Noch populärer als der Jäger ist der Pferderennstallbesitzer Christian Kraft, ein Liebling der Sportseiten der deutschen und österreichischen Presse, die über seine Triumphe ausführlich berichten. Als er sich entschließt, alle Pferde österreichischungarischen Trainern anzuvertrauen, würdigt die Wiener Zeitung Sport und Salon den reichsdeutschen »Sportsman« mit Foto (»Se. Durchlaucht Fürst Christian Kraft zu Hohenlohe-Oehringen«) und einem ausführlichen Artikel: »Jetzt steht die gesamte stattliche Streitmacht, mit welcher der Fürst in diesem Jahre in die Ereignisse unseres und des deutschen Turfs eingreifen wird, in Alag in den Stallungen Charley Planners, zu dessen Hauptpatron der deutsche Grandseigneur geworden ist. Das Lot des Fürsten zählt heuer 16 Köpfe.«7 Zwischen 1903 und 1912 gewinnen 67 Pferde Christian Krafts 76 Rennen auf österreichischen Bahnen und brachten ihm Siegprämien in Höhe von 883.730 Kronen ein.8
Als Jäger und als Sportsmann geht er in die Vollen, in privaten Dingen ist er eher vorsichtig. Er lebt ohne Trauschein mit der zwanzig Jahre jüngeren Gräfin Ottilie Lubraniec-Dambska geb. Brauns zusammen. Die aus dem Bürgertum stammende Geliebte hatte auf Drängen Christian Krafts den buckligen polnischen Grafen Dambski geheiratet, der sich nach der Hochzeit alsbald wieder scheiden lassen und verschwinden musste.9 Aber auch als Gräfin hat Ottilie keine Aussicht, jemals die Frau des Fürsten zu werden – das Gesetz des Fürstlichen Gesamthauses Hohenlohe verbietet es. Als standesgemäß gelten nur Heiraten mit Mitgliedern des hohen Adels, ausnahmsweise auch sonstige fürstliche oder altgräfliche Personen. Ein Regelverstoß würde Christian Kraft Titel und Vermögen kosten. So ist es seinem sechzehn Jahre jüngeren Bruder Prinz Hugo ergangen, der sich seit der Hochzeit mit einer Zirkusreiterin Graf von Hermersberg nennen muss. Auch Christian Krafts wegen Verschwendung entmündigter Cousin Alexander zu Hohenlohe-Öhringen, für den der Fürst die Vormundschaft übernommen hat, ist Opfer des Hausgesetzes geworden: Nach seiner Heirat mit Elsa von Ondarza, der Tochter eines vermögenden Hamburger Kaufmanns, wurde der Prinz zum Freiherrn von Gabelstein herabgestuft.
Die Heirat ist vermutlich das Einzige, worauf Gräfin Ottilie an der Seite Christian Krafts verzichtet. Der Luxus, mit dem er sich umgibt, ist so überwältigend, dass der Theologiestudent und künftige Schriftsteller Heinrich Wolfgang Seidel, der einige Monate in der Residenz Slawentzitz lebt, in einem Brief an seine Eltern kaum Worte findet: »Draußen Elend und Schmutz, innen unerhörte Pracht und Verschwendung. Es lässt sich gar nicht beschreiben, welch ein Paradies dieser endlose Park ist und welch ein Glanz über dem Schloss liegt, wenn die Sommersonne scheint. Der Fürst lebt wie Lukull und wahrscheinlich besser als der Kaiser. Nur für den Herrschaftstisch werden oft täglich 30 Hühner gebraucht, nur für ihn sind im letzten Monat 3000 Eier verschwendet worden. Wenn das Feuer in der Küche nicht brennen will, so fliegt ein Pfund Butter hinein. Heute ist ein Mann aus Berlin da, der dem Fürsten die Haare schneidet – wenn das fertig ist, reist er wieder ab, nachdem er sich vorher noch gehörig satt gegessen hat.« Christian Krafts Chauffeur, schreibt Seidel, rühme sich, »schon auf kürzeren Strecken zehn Hunde totgefahren zu haben; und auch sonst gibt es Dinge, über die die Diskretion schweigt. Jedenfalls ein fabelhafter interessanter Ort«.10
Warum sich Christian Kraft mit sechzig Jahren nicht mit der kommoden Existenz als Großgrundbesitzer und Großindustrieller begnügt, sondern die Abenteuer im Leben eines Großspekulanten sucht, ist nicht bekannt. Einige Zeitgenossen vermuten, der Feudalherr wolle beweisen, dass er die Regeln des Kapitalismus so gut beherrsche wie einige besonders erfolgreiche Standesgenossen.11 Andere glauben, dem Fürsten sei langweilig, er habe keine Lust, »nur als Rentier seiner Jagdleidenschaft nachzugehen«.12 Richtig ist jedenfalls die Diagnose, die Christian Kraft eine »starke und allenthalben sehr wenig glückliche Neigung zu umfassender kaufmännischer Betätigung«13 bescheinigt, mit anderen Worten: Er gefällt sich als Unternehmer und als Spekulant, obwohl er in beiden Rollen eher eine traurige Figur macht. Als er 1908 mit seinem Cousin Max Egon in der Berliner Dorotheenstraße den Fürstentrust eröffnet, hat er durch waghalsige Spekulationen bereits einige Millionen verloren.
Immerhin ein Groß-Projekt ist Christian Kraft in jüngster Zeit gelungen. Er hat seinen gesamten industriellen Besitz in eine Aktiengesellschaft, die Hohenlohe-Werke AG, umgewandelt und dafür 1905 eine einmalige Abfindung von 44 Millionen Mark und eine jährliche »ewige Rente« von jährlich drei Millionen Mark erhalten. Für die Seriosität der Aktion hatte der Chef der Berliner Handelsgesellschaft gebürgt, Carl Fürstenberg, einer der reichsten und respektabelsten Bankiers dieser Jahre, der dem Aufsichtsrat der neuen Aktiengesellschaft vorsitzt. Aber andere Geschäfte Christian Krafts waren weder besonders ertragreich noch wirklich seriös.
Der Madeira-Coup war nicht sein erster Versuch, mit dem Einsatz erheblicher Mittel auf kürzestem Weg einen gewaltigen Gewinn zu erzielen; andere Projekte waren nur deutlich leiser gescheitert, auch wenn sie ebenfalls Verluste in Millionenhöhe einbrachten. Bereits Ende 1898 hatte Christian Kraft mit Max Schoeller, einem Jülicher Zuckerfabrikanten, in der Kolonie Deutsch-Ostafrika die Kaffeeplantage Sakarre gegründet, wobei Ernte und Dividende eher dürftig blieben.14 Wenige Monate später, Ende Juli 1899, hatten die beiden dann eine Konzession zur Gründung der Gesellschaft Nordwest-Kamerun erhalten, die ihnen erlaubte, die Kautschukbestände eines 90.000 Quadratkilometer großen Gebiets in der deutschen Kolonie zu plündern.15 Als Vorbild diente ihnen die Gründung der deutsch-belgischen Gesellschaft Süd-Kamerun, deren Börsengang im Februar 1899 einen wahren Taumel ausgelöst hatte: Der Spekulationsgewinn der Gründer soll 16 Millionen Mark betragen haben. Der Plan, das lukrative Geschäftsmodell nachzuahmen, scheiterte jedoch, als die Deutsche Bank, die Christian Kraft und Schoeller mit der Ausgabe der Aktien beauftragt hatten, Erkundigungen über das Konzessionsgebiet einholte. Laut Kennern der Gegend sei das Unternehmen »völlig aussichtslos«,16 und so waren die Gründer auf ihren Aktien sitzengeblieben. Christian Kraft hatte zwei Millionen, Max Schoeller eine Million eingezahlt. Als sich Christian Kraft 1905 Madeira zuwandte, war sein Spekulationsobjekt in Afrika faktisch seit einem Jahr bankrott.17
Auch sein Plan, zusammen mit Vetter Max Egon sein Geschäftsfeld nach Asien zu erweitern, kommt nicht recht voran. Mit Tsingtau hatte das deutsche Kaiserreich den schon lange angestrebten Stützpunkt in Ostasien bekommen. Sogleich waren deutsche Kaufleute aufgebrochen, um die Früchte der kaiserlichen Kolonialpolitik zu ernten, genauer: die berühmte Shandong-Seide. 1902 war die Deutsch-Chinesische Seiden-Industrie-Gesellschaft gegründet und eine Fabrik errichtet worden, die zwar hervorragende Seide produzierte, aber keine Gewinne machte. Die Gesellschaft war »von vornherein zu großspurig vorgegangen und musste bald ihren Betrieb einstellen«.18 Aber weil das Unternehmen fortbesteht, sitzen Max Egon und Christian Kraft im Jahr 1908 noch immer im Aufsichtsrat des sogenannten Magnatensyndikats.19
Selbst auf einem vertrauten Geschäftsfeld, dem Kohlebergbau, erleidet er einen Fehlschlag, weil er Betrügern aufsitzt. Auf Anregung seines für die österreichischen Geschäfte zuständigen Direktors Arthur Knöpfelmacher – eines früheren Wechselstubenbetreibers mit »fadenscheiniger Reputation«,20 der einige Jahre zuvor wegen Betrugsverdachts in Untersuchungshaft gesessen hatte und nur durch einen zivilrechtlichen Vergleich eine Verurteilung abwenden konnte21 – hatte er im Jahr 1904 Braunkohlefelder in der Nähe von Budweis (Südböhmen) gekauft. Eingefädelt hatte den Kauf sein Jugendfreund Graf Rudolf Kinsky, ein erfolgloser Spekulant, dessen jüngstes Projekt ein Jahr zuvor mit dem Suizid seines Beraters und seinem eigenen Bankrott geendet hatte, der aber weiterhin »das unbeschränkte Vertrauen des Fürsten«22 besaß. Zusammen mit einem Kaufmann und einem Rechtsanwalt hatte Knöpfelmacher nicht nur den Kauf der Kohlefelder abgewickelt, sondern bei einem Magdeburger Unternehmen Maschinen für zwei Brikettfabriken zum Preis von fünfeinhalb Millionen Mark bestellt. Dafür hatten sie umgehend 800.000 Mark Provision bezogen. Nachdem Christian Kraft bereits 1,5 Millionen Mark gezahlt hatte, stellte sich heraus, dass die Kohlefelder wenig ergiebig, die Fabriken also wertlos waren. Offensichtlich hatten leitende Mitarbeiter Christian Krafts bei der Aktion beide Augen zugedrückt, nachdem sie von Knöpfelmacher und dessen Komplizen geschmiert worden waren.23 Es folgt eine Serie von Prozessen, an deren Ende der Anwalt seine Zulassung24 und Christian Kraft einige Millionen verliert. Von seinem wichtigsten Mitarbeiter aber will sich der Fürst nicht trennen: Arthur Knöpfelmacher