Einst karikierte man den Grafen Bobby mit Monokel oder Zwicker, um seine Blödheit zu unterstreichen. Der Brillenträger von heute ist weit davon entfernt, als Witzfigur zu gelten. Goethe, Freud und Einstein haben die Welt eines Besseren belehrt: Kurz- oder weitsichtig zu sein, deutet eher auf Belesenheit und Intelligenz als auf das Gegenteil hin.
Sollten Sie, verehrter Leser, zu jenen 52 Prozent der Bevölkerung zählen, die eine »Vorrichtung zum Ausgleich eines Brechungsfehlers der Augen« (so die wissenschaftliche Erklärung) benötigen, dann rücken Sie jetzt Ihre Gläser zurecht. Denn hier erfahren Sie, wie’s vor mehr als siebenhundert Jahren zu dieser für uns alle revolutionären Erfindung kam.
Die Habsburger waren gerade erst an die Macht gekommen, damals gegen Ende des 13. Jahrhunderts, als der überwiegende Teil der Bevölkerung weder lesen noch schreiben konnte. Und Analphabeten brauchen keine Brillen.
Das geistige Leben des Mittelalters spielte sich vorwiegend hinter Klostermauern ab, die Ordensleute blieben also Hauptleidtragende des Phänomens, dass die Sehkraft des Menschen etwa mit dem vierzigsten Lebensjahr nachzulassen beginnt. Glas konnte zwar seit langem schon erzeugt werden, doch war man noch nicht in der Lage, es für den optischen Gebrauch zu bearbeiten. Bei den ersten Versuchen wurden daher – neben Quarz und Bergkristall – Halbedelsteine verwendet, die Barille hießen. Sie gaben der Brille später den Namen.
Diese so genannten »Lesesteine« waren unhandlich, wenig effektiv und konnten sich daher nicht durchsetzen. Kaum aber war das Glas als Sehbehelf entdeckt, fasste ein heute namentlich nicht mehr bekannter Kunsthandwerker aus Murano »zwey Linsen mit gestielten Ringen zusammen, welche Konstruktion man auf die Nase setzen konnte«. So geschehen Anno 1286.
In seinem Roman Der Name der Rose beschreibt Umberto Eco, welche Verwunderung der im 14. Jahrhundert lebende Mönch William von Baskerville bei seinen Mitbrüdern auslöste, als er die Bibliothek des Benediktinerklosters betrat und mit Hilfe einer »kleinen zweizackigen Gabel, die zwei dicke mandelförmige Gläser umspannte«, in alten Folianten zu lesen begann: »Die anderen Mönche betrachteten William mit großer Neugier, wagten es aber nicht, ihm Fragen über seine Gläser zu stellen.« Jedenfalls belegt der Chronist, »dass auch ihnen dieses wunderbare Gerät nicht bekannt war«.
Mit diesem »wunderbaren Gerät« war ein Jahrtausende alter Traum Wirklichkeit geworden. Man darf nicht vergessen, dass Gelehrte infolge der Sehschwäche spätestens ab dem fünfzigsten Lebensjahr – so sie dieses Alter überhaupt erreichten – nicht mehr arbeitsfähig waren.
Von Tür zu Tür ziehende »Brillenhausierer« boten nun dem staunenden Volk verschieden geschliffene Gläser an. Und stießen mit ihrem »Werk des Satans« lange Zeit auf Skepsis und Ablehnung. Diese Ur-Brillen wirkten aber auch äußerst komisch, und so wurden die anfangs riesigen Gestelle aus Holz oder Edelmetall zum Gespött der Zeitgenossen. Auch weil das hohe Gewicht der ersten Brillenkonstruktionen zu einer eigenartigen, steifen Kopfhaltung zwang. Während das individuelle Schleifen der Gläser und deren Fassung bald befriedigend gelöst werden konnten, bereitete es große Probleme, das Gestell zuverlässig und bequem am Kopf zu fixieren. Es gab Zwicker, die auf der Nase schmerzten, man konstruierte »Mützenbrillen«, die an einer tief ins Gesicht gezogenen Kappe befestigt waren, in China wurden Brillen entwickelt, die mit Gewichten hinter den Ohren festgehalten wurden. Das »Glas am Stiel« – wie es etwa Goethe trug – raubte die Bewegungsfreiheit der Arme, und das beim Wiener Kongress modern gewordene Einglas oder Monokel bot ein geringes Sehfeld und verlieh dem Träger den wenig schmeichelhaften Ruf eines Gecken.
Erst als ein Pariser Optiker eine »Ohrenbrille mit Haltestangen« konstruierte, deren Bügel hinter dem Kopf zusammengebunden waren, hatte die Geburtsstunde unserer heutigen Augengläser geschlagen. Und von da an konnten sie ihren Siegeszug antreten – zumal auch immer mehr Menschen des Lesens mächtig wurden. Im 20. Jahrhundert entwickelte sich die einst verschmähte Sehhilfe schließlich zum Statussymbol des Intellektuellen, ja oft sogar zum modischen Attribut.
Marilyn Monroe blieb es dann vorbehalten, das Augenglas sexy zu machen. In dem Hollywoodfilm Wie angelt man sich einen Millionär? angelt sie erst dann erfolgreich, als sie sich dem Auserwählten mit Brille zeigt.
Seither hab ich sie so gut wie nicht mehr abgelegt.
»IN DER FINSTERNIS ZU FRÜH ERWACHT«
Die Erfindungen des Leonardo da Vinci
Er erfand Flugzeug, Auto, Fahrrad und das Kugellager. Er konstruierte Raketen, Fallschirme, Brücken und ein Maschinengewehr. Und das alles vor fünfhundert Jahren. Ach ja, dass ich’s nicht vergesse, »nebenbei« schuf er mit der Mona Lisa auch noch eines der bedeutendsten Kunstwerke aller Zeiten. Tatsächlich »nebenbei«, denn Leonardo da Vinci sah sich in erster Linie als Forscher und Ingenieur. Er hat der Welt nur dreißig Gemälde, dafür aber Tausende Skizzen und Beschreibungen seiner Erfindungen hinterlassen.
Leonardo kam am 15. April 1452 in dem italienischen Dorf Vinci als unehelicher Sohn einer Magd zur Welt. Sein Vater, der reiche Notar Ser Piero, war viermal verheiratet und hatte zwölf Kinder; als sein letztes geboren wurde, war er 75 Jahre alt. Doch das Universalgenie wuchs weder bei seiner Mutter noch bei seinem Vater auf, sondern ausgerechnet bei einer der geschiedenen Frauen des Vaters. Mit fünfzehn ging Leonardo als Lehrling in das Atelier des Malers Andrea Verrocchio nach Florenz, wo er seine technische Begabung ausleben konnte, zumal er dort auch Bildhauen, Gießen, Goldschmieden, Kostümschneidern und das Ausrichten großer Renaissancefeste erlernte. Als sein Meister die ersten Bilder Leonardos sah, so erzählt man, hörte dieser zu malen auf, weil er erkannte, dass er fortan nur noch im Schatten seines Schülers stehen würde.
Mit 28 Jahren entwickelte Leonardo die erste seiner wahrhaft revolutionären Erfindungen: Eine Maschine, die Feilen zur Holzund Metallbearbeitung herstellt – derartige Werkzeuge wurden damals noch manuell mit Hammer und Meißel gefertigt. Wie jede seiner Erfindungen hatte er auch diese feinsäuberlich zu Papier gebracht; die Modelle wurden später anhand seiner Skizzen von italienischen Ingenieuren nachgebaut und in Leonardos Geburtshaus und in anderen Museen aufgestellt. Fast alle sind funktionsfähig.
In der Folge konstruierte Leonardo völlig neuartige Hebel- und Kurbelvorrichtungen. Dem Textilhandwerk schenkte er Maschinen zum Zwirnen des Garns und zum Aufspulen des Fadens. Er entwickelte Zahnräder, Uhrwerke, Ventile, optische Geräte, Mühlen, Bewässerungsanlagen und Druckerpressen. Dem Baugewerbe lieferte er Pläne für Kräne, Pumpen, Winden, Bagger sowie Anweisungen für den Bau von Flaschenzügen mit raffinierten Übersetzungen, aber auch Bohr- und Hobelmaschinen, wie man sie in ähnlicher Form heute noch in Betrieben findet.
Die allergrößten Visionen hatte Leonardo, als er Fortbewegungsmittel erdachte, die dann im 19. und im 20. Jahrhundert verwirklicht wurden. Sein Fahrrad (mit Lenkstange, Pedalen und Kettenübertragung) unterscheidet sich kaum von einem heutigen Drahtesel. Sein »Auto« hat auf den ersten Blick wenig mit einem Mercedes zu tun, ist aber dennoch eine prophetische Konstruktion: Der Wagen wurde durch riesige Federn – wie sie in Uhren verwendet werden – angetrieben. So wie wir heute voll tanken, dachte Leonardo daran, dass sein Auto nach einiger Zeit vom Fahrer »aufgezogen« würde.
Ganz besonders hatte es ihm die Kunst des Fliegens angetan: Nach dem Vorbild der Natur experimentierte er 25 Jahre lang mit Raketen, Hubschraubern und vogelähnlichen »Flugapparaten« (die sich freilich als unbrauchbar erweisen sollten). Mit seiner »Tauchglocke« entwickelte er ein frühes U-Boot, dem er Sauerstoffflaschen beifügte.
Die meisten Herrscher, an deren Höfen Leonardo da Vinci beschäftigt war, interessierten sich kaum für seine Bilder – sie engagierten ihn vielmehr als Militärexperten. Und so entwickelte er neuartige Waffen, die er im Auftrag von Königen und Fürsten herstellte: Seine in einer Reihe montierten Kanonen könnte man als Vorläufer des Maschinengewehrs bezeichnen, er konstruierte ein Panzerfahrzeug, das Soldaten und Pferde vor gegnerischen Angriffen schützte. Und er erhöhte die Treffsicherheit von Kanonenkugeln, indem er den Luftwiderstand berechnete. Mit seinen mathematischen und physikalischen Formeln nahm er viel von dem vorweg, was Isaac Newton, Albert Einstein und Wernher von