche Rekordsumme gezahlt wurde, hat ganz viel mit unserem Thema »Seelenfitness« zu tun. Es stellte sich nämlich heraus, dass vor allem die innere Welt des Käufers dafür verantwortlich war und ganz wenig das Bild als solches.
Kaum war der Hammer gefallen, wurde überall darüber spekuliert und gerätselt, wer denn nun der Käufer sei. Und schrittweise offenbarte sich durch die Medien eine Geschichte, die eine enorme Komik beinhaltet, aber zugleich ein Lehrstück über die Seele ist:2
Der zunächst anonym gehaltene Käufer des Bildes war der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman. Wir kennen diesen Namen aus der Tagesschau – vor allem in Verbindung mit der Ermordung des Journalisten Khashoggi im Herbst des Jahres 2018.
Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman wollte den »Salvator mundi« zwar unbedingt ersteigern, aber dabei ging es ihm nicht um das christliche Motiv oder den berühmten Künstler. Weder fand er den dargestellten Christus hinreißend, noch war er ein ausgemachter Leonardo-da-Vinci-Fan. Der Grund für sein Interesse war viel profaner. Der Kronprinz hatte nämlich gehört, dass der Erzfeind der Saudis, das Königshaus aus Katar, großes Interesse an dem Gemälde hatte. Hier bot sich ihm also eine Chance, den Erzfeinden seiner Familie eins auszuwischen, und diese wurde von ihm offensichtlich freudig ergriffen.
Als die Auktion begann, kristallisierte sich recht schnell ein weiterer Mitbieter für das Gemälde heraus, der ebenfalls starkes Interesse zu haben schien. Für Mohammed bin Salman war klar, dass es sich dabei nur um den Erzfeind, das Königshaus aus Katar, handeln konnte. Also wollte er seinen Feinden mal so richtig zeigen, was eine Harke ist. Es entwickelte sich eine Bieterschlacht epischen Ausmaßes. Siebzehn Minuten lang schraubten sich die Gebote immer höher und höher, bis der Hammer schließlich bei 400 Millionen US-Dollar fiel, inklusive Aufgeld betrug der Kaufpreis dann 450,3 Millionen US-Dollar – der saudische Prinz hatte den Sieg errungen. Nicht das Bild an sich war ihm all das Geld wert – sondern der Sieg über Katar!
Was Prinz Mohammed bin Salman allerdings nicht wusste, war, dass es sich bei dem Mitbieter gar nicht um das Königshaus Katar handelte. Dieses hatte tatsächlich recht wenig Interesse an dem Bild, denn es hätte das Gemälde schon Jahre zuvor bei einem Privatverkauf für 80 Millionen US-Dollar haben können. Stattdessen war der andere Bieter sein eigener Cousin, Prinz Mohammed bin Zayed aus Abu Dhabi. Dieser wollte den »Salvator mundi« für seinen Louvre in Abu Dhabi ersteigern. Er hatte für eine knappe Milliarde Euro die Berechtigung erworben, sein Museum Louvre zu nennen, und nun sollte auch dort ein Leonardo da Vinci hängen.
Hier boten also zwei saudische Prinzen gegeneinander, um einen Erzfeind zu schlagen, der gar nicht da war, und machten auf diese Weise den »Erlöser der Welt« zum am teuersten verkauften Gemälde aller Zeiten. Ich weiß nicht, ob es im Himmel eine Abteilung für Humor gibt, aber wenn, dann dürfte diese Geschichte ein klarer Hinweis darauf sein, dass der 2011 verstorbene Loriot mittlerweile die Leitung übernommen hat.
Als das peinliche Missverständnis ans Licht kam, zeigte sich Mohammed bin Salman überaus großzügig. Er überließ den Salvator selbstverständlich seinem Cousin – im Tausch gegen dessen Megaluxusjacht Topaz. Dabei handelt es sich um die achtgrößte private Luxusjacht der Welt mit zwei Helikopter-Landeplätzen, sechsundzwanzig Schlafzimmern, Kino, Sporthalle, Konferenzräumen – kurz: mit allem, was das Prinzenherz begehrt.
Und der »Salvator mundi«? Das Gemälde sollte eigentlich seit Ende 2018 im Louvre Abu Dhabi ausgestellt werden – wird es aber nicht. Die Ausstellung wurde ohne jeden Kommentar abgesagt. Niemand weiß derzeit, wo sich das Gemälde befindet – dafür überschlagen sich aber die Gerüchte. Immer häufiger tauchen Zweifel an der Echtheit des Bildes auf. Es könnte sein, dass es sich bei dem Gemälde doch nicht um einen Leonardo da Vinci handelt.