Das Weiße Haus am Meer. Hannes Nygaard. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hannes Nygaard
Издательство: Bookwire
Серия: Hinterm Deich Krimi
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960416562
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ist trotzdem nicht möglich. Der Wirrkopf kann nicht die Schwerkraft aufheben.«

      Beim »Wirrkopf« fing sich Lüder zwei maßregelnde Blicke der anderen ein.

      »Er kann«, erwiderte Nathusius. »So wie er über den roten Knopf verfügen kann, sind ihm auch solche Aktionen möglich.«

      »Dann soll er sehen, wie er das organisiert bekommt«, meinte Lüder und erntete dafür ein mildes Lächeln des stellvertretenden LKA-Leiters.

      »Wir haben nur eine Vorabinformation aus Berlin erhalten. Dort brennt der Baum.«

      »Das kann ich mir vorstellen«, mischte sich Jens Starke ein. »Was haben wir damit zu tun? Es geht sicher um die Abstellung von Polizeieinheiten. Das ist eine schwierige Aufgabe für die Schutzpolizei.«

      Nathusius nickte versonnen. »Der Präsident hat sich Schleswig-Holstein als Ziel auserkoren.«

      »Was?« Lüder und Jens Starke fragten im Chor.

      »Staatsbesucher werden doch oft in den bekannten Schlössern im Osten untergebracht. Heiligendamm. Meseberg. Von mir aus irgendwo in den bayerischen Bergen. Bei jedem anderen würde man es als Ehre betrachten. Aber bei Onkel Donald?«

      Nathusius lächelte milde. »Wir sollten uns im Sprachgebrauch mäßigen, Herr Dr. Lüders. Wir diskutieren hier keine Einsatzlage am Stammtisch.«

      »Was führt den Präsidenten nach Schleswig-Holstein? Wohin genau? Gibt es schon einen Ort?«, wollte Jens Starke wissen.

      »Ja«, erwiderte Nathusius knapp.

      »Schloss Glücksburg? Ahrensburg? Eines unserer Herrenhäuser?«, riet Lüder.

      Nathusius zuckte mit den Schultern. »Wir erhalten nähere Informationen durch einen Beauftragten der Bundesregierung, der auf dem Weg nach Kiel ist. Mehr weiß ich derzeit auch noch nicht. Wir haben lediglich die Anforderung aus Berlin bekommen, die ans Innenministerium gegangen ist. Der Innenminister hat seinen Stab zusammengerufen. Unser Chef nimmt daran teil. Ansonsten gibt es nur die Twitternachricht.« Nathusius setzte seine Brille auf und las den Text von einem Blatt Papier ab: »Die Dänen werden das bereuen. Sie verweigern dem bedeutendsten Staatsmann der Welt die gebührende Achtung. Eine Zusammenarbeit mit ihnen ist nicht möglich. Ich werde statt nach Kopenhagen in die ehemalige Kolonie nach Woodstone reisen.«

      »Woodstone?«, fragte Jens Starke verwundert.

      »Der Mann ist für seine mangelhaften geografischen Kenntnisse bekannt. Mit ›Woodstone‹ hat er vermutlich Holzstein übersetzt und meint damit Holstein«, überlegte Lüder laut. »Immerhin hat ihm jemand verraten, dass Schleswig-Holstein im Laufe der Geschichte mal dänisch, dann wieder deutsch war.«

      »Lassen wir die Historie außen vor«, sagte Nathusius. »Ich habe Sie hergebeten, weil wir etwas zum Schutz des Gastes organisieren müssen.«

      »Hat man das den Kielern aufs Auge gedrückt?«, fragte Lüder überrascht.

      »Nein. Die Federführung liegt beim Bund. Trotzdem sollten wir uns Gedanken machen. Der Präsident ist einer der gefährdetsten Menschen der Welt. Ich benötige von Ihnen als Polizeilichem Staatsschutz eine Expertise. Worin besteht die Gefahr? Welche Maßnahmen könnten wir vorschlagen beziehungsweise ergreifen? Wo können wir präventiv tätig werden?« Nathusius sah Lüder an. »Sie haben Erfahrungen im Personenschutz.«

      Lüder winkte ab. »Es war ein Vergnügen, dem damaligen Ministerpräsidenten zur Seite zu stehen. Der Mann mit dem weißen Bart war beliebt. So volksnah, wie der als Landesvater auftrat, konnte sich niemand vorstellen, dass er Ziel eines Attentäters hätte werden können. Das ist bei Onkel Don …« Der erhobene Zeigefinger Nathusius’ ließ ihn den Satz nicht vollenden. »Wir brauchen einen Tarnnamen für das Zielobjekt. Ich schlage ›das Frettchen‹ vor.«

      »Bitte?« Jens Starke musterte ihn irritiert.

      »Das ist ein Tarnname für die Operation. Ein Frettchen wird in unterirdische Höhlen gelassen, um die dort Hausenden herauszutreiben.« Dabei fuhr sich Lüder wie zufällig mit der Hand über den Kopf.

      Nathusius grinste. Der Leitende Kriminaldirektor hatte Lüders Anspielung auf die Haare des Präsidenten verstanden. Lüder hatte früher einmal angemerkt, der Erste Bürger der USA sehe aus, als hätte man ihm ein totes Frettchen auf den Kopf genagelt.

      »Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.« Nathusius zuckte mit den Schultern. »Sobald der Beauftragte aus Berlin eingetroffen ist, melde ich mich. Bleiben Sie bitte verfügbar. Diese Sache hat absolute Priorität.«

      Damit waren sie entlassen.

      Dr. Starke schüttelte auf dem Weg zu ihren Büros immer wieder den Kopf.

      »Unfassbar«, murmelte er unentwegt. Dann bat er Lüder zu sich. »Wie wollen wir vorgehen?«

      »Es wäre hilfreich, wenn wir mehr Informationen hätten. Für mich sind drei Fragen von Bedeutung. Erstens: Wer ist dieser Mann?« Lüder streckte den linken Zeigefinger in die Luft.

      »Verstehe ich nicht, es ist der US-Präsident«, warf Jens Starke ein.

      »Das ist sein Job. Aber wer ist er selbst?« Was ich darüber denke, sage ich lieber nicht, dachte Lüder. Es könnte eine Beleidigungsklage zur Folge haben. Das Mindeste wäre eine Rüge seines Vorgesetzten.

      »Zweitens.« Es folgte der Mittelfinger. »Wo will er hin? Wir müssen umgehend sein Ziel in Schleswig-Holstein erfahren. Daran schließen sich viele Fragen an. Wie können wir die Örtlichkeit absichern? Gibt es diese Möglichkeit überhaupt? Welche Konsequenzen hat es für die Umgebung? Und drittens«, jetzt folgte der Daumen, »sollten wir uns Gedanken machen, von wem eine Gefahr für das Frettchen ausgehen könnte. Ich fürchte, das wird eine lange Liste.«

      »Ich übernehme Punkt drei«, sagte Jens Starke. »Zum zweiten Punkt können wir im Augenblick nichts sagen.«

      »Ich mache mir ein Bild von der Person«, sagte Lüder, nahm sich von Edith Beyer einen weiteren Becher Kaffee mit und kehrte an seinen Arbeitsplatz zurück.

      Der Präsident war über siebzig Jahre alt und in New York geboren. Er hatte von seinem Vater ein Millionenvermögen geerbt und es zu einem Mischkonzern ausgebaut, dessen Schwerpunkt im Immobilienbereich lag. Im geschäftlichen Bereich hatte er sich nie zimperlich gezeigt, hatte jedes soziale Ansinnen im Wohnungsbau missen lassen, dafür mit Renommierobjekten, Hotels und Spielcasinos geglänzt. Eine frühere Anklage wegen Rassendiskriminierung war unter den Teppich gekehrt worden. Interessant war, dass der Präsident in der Vergangenheit öfter bei der Aufzeichnung seiner Familiengeschichte gelogen hatte. Er, der sich auch dank seiner Herkunft spöttisch bis arrogant über mittellose Menschen oder Einwanderer äußerte, unterschlug die Historie seiner Mutter aus einer armen schottischen Fischerfamilie. Lüder hätte genüsslich die zahlreichen Artikel zu den amourösen Abenteuern studieren können oder den bewegten Lebenslauf in familiärer Hinsicht. Aber das, so dachte Lüder, gehörte eher auf die Titelseiten der bei Damenfriseuren ausgelegten Zeitschriften.

      Der Präsident, der rund um den Globus mit seinem »America First« für Unruhe sorgte, gehörte selbst einer Einwandererfamilie an. Seine Großeltern waren aus dem Pfälzischen als Armutsflüchtlinge nach Amerika ausgewandert. »Das war damals bayerisch«, sagte Lüder. »Kein Wunder, dass das Frettchen bis heute die Attitüde ›Nichts gilt außer mir‹ pflegt.«

      Amerika bezeichnet sich oft und gern als Muster für die Demokratie. Lüder schüttelte bei diesem Gedanken den Kopf. Natürlich wurde dort gewählt. Meistens sicher auch fair. Auch wenn gelegentlich Zweifel auftauchten. Als bei der Präsidentenwahl von Bush jr. Stimmen aus Florida fehlten und es Unstimmigkeiten bei der Auszählung der technisch fragwürdigen Wahlmaschinen gab, lehnte der dortige Gouverneur es ab, das Ergebnis durch eine nachträgliche Handauszählung verifizieren zu lassen. Der Skandal war, dass der Gouverneur Jeff Bush hieß und der Bruder des Kandidaten war. Zur deutschen Vorstellung von Demokratie passte auch nicht, dass man in Amerika viel Geld benötigte, um in ein politisches Amt zu gelangen. Man könnte behaupten, Präsident könne nur jemand werden, der sich den Wahlkampf leisten kann. Nur selten gelang