In der Zeit des Vormärz war der wegen seiner brutalen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung gefürchtete Graf Josef Sedlnitzky Polizeipräsident von Wien, dessen Name bis heute ein Synonym für Unterdrückung ist. Jede Art der Auflehnung, ja der Diskussion konnte lebensgefährlich sein, und es gab nur einen, der den Mut hatte, den mitleidlosen Mann ins Lächerliche zu ziehen: den Wiener Dichter Ignaz Castelli, der seine Hunde Sedl und Nitzky nannte. Wann immer er bei einem Spaziergang Polizeiorganen begegnete, rief er ihnen laut und deutlich und in dieser Reihenfolge zu: »Sedl! Nitzky!«
Dagegen waren selbst die strengsten Ordnungshüter machtlos. In die Amtszeit des Polizeipräsidenten Sedlnitzky fiel ein Kriminalfall, dessen Bearbeitung sehr delikat war, spielte er doch in den allerhöchsten Kreisen. Man schrieb den 6. Juli 1822, als Fürst Alois Kaunitz in seinem Palais in der Dorotheergasse festgenommen wurde. Vor Gericht stellte sich heraus, dass der Enkel des einstigen Staatskanzlers Wenzel Kaunitz nicht weniger als zweihundert unmündige Mädchen missbraucht und geschändet hatte.
Im Theater an der Wien gab es ein Kinderballett, das in jenen Tagen von abartig veranlagten Herren aufgesucht wurde, allen voran: Alois Kaunitz, einst österreichischer Botschafter am Hof des Papstes, ehe er 1819 als »untragbar« vom Dienst suspendiert und in die Heimat rückbeordert wurde. Hier begannen die Ballettbesuche des dreifachen Familienvaters im Theater an der Wien.
Der Prozess gegen den Fürsten Kaunitz wurde lange hinausgezögert, da es im höchsten Staatsinteresse war, Mitglieder des Hochadels zu schonen. Als aber die krankhaften Leidenschaften des 49-Jährigen in Wien die Runde machten, erwies sich das Einschreiten der Behörde als unumgänglich. Kaunitz war meist an die Mütter und Väter der elf- bis vierzehnjährigen Kinder herangetreten, um mit ihnen einen regelrechten Vertrag abzuschließen, in dem er sich verpflichtete »für die Jungfernschaft Ihrer Tochter« eine bestimmte Summe zu zahlen. Die Armut im biedermeierlichen Wien war so groß, dass dieses schmutzige Geschäft mit dem Wissen der Eltern blühen konnte.
Auch später berühmt gewordene Namen finden sich in den Listen der Opfer. Zwar soll Kaunitz die Tänzerin Fanny Elßler, damals elfjährige Elevin am Kärntnertortheater, »nur geküsst« haben, ihre 14-jährige Schwester Therese wurde von ihm jedoch »fleischlich gebraucht«. Auch mit den Eltern der elfjährigen Louise Gleich – der späteren Frau Ferdinand Raimunds – hatte Kaunitz eine Vereinbarung getroffen, die jedoch nicht wirksam wurde, da sich die Mutter in letzter Minute weigerte, ihre Tochter zur Erfüllung des »Vertrags« freizugeben.
Der Kaunitz-Prozess wurde zur Farce. Der Fürst gab an, die Mädchen »vor dem 14. Lebensjahre berührt, aber nicht gebraucht« zu haben. Dies wurde trotz gegenteiliger Aussagen sämtlicher Betroffenen vom Gericht akzeptiert, weil die Stellungnahme eines Aristokraten mehr zählte als die der einfachen Kinder.
Schließlich wurde die Untersuchung aus Mangel an Beweisen, »unter der Bedingung, dass Kaunitz die Stadt Wien auf schnellstem Wege verlasse«, ad acta gelegt. Er begab sich auf sein Landgut bei Brünn, um dort sein Unwesen fortzuführen, wie einem örtlichen Polizeibericht aus dem Jahre 1823 zu entnehmen ist: »Eine im Kaunitzschen Dienste gestandene frühere Magd ist in Untersuchung, da sie dem Fürsten Mädchen, die Jungfrauen sein mussten, zugeführt hatte …«
Alois Kaunitz hingegen starb 1848 im Alter von 75 Jahren in Paris als unbescholtener Mann.
Therese Krones war die beliebteste Schauspielerin Wiens. Doch just als sie in der Rolle der Jugend in Ferdinand Raimunds »Der Bauer als Millionär« ihren größten Erfolg feierte, geriet sie in das Umfeld eines Kriminalfalls, der ihr Leben zerstörte.
Die Tragödie der 25-jährigen Volksschauspielerin begann im Herbst 1826, als sie am Graben von einem elegant gekleideten Herrn angesprochen wurde. Der Fremde gab sich als Verehrer ihrer Schauspielkunst aus und bat, sie besuchen zu dürfen.
Zwei Tage später klopft der Mann an ihre Wohnungstür und überreicht dem Dienstmädchen seine Visitenkarte, auf der in gestochenen Lettern »Le Comte Severin Jaroszynski« steht. Therese Krones lässt bitten, der Graf tritt ein und beginnt mit polnischem Akzent seine Lebensgeschichte zu erzählen: Aus altem Adel stammend, sei er in Galizien durch Erbschaft in den Besitz riesiger Ländereien gelangt, die große Einkünfte abwarfen und ihm ein sorgenfreies Leben erlaubten. Des Landlebens leid geworden, sei er nach Wien übersiedelt, was er noch keinen Tag bereute, vor allem seit er die Krones auf der Bühne gesehen und in sein Herz geschlossen hätte.
Die Schauspielerin schmolz dahin. Da saß ein offensichtlich steinreicher Aristokrat und zeigte sein ernsthaftes Interesse für eine aus kleinen Verhältnissen stammende Soubrette, das war schon etwas Besonderes.
Severin schien es ernst zu meinen, und so dauerte es nicht lange, bis Therese dem Charme des Edelmannes erlag. Die Affäre wurde zum Stadtgespräch, der verliebte Aristokrat gab für die Krones ausschweifende Gelage, bei denen der Champagner in Strömen floss.
Doch dann geschah Unglaubliches. Am 13. Februar 1827 wurde der siebzigjährige Priester Johann Konrad Blank in seiner Wohnung an der Ecke Seilerstätte zur Annagasse von Schülern tot aufgefunden. Ein Unbekannter hatte sein wehrloses Opfer mit mehreren Messerstichen getötet und Obligationen im Wert von 60 000 Gulden geraubt. Jaroszynski sprach mit der Krones darüber und zeigte seine Erschütterung.
Drei Tage später gibt der Graf in seiner Wohnung im Trattnerhof eine große Gesellschaft. Gerade als die Krones ihr berühmtes Lied »Brüderlein fein« anstimmt, stürmen Polizeibeamte durch die Tür, von denen einer losschreit: »Severin von Jaroszynski, Sie werden als Mörder von Professor Blank erkannt und verhaftet!«
Die Gäste glauben ihren Augen und Ohren nicht zu trauen, Therese Krones muss fassungslos mit ansehen, wie der geliebte Mann in Ketten gelegt und abgeführt wird. Der Presse ist zu entnehmen, dass der Täter nach dem Mord versucht hätte, Wertpapiere seines Opfers beim Geldmakler Wedel am Graben zu verkaufen, der sofort Anzeige erstattete.
Jaroszynski stammte aus adligem, nicht jedoch aus gräflichem Hause. Er war mit einer Polin verheiratet, die ihm drei Kinder und ein großes Vermögen geschenkt hatte, das durch seine Verschwendungssucht und Spielleidenschaft verloren ging. Als man ihm in seiner Heimat die Veruntreuung von Staatsgeldern nachwies, flüchtete er nach Wien, wo er Affären mit mehreren Frauen hatte. Die Krones war nur eine von ihnen.
Als er dem Abbé Blank, der einst sein Lehrer war, einen Besuch abstattete, kam er auf die Idee, ihn zu töten und mehrere in der Wohnung frei herumliegende Aktien an sich zu nehmen. Mit dem Raubmord glaubte Jaroszynski seinen aufwändigen Lebensstil finanzieren zu können.
Die Geschichte von der schönen Schauspielerin und dem Mörder füllte die Zeitungsseiten. Und das Publikum war empört, als die Krones einige Tage später im Leopoldstädter Theater ihren nächsten Auftritt im »Bauer als Millionär« absolvierte. Bisher immer mit Applaus bedacht, brach jetzt lautstarker Tumult aus. Therese Krones stand im Kostüm der Jugend unter Buhrufen und lautem Getrampel wie gelähmt da, ehe sie sich Hilfe suchend dem als Fortunatus Wurzel neben ihr stehenden Ferdinand Raimund zuwandte. Doch die Situation war nicht zu retten, die Schauspielerin verlor das Bewusstsein, und die Vorstellung musste abgebrochen werden.
In den folgenden Tagen wurde der seelisch und körperlich niedergeschlagenen Künstlerin zugetragen, dass viele Wiener ihr die Schuld an dem Verbrechen gaben. Die grenzenlose Eitelkeit der Krones hätte den verliebten Mann zur Erfüllung ihrer unverschämten Wünsche nach Schmuck und teuren Kleidern verführt, weshalb er sich in Schulden gestürzt und keinen anderen Ausweg gesehen hätte, als den Raubmord zu begehen. Mehr noch, viele Menschen sahen die Krones als Mitwisserin oder gar Anstifterin zur Tat.
Auch wenn sich derlei Anschuldigungen als haltlos erwiesen, änderte das nichts daran, dass das Renommee und die Popularität der Künstlerin dahin waren.
Severin