Sie stirbt im Juni 1950 im Alter von 67 Jahren in Wien, ohne je wieder geheiratet zu haben.
ZU FUSS NACH DÖBLING
Josef Kainz
Wien 19., Lannerstraße 24
In jungen Jahren hatte Kainz, wenn er zu kleineren Engagements nach Wien kam, eine Wohnung in der Josefstädter Straße gemietet. Später, als berühmtester Charakterdarsteller seiner Zeit, wohnte er in Döbling. Dass er seinen Wohnsitz schließlich ganz nach Wien verlegte, hatte einen dramatischen Grund: Als seine Frau 1893 in Berlin starb, hielt er es dort nicht mehr aus und beschloss, die Stätte seiner Triumphe zu verlassen. Burgtheaterdirektor Max Burckhard holte den Sohn eines ungarischen Bahnbeamten zunächst nur für ein Gastspiel.
Einige Zeit später sollte der Star als festes Ensemblemitglied nach Wien kommen, doch dem stand ein unlösbar scheinendes Problem gegenüber: Der neue Burgtheaterdirektor Paul Schlenther war früher Kritiker der Vossischen Zeitung in Berlin gewesen, in der er Kainz fürchterlich verrissen hatte.
Jetzt fand man einen – sehr teuren – Weg der Versöhnung. Er bekam die höchste Gage, die man am Burgtheater je bezahlt hatte, doch sie amortisierte sich schnell, denn Wien stand Kopf, sobald er die Bühne betrat. Insgesamt war Kainz hier in 28 Rollen zu sehen, u. a. als Franz Moor, als Cyrano und als Torquato Tasso. Seine Kollegin Hedwig Bleibtreu musste »jedes Mal nach der Vorstellung den weiten Weg nach Döbling zu Fuß gehen. Es war einfach unmöglich, in der Straßenbahn zu sitzen, so aufgeregt hat einen dieser Mann«.
Sein größter Wunsch, Regisseur des Burgtheaters zu werden, blieb unerfüllt. Direktor Schlenther verweigerte den Vertrag, weil er Angst hatte, mit dem Regisseur Kainz den Schauspieler Kainz und damit sein größtes Zugpferd zu verlieren. Als Schlenthers Nachfolger, Alfred Freiherr von Berger, dem schwerkranken Mimen das Ernennungsdekret zum Regisseur überreichte, wusste dieser, dass er nicht mehr lange leben würde.
Kainz konnte tatsächlich keine einzige Regie übernehmen. Er starb, 52 Jahre alt, am 20. September 1910 im Sanatorium Loew in der Mariannengasse.
MANGELHAFTE AUFKLÄRUNG
Helene Thimig
Wien 18., Gymnasiumstraße 47
Die Thimigs waren eine weltoffene Künstlerfamilie, aber die Sexualaufklärung ihrer Tochter – die später selbst eine berühmte Schauspielerin werden sollte – dürfte nicht im Vordergrund der Erziehung gestanden sein. Anders wäre die folgende Episode nicht erklärbar: Helene Thimig, gerade zwanzig Jahre alt und wie ihr berühmter Vater Hugo bereits am Theater tätig, lernte im Jahre 1909 den Schauspieler Paul Kalbeck kennen. Beide waren grenzenlos naiv, ja ahnungslos. Trotzdem drückte er ihr bei der ersten sich bietenden Gelegenheit einen langen, noch dazu ein wenig missglückten Kuss auf den Mund. »Es klingt heute wie blödsinnige Koketterie«, schreibt die Thimig in ihren Memoiren, »aber ich habe damals effektiv gedacht: Vielleicht bekomme ich jetzt ein Kind! Wer das nicht glaubt, dem kann es mein Bruder Hermann bezeugen, denn dem habe ich mich am nächsten Tag anvertraut. Es gelang ihm, mich zu beruhigen, indem er mir sein großes Ehrenwort gab und versicherte, seit Adam und Eva habe noch keine Frau ein Kind von einem abgerutschten Busserl bekommen. Da kehrte mein Lebensmut in mich zurück.«
Der küssende Paul Kalbeck wurde dennoch geheiratet, Helene verließ die große, mit dichtem Efeu bewachsene Backsteinvilla in der Gymnasiumstraße, die ihr Vater im Jahre 1890 (damals noch unter der Adresse Oberdöbling, Feldgasse 1) erworben hatte, und in der sie mit ihren Brüdern Hermann und Hans aufgewachsen war.
Helene Thimigs Ehe hielt freilich nur zwei Jahre. Bis sie Max Reinhardt traf.
DAS SCHEIDUNGSDRAMA
Max Reinhardt
Salzburg, Schloss Leopoldskron
Salzburg, Wien, Berlin, Mailand, Florenz, London, New York – das waren die Theaterstationen, die Max Reinhardt durch seine einzigartigen Inszenierungen verzauberte. Einmal führte der bedeutendste Regisseur seiner Zeit aber auch in Lettland Regie. Was veranlasste Max Reinhardt auf dem Höhepunkt seines Ruhms ausgerechnet in Lettland Die Fledermaus zu inszenieren?
Um es kurz zu machen: Es war die Liebe. Denn nicht nur Helene Thimig war verheiratet, als sie Max Reinhardt traf. Auch er war es. Seine Frau war die Schauspielerin Else Heims, und die dachte nicht daran, einer Scheidung zuzustimmen. Sie wollte immer nur eines: Frau Reinhardt sein – und bleiben.
Ein Scheidungskampf von selten da gewesener Härte zieht sich mehr als zwei Jahrzehnte lang hin. Max Reinhardt scheut weder Kosten noch Mühen, seine Ehe für null und nichtig erklären zu lassen. Aber Else Heims lässt nicht mit sich reden. Scharen von Anwälten studieren internationale Scheidungsgesetze, um Schlupflöcher zu finden. Reinhardts in Deutschland eingebrachte Klage wird von den Advokaten seiner Frau verschleppt, seine Versuche vor Prager Richtern scheitern.
Deshalb geht er 1931 nach Lettland, denn dort gibt es liberalere Gesetze. Aber man muss dort mehrere Monate gemeldet sein, um die Scheidung einreichen zu können. Natürlich will Max Reinhardt in der lettischen Hauptstadt nicht untätig herumsitzen, und davon profitiert die Nationaloper von Riga, für die er in dieser Zeit Die Fledermaus inszeniert.
Der Aufwand scheint sich zu lohnen, denn die Ehe wird 1932 nach lettischem Recht aufgehoben. Und doch ist die Scheidung damit noch nicht vollzogen, denn sie gilt nur in Lettland. Würde Reinhardt Helene Thimig in Wien oder Berlin heiraten, müsste er wegen Bigamie vor Gericht.
Bis 1935 verweigert Else Heims die Scheidung, dann gelingt es ihrem Sohn Gottfried zwischen Vater und Mutter zu vermitteln. Reinhardt geht auf alle Forderungen ein und verpflichtet sich zu hohen Zahlungen an seine Frau.
Die Ehe wird rechtsgültig geschieden, Helene Thimig und Max Reinhardt können heiraten. Nach über zwanzigjährigem Kampf.
Mittlerweile ist Reinhardts Berliner Theaterimperium »arisiert« worden, nur das Wiener Theater in der Josefstadt, die Salzburger Festspiele und Leopoldskron sind noch in seiner Hand. Reinhardt hatte das Rokokoschloss nach dem Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie erworben und – wie manche meinen – die Salzburger Festspiele gegründet, um die Sommermonate auf seinem prunkvollen Anwesen verbringen zu können. Der von Erzbischof Leopold Firmian im 18. Jahrhundert erbaute spätere Alterssitz des bayerischen Königs Ludwig I. wurde von Reinhardt aufwändig revitalisiert und – wie alles in seinem Leben – »inszeniert«. Die Stuckaturen der Decken blickten jetzt wieder auf kostbar möblierte Räume, auf den Saal, die Bibliothek, das venezianische Zimmer. Der noch aus Bischof Firmians Zeiten stammende Sakristeischrank, die barocken Kachelöfen, der Park mit seinen Sandsteinfiguren, der Tiergarten, die Glashäuser, der Herkulesteich – alles war mit neuem Leben erfüllt und diente als Wohnort, aber auch als Schauplatz für spektakuläre Theateraufführungen, Konzerte, Premierenfeiern.
Zeit und Muße für all die Pracht fand Reinhardt wenig, da er ständig beschäftigt war. »Ein Morgenspaziergang durch den Park, zu den Tieren, bis zur barocken Nepomukstatue am äußersten Ende des Besitzes, war die einzige Erholung, die sich Reinhardt während der Festspiele gönnte«, erinnerte sich seine engste Mitarbeiterin Gusti Adler. »Aber nur selten vermochte er mit Helene Thimig diese kurze Stunde ungestört zu genießen: Ferngespräche, Telegramme, dringende Anfragen zwangen ihn allzu oft, halb laufend zum Schloss zurückzukehren. Doch der Garten klang nach, das Haus klang nach.«
Als Reinhardt nach dem »Anschluss« in Amerika hörte, dass ihm nun auch Leopoldskron, in das er so viel Geld und Liebe investiert hatte, geraubt worden war, kommentierte er dies mit den Worten: »Ich habe es gehabt!«
DIE MOSER-VILLA
Hans Moser
Wien 13., Auhofstraße 76
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