Im September 1889 hatte eine Gruppe Hamburger Kaufleute die Deutsche Levante-Linie Aktiengesellschaft gegründet, deren Dampfer den deutschen Handel mit den Häfen an der Küste des östlichen Mittelmeeres beleben sollten. Der Zeitpunkt war günstig. Nicht nur das zur Weltmacht strebende deutsche Kaiserreich begann, sich für das angeschlagene Osmanische Reich zu interessieren, auch deutsche Unternehmen und Banken hatten den Orient als Absatzmarkt entdeckt. Ein Jahr vor der Gründung der Levante-Linie hatte ein Finanzkonsortium unter Führung der Deutschen Bank die Konzession zum Bau und Betrieb der anatolischen Eisenbahn von Istanbul nach Ankara erhalten, der Vorläuferin der Bagdadbahn, die von Südanatolien über Bagdad an die Küste des Persischen Golfs führen sollte. Aber die Erwartungen der Hamburger Geschäftsleute an den Dampferverkehr im Mittelmeer erfüllten sich zunächst nicht. Missernten, Choleraepidemien in Hamburg und in der Levante, niedrige Frachten und mehrere Schiffsverluste verdarben die Bilanzen. Zwischendurch hatte sich die Lage zwar für ein paar Jahre verbessert, so dass Anfang 1900 eine ansehnliche kleine Flotte von zwanzig Dampfern regelmäßig von Hamburg über Antwerpen die Häfen von Malta, Piräus, Smyrna und Konstantinopel anfuhr. Sehr bald aber war die Reederei durch Fehler der Geschäftsführung wieder ins Schlingern geraten. 1907 hatten sich so hohe Verluste aufgetürmt, dass das Unternehmen zusammenzubrechen drohte.
Aber sein Generaldirektor wusste sich zu helfen: Er war nämlich zugleich Direktor der Dampfschiffreederei Union Aktiengesellschaft, und an ihr hatte sich soeben Christian Kraft – zusammen mit dem Hamburger Reeder Robert Loesener – die Dreiviertelmehrheit gesichert. Dessen bewährte Konfidenten Prinz Friedrich Karl und Ernst Hofmann hatten sich bereiterklärt, in den Aufsichtsrat der Levante-Linie einzutreten, und auf einer Generalversammlung im Mai 1907 versprochen, das benötigte Kapital aufzubringen. Die Zusage war dann aber in Vergessenheit geraten, stattdessen war eine »Betriebsgemeinschaft« zwischen der Union und der Levante-Linie vereinbart worden, wonach die Union der Levante-Linie Schiffe zur Verfügung stellen sollte. Und sie sollte ihr ein Darlehen von 1.800.000 Mark gewähren, womit die Schulden der notleidenden Reederei zu begleichen wären. Die Union zahlte allerdings nur einen Teil in bar, der jedoch nicht zur Schuldentilgung verwendet wurde. (Wo das Geld blieb, ist ungeklärt.) Sie stellte auch keine eigenen Schiffe, sondern die einer weiteren Reederei, die für die Levante-Linie aber nutzlos waren. Diese dritte Reederei hieß Seetransport-Gesellschaft, ihr Geschäftsführer war Robert Loesener, ihr Gründer Christian Kraft.
Es folgten Rücktritte von Mitgliedern des Levante-Aufsichtsrats, die Einberufung einer außerordentlichen Generalversammlung der Aktionäre, die den Generaldirektor der Levante-Linie umgehend entließ, und die Einsetzung einer Revisionskommission, die im März 1907 ihren Bericht vorlegte, »der vor allem nachdrücklich rügte, daß Loesener, aber auch Prinz Hohenlohe und Hofmann beim Abschluß des Vertrages mit der Union wegen des Interesses an dieser Gesellschaft nicht als Vertreter der Levante-Linie hätten mitstimmen dürfen und daß vor allem Loeseners Tätigkeit bei diesem Vertragsabschluß seinen Verpflichtungen als Mitglied des Aufsichtsrats widersprochen habe«.25 Daraufhin waren auch Loesener, Prinz Friedrich Karl und Hofmann zurückgetreten. Der neu besetzte Aufsichtsrat hatte auf der nächsten Generalversammlung eine Bilanz vorgelegt, wonach die Levante-Linie einen Verlust von fast drei Millionen Mark zu verzeichnen habe, hatte dafür aber in der Versammlung überraschend keine Zustimmung gefunden. Denn Christian Kraft, sein Bruder Friedrich Karl und Ernst Hofmann hatten unterdessen so viele Aktien gekauft, dass sie auch hier die Stimmenmehrheit hatten. Wieder traten Mitglieder des Aufsichtsrats unter Protest zurück, und ihre Nachfolger zeigten sich den Berechnungen des Hauses Hohenlohe-Öhringen gegenüber deutlich aufgeschlossener. In der neuen Bilanz war der Verlust um eine Million Mark gesunken. Sie wurde nicht veröffentlicht.26
Deutlich geradliniger ist die Geschichte der Deutschen Palästina-Bank AG verlaufen, die Christian Kraft ebenfalls in den Fürstentrust einbringt. Als Deutsche Palästina- und Orient-Gesellschaft GmbH 1896 unter anderem von Karl von der Heydt, einem Bankier und entschlossenen Förderer der deutschen Kolonialpolitik, mit dem bescheidenen Stammkapital von 100.000 Mark gegründet, hatte sie sich schon drei Jahre später in eine Aktiengesellschaft verwandelt, ausgestattet mit zunächst 450.000, bald darauf mit einer Million Mark Grundkapital. Zu den Gründern gehörte wiederum von der Heydt, jetzt aber in Gesellschaft von Christian Kraft und Max Schoeller, dem Jülicher Zuckerfabrikanten.27 Der Zweck der Bank war die Förderung des deutschen Handels in der Levante.
Es ist kein Zufall, dass Christian Kraft ausgerechnet 1899 mit einer Bank in den Levante-Handel einsteigen will, schließlich hatte die mit gewaltigem Aufwand inszenierte zweite Orientreise des deutschen Kaisers ein Jahr zuvor weltweit Aufsehen erregt. Abdülhamid II., der tyrannische Sultan des Osmanischen Reiches, hatte den Deutschen angeboten, die anatolische Eisenbahn bis zum Persischen Golf weiterzuführen. Als das bereits erwähnte Bankenkonsortium unter der Führung der Deutschen Bank schon wenige Wochen nach Wilhelms Reise die Vorkonzession für den Bau der Bagdadbahn erhalten hatte, war »der Grundstein für den nunmehr kaum noch aufzuhaltenden Aufstieg des Deutschen Reiches zur wirtschaftlich und politisch dominanten Macht am Goldenen Horn gelegt«.28 Zu dieser Einschätzung kamen auch die anderen europäischen Mächte. Russland fürchtete um seinen Einfluss auf den östlichen Teil Anatoliens und auf die Kaukasusregion. England sah seine strategische Position am Persischen Golf gefährdet. Der Nahe Osten war die Verbindungslinie nach Indien, die »große Schlagader des Empire«.29 Die Bagdadbahn war nicht nur das technisch anspruchsvollste Projekt der deutschen »Weltpolitik«, es war auch, neben dem Flottenbau, das politisch riskanteste. Doch die Gefahr, das Reich durch den Bau der Bahn weiter zu isolieren, erkannte der Kaiser nicht. Er betrachtete das Vorhaben vielmehr als Geniestreich gegen den englischen Rivalen, dessen Schiffe künftig in den Häfen liegen bleiben würden, weil niemand mehr den wochenlangen Transfer durch den Suezkanal nach Asien akzeptieren würde. Wilhelm II. erklärte, die Bagdadbahn »ist meine Bahn!«, und stellte »dieses Ausgangstor für deutsche Arbeit und Industrie«30 unter seinen persönlichen Schutz.
Günstige Aussichten also für den deutschen Levante-Handel, und tatsächlich entwickelte sich die Deutsche Palästina-Bank AG in den ersten Jahren recht ordentlich. Die Dividenden lagen zwischen fünf und sieben Prozent, von Tumulten unter Aktionären und klandestin veränderten Bilanzen wurde nichts bekannt. Die Deutsche Palästina-Bank war eine von damals vier modernen Kommerzbanken Palästinas,31 aber im Reich Christian Krafts war sie ein Zwerg.
Dann aber wird am 24. April 1908 in Berlin das fürstliche »Casino« eröffnet, der Fürstentrust. Schon zwei Monate später, am 18. Juni, beschließt die Generalversammlung der Deutschen Palästina-Bank, das registrierte Kapital der Gesellschaft auf fünf Millionen Mark zu erhöhen und in Hamburg eine Filiale einzurichten. Die Bank wird zwar in Palästina weiterhin Geschäfte machen, aber Christian Kraft hat mit ihr Größeres vor: Die Deutsche Palästina-Bank soll dem Fürstentrust künftig vor allem als Hausbank dienen.
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